Im deutschen Radsport dreht sich alles um Sprinter und Zeitfahrer. Ein Mann für die Gesamtwertung? Gar fürs Gelbe Trikot? Fehlt. Der Ravensburger Emanuel Buchmann tritt an, um das zu ändern.

Troyes - Es gab Zeiten, da antwortete Emanuel Buchmann auf Fragen in Interviews vornehmlich mit „Ja“ oder „Nein“. Er blickte dabei zu Boden, richtig wohl fühlte er sich nicht im Fokus der Journalisten. Schüchtern ist Emanuel Buchmann (24) noch immer. Doch er hat sich entwickelt. Verbal, vor allem aber auf dem Rad. Der Profi aus dem Rennstall Bora-hansgrohe gehört in den Bergen zu den Weltbesten. Und er ist auch in der Lage, in der Gesamtwertung der großen Rennen nach oben zu klettern – irgendwann. Davon ist er selbst überzeugt. Und sein Teamchef Ralph Denk auch. „Bei Tour, Giro oder Vuelta kann es bei ihm in Zukunft Richtung Platz fünf gehen“, sagt er, „genauere Prognosen wären unseriös. Auf einen Tour-Sieg von Chris Froome hat ja vor fünf Jahren auch niemand viel Geld gesetzt.“

 

Denk ist einer, der groß denkt. Er hat das Ziel, die stärkste Mannschaft der Welt zu leiten. Dafür benötigt er einen überragenden Rundfahrer, und am liebsten würde er diesen selbst formen. Buchmann (Ravensburg) ist die größte Hoffnung. Für Denk. Aber auch für den deutschen Radsport, der zwar im Sprint (Kittel, Greipel), im Zeitfahren (Martin) und für die Klassiker (Degenkolb) Profis auf Weltklasse-Niveau besitzt, aber keinen Rundfahrer von Format. Noch nicht.

Emanuel Buchmann ist „nur“ als Helfer von Rafal Majka am Start

Emanuel Buchmann hat schon gezeigt, was in ihm steckt. Mehrfach. Beim Tour-Debüt 2015 wurde er Dritter einer Pyrenäenetappe über den Tourmalet, 2016 kam er als 21. in Paris an. Und 2017 verblüffte er bei der Dauphiné-Rundfahrt, der Generalprobe für die Tour, als Siebter. „Ich habe gezeigt, dass ich mit den Allerbesten mithalten kann“, sagt er, „das hat mich selbst überrascht.“ Aber nichts an seiner Rolle geändert.

Bei der Grand Boucle 2017 ist Buchmann zuallererst Helfer. Er muss Teamkollege Rafal Majka unterstützen, der unter die besten zehn kommen will – aktuell ist der Pole 1:01 Minuten hinter Spitzenreiter Froome Zehnter. Freie Fahrt? Gibt es für Buchmann (14./1:29 zurück) höchstens auf Anweisung. „Ich bin stärker als vor einem Jahr“, sagt er, „aber ich bin nicht für die Gesamtwertung da. Sondern für Rafal.“ So ist der Radsport, ein Problem hat Buchmann damit nicht. „Warum auch?“, fragt Denk, „so kann er sich in Ruhe weiterentwickeln. Ein Jan Ullrich musste auch erst für Bjarne Riis fahren.“

20 Jahre sind seit dem einzigen deutschen Tour-Gesamtsieg vergangen

Ullrich ist der einzige deutsche Tour-Sieger, 20 Jahre ist das nun her. Wie kein anderer Deutscher steht er für die dunkle Zeit des Radsports, allerdings galt er – unabhängig von seinen Doping-Machenschaften – immer auch als absoluter Ausnahmekönner. „Er war ein Jahrhunderttalent“, sagt Denk, „einen wie ihn sehe ich zurzeit nicht.“ Was seiner Meinung auch mit der Nachwuchsförderung in Deutschland zu tun.

Denk kritisiert, dass es in Max Kanter (19), Silvio Herklotz (23) oder Maximilian Schachmann (23) zwar hoffnungsvolle junge Leute gebe, sie aber in der U-23-Bundesliga und anderen nationalen Wettbewerben nicht genug gefordert worden seien: „Die Rennen sind nicht schwer und bergig genug, nicht international besetzt. Das Niveau ist nicht hoch genug“, sagt er, „ich behaupte, dass auch deshalb der eine oder andere, der Talent für die Berge hat, unentdeckt bleibt.“

Hans-Michael Holczer sieht keine Talente in Deutschland

Darüber denkt Hans-Michael Holczer anders. Auch der Chef des ehemaligen Gerolsteiner-Rennstalls, der viel mit jungen Profis gearbeitet hat, sieht aktuell keine Nachwuchsleute mit dem Potenzial eines Jan Ullrich oder Andreas Klöden (Tour-Zweiter 2004, 2006). „Die beiden waren Ausnahmetalente, keine Frage. Pillen und Spritzen allein machen keine Sieger“, sagt der Herrenberger, „doch in Deutschland gehen aktuell keine Talente verloren. Es gibt sie nicht.“ Mit Ausnahme von Emanuel Buchmann. „Er könnte einer sein, der bei der Tour mal Zehner oder Zwölfter wird“, meint Holczer, „und damit wäre er schon ein sehr guter Rundfahrer.“ Der nächste Entwicklungsschritt soll im Sommer 2018 folgen.

Denk plant die Karriere von Buchmann akribisch. In einem Jahr könnte der Mann, den sie „Emu“ rufen, erstmals als Teamkapitän am Start einer großen Rundfahrt stehen. Entweder beim Giro oder bei der Vuelta. Dann soll der frühere Handballer, der mit 14 Jahren zu klein und vor allem zu schmächtig war für diesen Sport, zum großen Wurf ausholen. „Ich bin kein Anfänger mehr, aber sicher auch noch kein Kandidat für den Tour-Sieg“, sagt Leichtgewicht Buchmann (1,81 Meter/61 Kilo), dessen Freundin Claudia Ernährungswissenschaftlerin ist, „ich muss noch viel lernen.“ Für künftige Aufgaben.

Buchmanns Ziel ist es, in zwei, drei Jahren bei der Tour unter die besten zehn zu fahren. „Ich erwarte viel von mir selbst“, erklärt er, „deshalb ist dieses Ziel nicht unrealistisch.“ Hört sich gut an. Und ist eine Aussage, mit der sich jeder Fragesteller zufrieden gibt.