Zwischen Wald und Weinbergen: Die Tour de Natur ist in jeder Hinsicht sehr anspruchsvoll.

Leonberg - Als Wolfgang Röckle am Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe aufsteht, hat er bereits einen unruhigen Samstag hinter sich. Permanent hatte der Mitorganisator der Tour de Natur die verschiedenen Wetterdienste verfolgt: Gibt es Regen, Blitz und Donner während der großen Radrundfahrt rund um Leonberg?

 

„Die Vorhersagen ändern sich ständig“, stöhnt der Fahrradexperte. „Mal ist von andauerndem Niesel die Rede, dann wieder von Wolkenbrüchen. Es ist verflixt!“ Am Sonntag um 7 Uhr ist Röckle dann beruhigt: Es ist trocken, die Sonne ist zu sehen. Der erfahrene Tourenscout, der mit seinem Kumpel Peter Gänzle schon seit Jahrzehnten immer wieder überraschende Strecken auskundschaftet, fährt los, um die Route zu checken: Hat der Regen die auf den Boden gesprühten Pfeile verwischt? Hängen alle Hinweisschilder noch?

Drei Stunden später ist alles klar. Hinter dem Leo-Center, dem Startpunkt, drängen sich die Menschen mit ihren Rädern. Das überraschend gute Wetter hat viele animiert, spontan mitzuradeln. Klaus-Peter Regler, der Chef des Leo-Centers, und Uwe Reichert, der Geschäftsführer des Zeitungsverlags Leonberg, sind zufrieden. Und stolz auf ihre Teams: Die Mitarbeiter beider Häuser kümmern sich um die Organisation der Radtour. Am Leo-Center besetzen sie das Startzelt, in dem sich die Radler anmelden. Auf der Rundfahrt gibt es zwei Streckenposten, an denen die hungrige Zweiradgemeinde mit Müsliriegeln und Wasser versorgt wird.

OB mit schwarzem Porsche-Rad

Wie immer gibt es zwei Längen: Die kürzere umfasst 25 Kilometer, am Ende der großen Runde stehen stolze 45 Kilometer. Gerade Familien mit Kindern entscheiden sich für die kleine Tour, die über das Krummbachtal und Schloss Solitude zurück nach Leonberg führt.

Doch nicht zuletzt dank der Erfindung des E-Bikes wagen sich immer mehr Menschen an die große Rundfahrt heran. Rund 1000 Teilnehmer mit und ohne elektrische Unterstützung zählen die Organisatoren am Sonntag. Darunter auch etliche Kommunalpolitiker. Oberbürgermeister Martin Kaufmann kommt standesgemäß mit einem Porsche-Rad daher, von dem es nur 80 Exemplare gibt. Sein schwarzes Modell hat die Seriennummer 45 und erinnert so ein bisschen an das Batmobil aus dem Kino, mit dem Batman die Bösen jagt.

Ganz klassisch hingegen gibt sich Baubürgermeister Klaus Brenner, der ganz ohne elektrische Unterstützung in die Pedale tritt. Und noch einer verzichtet auf technische Hilfe. „Mein Rad ist mehr als 20 Jahre alt“, verkündet Werner Metz nicht ohne Stolz. „Damals war das das Neueste vom Neuen.“ Heute nicht mehr. Der Mediziner und Kreisrat der Freien Wähler ist aber nach wie vor mit seinem Rad zufrieden. Nur gut, dass seine Frau mit unterwegs ist. Jutta Metz, die dem Leonberger Gemeinderat angehört, besitzt seit neuestem ein Pedelec und ist mithin schneller als ihr Mann. Sie fährt immer mal wieder ein Stück zurück: „Ich passe auf, dass er nicht verloren geht.“

Neben der eigentlich Route dreht Martin Killinger noch eine Extraschleife. Der Erste Beigeordnete von Rutesheim fährt mal eben flott in die große Nachbarstadt, reißt die Tour herunter und fährt wieder heim. Für den durchtrainierten Sechziger überhaupt kein Problem!

Im Training ist auch Christa Weiß. „Viele der Strecken kenne ich“, erzählt die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion. „Im Ruhestand hat man genügend Zeit, sich mit dem Rad in der Heimat umzusehen. Da gibt es immer wieder neue Schätze zu entdecken.“ Sebastian Werbke kennt die meisten davon schon. Der Stadtrat ist die treibende Kraft der Radl-Agendagruppe und nahezu permanent auf zwei Rädern unterwegs. Gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Klaus Wankmüller macht er die ohnehin sehr grüne Tour noch etwas grüner.

Die erste Herausforderung für die Tourgemeinde ist eine steinige Steilstrecke, die vom Krummbachtal am Gerlinger Tennisheim abzweigt. Hier befolgen die ersten den Rat, den der Doktor Metz in unserer Zeitung gegeben hatte: Kein falscher Ehrgeiz! Auf die Signale des Körpers achten und lieber langsam machen.

Kurz vor dem Schloss Solitude die erste Verschnaufpause. Gelegenheit zum Fachsimpeln. „Normalerweise mache ich alles ohne Motor“, erklärt ein Dauergast der Tour. „Aber wenn ein Buckel kommt, ist das natürlich super. Alles ganz einfach.“ Wolfgang Röckle beruhigt einige Verzagte, die zweifeln, ob sie sich wirklich die große Strecke antun sollen: „Das passt schon: Es gibt noch ein, zwei Steigungen, aber ansonsten geht’s überwiegend abwärts.“

Das überzeugt auch Ute Geiger. Die Betriebsratsvorsitzende im Krankenhaus hat allerdings das beruhigende Gefühl, dass ihr Rad im Notfall einen kleinen Motor hat. Durch den Wald geht’s auf und ab. Die Karawane muss aufpassen, um Kollisionen mit anderen Radlern, Joggern, Walkern oder Spaziergängern zu vermeiden. Bei dem schönen Wetter sind viele unterwegs.

Feuerbach zeigt sich von seiner schönsten Seite. Von wegen Industrie- und Malocher-Quartier. Der Weg führt den Lemberg hoch, umgeben von grünen Weinreben, an denen schon dicke Trauben hängen. Und der Blick erst: Links der Fernsehturm, mittig das Schloss Solitude, ganz rechts ist schon der Engelbergturm klein zu sehen.

Und wieder Wald. Dunkel und ein bisschen einsam. Das Radlerfeld hat sich verteilt, die Schnellen sind ziemlich weit weg. Ist der Weg noch richtig? Schon lange keinen Pfeil mehr gesehen, geschweige denn einen Menschen. Aber da: Am Baum klebt ein kleines Tour de Natur-Schild. Die Richtung simmt. Gott sei Dank!

Großes Hallo am Grünen Heiner

Nach so viel Natur wirkt das menschenleere Gewerbegebiet in Korntal fast unwirklich. Dann ein großes Hallo direkt unter dem Grünen Heiner. Hier ist die zweite Raststation. Man sieht immer wieder neue Gesichter: Den Bäckermeister Rainer Zachert etwa, der seinen einzigen halbfreien Tag nutzt, um mitzuradeln. Oder Susan Gschwender. Die Immobilienmaklerin zeigt stolz ihr neues E-Bike, das Premiere hat. Bei so viel Schnittigkeit kann das Zweirad ihres Partners Georg Pfeiffer nicht so ganz mithalten. Aber der Stadtrat der Freien Wähler kommt gut voran, genau wie sein Fraktionskollege Wolfgang Schaal.

Eine größere Straße muss überquert werden. Ein Autofahrer hält, als er die wartenden Radler am Rand sieht. Dankeschön! Am Übergang der Strohgäu-Bahn holpert es etwas, aber es geht. Ditzingen naht, und damit vertraute Gefilde. Denn von hier geht es direkt ins Glemstal. Der wunderschöne Weg Richtung Leonberg war schon häufig Teil einer Tour de Natur.

Im Leo-Center herrscht unterdessen bereits rege Betriebsamkeit. Die Teilnehmer der kleinen Rundfahrt sind längst wieder eingetroffen und haben Hunger und Durst. Abhilfe schaffen die Alten Herren des SV Leonberg/Eltingen, die sich traditionell bei der Tour de Natur um die Verpflegung kümmern. Ob Rote Wurst, Steak oder Maultaschen: Die kräftigen Männer schwitzen, damit niemand darben muss.

Gegen halb zwei hat Wolfgang Röckle, der während der gesamten Tour – einem Hirten gleich – aufpasst, dass niemand vom Weg abkommt, seine Schäfchen wieder im Stall: Nicht nur den OB mit seinem schwarzen Zweirad-Porsche. Auch Werner Metz hat es geschafft. Ganz ohne elektrische Hilfe, aber dafür mit einem verschmitzten Lächeln.