Immer mehr Gäste, immer mehr Übernachtungen – Baden-Württemberg ist als Reiseziel so beliebt wie nie. Im vergangenen Jahr wurde die Marke von 50 Millionen Übernachtungen geknackt.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Der Lohn der Mühe lässt nicht lange auf sich warten: Wer im Schweiße seines Angesichts den ersten satten Anstieg hinauf zum Hohfelsen geschafft hat, kann dort auf der eigens aufgebauten Himmelsliege nicht nur die Beine, sondern auch die Seele baumeln lassen – verbunden mit einem herrlichen Blick ins Bernauer Hochtal. Die Naturidylle, die Wanderfreunden wie ambitionierten Radlern im Südschwarzwald unweit des Feldbergs so recht für eine Auszeit abseits des hektischen Alltags taugt, lockt freilich nicht automatisch Touristen aus nah und fern an. „Wir mussten etwas tun“, sagt Franz Bregger, der Herbergschef von Breggers Schwanen im Ortsteil Oberlehen.

 

„Der Schwarzwald glänz wieder weltweit“

300 Jahre alt ist der Schwarzwaldgasthof mit einer Holzschindelfassade und gemütlichen Stuben im Inneren. Doch irgendwann war klar, dass mit der Tradition allein die Zukunft nicht zu gewinnen sein würde. So entschied sich der Unternehmer vor gut fünf Jahren, einen architektonisch anspruchsvollen An- und Neubau aus Holz auf einem Vier-Sterne-Niveau zu realisieren samt einer Wellnessoase und hellen Zimmern. „Wir sind froh, dass wir es gemacht haben“, sagt Bregger heute – auch wenn ihm die Investition bisweilen den Schlaf geraubt hat, da nun nach und nach der Altbau saniert wird.

Für Andreas Braun, seit 2009 Geschäftsführer der Tourismus-Marketing-Gesellschaft Baden-Württemberg, weisen solche Modernisierungsinitiativen – seien sie von privater oder von öffentlicher Hand angestoßen – in die richtige Richtung. „Denn wer das versäumt, wird irgendwann verschwinden“, sagt der Chef jener Einrichtung, die Kraft Auftrag das Ländle im In- und Ausland Touristen schmackhaft machen soll. Braun hat seinen Dienstsitz zwar in Stuttgart, er kennt aber Hotellerie, Gastronomie und Freizeitangebote in ganz Baden-Württemberg aus dem Effeff. Und vor allem mit der Entwicklung in der südwestlichen Ecke ist der Manager zufrieden: „Der Schwarzwald glänzt wieder weltweit“, sagt er selbstbewusst, „er hat sein angestaubtes, spinnenverwobenes Image zuletzt deutlich verbessert.“

Magische Grenze von 50 Millionen Übernachtungen geknackt

Tatsächlich ist der Zulauf an Gästen in der Gegend zwischen Lörrach, Waldshut und der Ortenau traditionell am größten. Doch auch insgesamt ist Baden-Württemberg als Reiseziel mit dem Bodensee als weiterem Gästeanker so attraktiv wie seit 20 Jahren nicht. Im vergangenen Jahr wurde die magische Grenze von 50 Millionen Übernachtungen geknackt, deutlich mehr als 20 Millionen Gäste wurden gezählt. Und auch in den ersten vier Monaten dieses Jahres ist der Trend ungebrochen: plus 4,8 Prozent bei 13,7 Millionen Übernachtungen allein bis April. Vor allem aus dem benachbarten Ausland, primär und mit Abstand aus der Schweiz, aber auch aus Frankreich, Österreich oder den Niederlanden strömt das Publikum, um sich über ein verlängertes Wochenende in hiesigen Gefilden zu erholen oder aber Städte wie Stuttgart samt der Region, wie Karlsruhe, Baden-Baden oder Heidelberg mit ihren kulturellen Angeboten zu erkunden. „Kurzreisen und Städtereisen sind im Moment die Trends der Zeit“, befindet Andreas Braun. Interessant dabei: die stärksten Zuwächse bei den Gästen von außerhalb sind bei den Chinesen, den Spaniern und den Arabern aus den Golfstaaten zu verzeichnen. „Dort haben wir unsere Bemühungen verstärkt“, sagt Braun.

Die langfristige Betrachtung seit 20 Jahren macht derweil deutlich, dass die Touristikbranche eine „wechselvolle Entwicklung“ hinter sich hat, wie Richard Kössler konstatiert, der für das Statistische Landesamt eine eben erschienene entsprechende Studie erstellt hat. Rückgänge bei den Übernachtungszahlen Ende der 1990er Jahre wurden längst mehr als kompensiert. Auch zwischenzeitliche Verschiebungen zwischen östlichen und westlichen Destinationen innerhalb der Republik direkt nach der Wende haben sich nivelliert. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren sei ein „stetiger Aufschwung“ festzustellen – was durchaus deutschlandweit gilt, mit allerdings leicht überdurchschnittlichen Zuwächsen in Baden-Württemberg.

Die Detailanalyse zeigt, dass speziell dieses Bundesland zunächst unter den vor fünfzehn, zwanzig Jahren umgesetzten Sparmaßnahmen im Kurbereich gelitten hat. Ganze Einrichtungen verschwanden vom Markt, was vor allem Bäderstädte im Nordschwarzwald schwer verdauten.

Gesundheit und Genuss kommen gut an

Manch eine Kommune hat freilich früh aus der Not eine Tugend gemacht. Der heilklimatische Kurort Bad Dürrheim im Schwarzwald-Baar-Kreis ist so ein Beispiel – eine Gemeinde, die sich durch ein Bündel an Maßnahmen mit medizinischen Angeboten, Wanderwegen und einem Klubkonzept zu einem „glanzvollen Beispiel“ dafür entwickelt hat, „wie man aus einer Krise gestärkt hervorgehen kann“, sagt Braun. Auch Kommunen wie Baiersbronn, die sich als Genusshochburg preisen, haben einen erfolgversprechenden Weg gefunden. Andernorts sind es wohl Infrastrukturmaßnahmen, die einen Boom auszulösen vermochten. So gibt es im Landkreis Esslingen heute rund doppelt so viele Übernachtungen wie noch 2005 – was nicht zuletzt dem Bau der Landesmesse geschuldet sein dürfte, die zwar nicht Touristen im klassischen Sinn, aber Geschäftsreisende anzieht, die sich wiederum in der Gästestatistik niederschlagen.

Stillstand ist Rückschritt – das gilt auch und gerade in der Freizeitbranche. Und vor diesem Hintergrund ist der Tourismuschef froh über jede Initiative, die die Geschäfte weiter ankurbeln kann. Das gilt für die Planung eines großen Freizeitparks bei Leutkirch im Allgäu, das gilt für die Idee eines Riesen-Golfplatzes bei Donaueschingen. Speziell dieser Sport habe sich zu einem wichtigen Standbein entwickelt, heißt es bei der Schwarzwald-Tourismus-Gesellschaft. Das gilt aber auch für die Schaffung von Verbünden zur Vermarktung und Bewerbung einzelner Regionen. Im Hohenlohischen und im Kurpfälzischen oder auf der Schwäbischen Alb seien die Möglichkeiten wohl noch längst nicht ausgeschöpft, meint Andreas Braun. Und natürlich bleiben auch die Kommunen wie die meistenteils inhabergeführten Betriebe selbst gefordert: freies WLAN etwa erwarten die Gäste im 21. Jahrhundert ebenso wie schöne Wellnesslandschaften.

Das wissen auch jene Wanderer zu schätzen, die auf dem Bernauer Hochtalsteig vom Hohfelsen aus weiter nach oben und am Kamm entlangmarschieren, Neumannshütte und Spießhorn hinter sich lassen – und nicht genug bekommen von den Reizen der schönen Schwarzwaldlandschaft. Nach 20 Kilometern Marsch aber vom Hotel weg wächst eine Sehnsucht doch auch: die nach einer muskellockernden Sauna und einem späten Mittagsschläfchen auf der Sonnenterrasse.