Der Tourismus boomt: Mit 3,6 Millionen Übernachtungen in der Landeshauptstadt und 8,4 Millionen in der Region wurde das bisher beste Ergebnis verzeichnet. Im sechsten Jahr in Folge wurden dabei Rekorde gebrochen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Wenn Armin Dellnitz, Stuttgarts Tourismuschef, bei der jährlichen Fremdenverkehrsbilanz einmal in Fahrt kommt, schnallt man sich besser an, um dem Zahlen- und Rekord-Gewitter folgen zu können. Wenn Dellnitz aber auch noch von Thomas Schwarz, dem Leiter des Statistischen Amtes der Stadt Stuttgart, unterstützt wird, schweben Zahlenfans endgültig auf Wolke sieben, und zwar mindestens auf Fernsehturm-Höhe. Denn die Entwicklung des Stuttgarter Tourismus kennt scheinbar nur eine Richtung: steil nach oben. „Zum sechsten Mal in Folge können wir neue Rekordzahlen verkünden“, erklärte Thomas Schwarz am Donnerstag in den Räumen von Stuttgart Marketing. „Wir hatten 3,6 Millionen Übernachtungen in der Landeshauptstadt und 8,4 Millionen Übernachtungen in der Region. Bei den Gästezahlen entspricht das einer Steigerung von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr“, so Schwarz weiter.

 

Dabei haben Stuttgart Marketing und das Statistische Amt wie immer nur die Zahlen von Betrieben mit mehr als zehn Betten auswerten können: kleinere Gästehäuser, Ferienwohnungen oder private Übernachtungen von Freunden und Verwandten in den eigenen vier Wänden werden in der Statistik nicht berücksichtigt. „Rechnet man diesen grauen Bereich mit dazu, gehen wir von 5,4 Millionen Übernachtungen in Stuttgart und 12,6 Millionen in der Region Stuttgart aus“, erklärte Armin Dellnitz.

Deutlicher Zuwachs bei ausländischen Gästen

Die Gründe für die bisher beste touristische Bilanz der Region Stuttgart sind vielfältig. Zum einen verzeichnet Stuttgart Marketing einen deutlichen Zuwachs bei den ausländischen Gästen. Diese Zahl ist für 2015 um zehn Prozent gegenüber 2014 gestiegen. Zwar machen die Touristen aus Deutschland nach wie vor die größte Zahl aus, das Verhältnis verschiebt sich aber. „Die meisten ausländischen Gäste Stuttgarts kommen aus Amerika, gefolgt von der Schweiz. In der Region Stuttgart ist es andersherum, da sind die Schweizer auf Platz eins und die Amerikaner auf Platz zwei“, erklärte Dellnitz. In die Top Fünf vorgestoßen sind Gäste aus China. Diesen Aufschwung begründet Armin Dellnitz mit der Tatsache, dass Stuttgart schon früh mit touristischen Marketingmaßnahmen in China präsent war. „Wir treten in China mit einem starken Verbund auf, gemeinsam mit Frankfurt als Tor zu Deutschland, mit Heidelberg als romantischem Standort und mit dem Schwarzwald als Naturereignis. Stuttgart spielt dabei die Rolle des Technik- und Autostandorts. Damit punktet man bei den Chinesen ganz gewaltig“, so Dellnitz.

2015 war darüber hinaus auch wegen der großen Veranstaltungen ein erfolgreiches Jahr aus Sicht des Tourismus. Das kann wie so oft Thomas Schwarz mit seinen Zahlen belegen, denn statistisch wird jeder Monat einzeln ausgewertet. „Die stärksten Monate bei den Gästen aus Deutschland waren 2015 der Oktober gefolgt vom September“, so Schwarz. Von Ende September bis Anfang Oktober fand der Cannstatter Wasen statt. „Die größten Zuwächse hatten wir im Monat Juni während des Kirchentags in Stuttgart“, ergänzt Schwarz. Für ausländische Gäste sei dagegen der August der stärkste Monat, gefolgt von Juli und September. Die Statistik lässt sich sogar noch weiter ausdifferenzieren: „Chinesen reisen am liebsten im August nach Stuttgart, Schweizer dagegen im Dezember“, sagt Armin Dellnitz. Die Eidgenossen pilgern eben jedes Jahr als Wirtschaftsflüchtlinge zum Stuttgarter Weihnachtsmarkt, um die Kerzenreserven der Alpenrepublik wieder aufzufüllen. „Dass die Chinesen im August so stark nach Stuttgart reisen, hilft uns gleichzeitig, die Schwäche bei den Geschäftsreisen in diesem Monat auszugleichen“, sagt Armin Dellnitz.

Für 2016 wird eher mit gebremstem Wachstum gerechnet

Für 2016 rechnet Stuttgarts oberster Tourismusbeauftragter eher mit einem gebremsten Wachstum. Das habe zum einen damit zu tun, dass die Reiseintensität bei den Deutschen kaum mehr zu steigern sei, „der Kuchen ist verteilt, absolute Zuwachszahlen können nur noch aus dem Ausland kommen“ erklärt Armin Dellnitz. Hier sei wegen der chinesischen Sicht auf die Terrorgefahr und den Flüchtlingsstrom in Europa eher nicht mit einem großen Schritt nach vorne zu rechnen. „Umso weiter ein Markt weg ist, desto undifferenzierter reagiert man auf eine Gemengelage. Und der Chinese reagiert gerade überempfindlich auf die Situation in Europa“, so Dellnitz.

Langfristig macht sich Dellnitz in Sachen Wachstum aber keine Gedanken – mit einer Einschränkung. Der Tourismusdirektor appelliert an die Politik, eine neue Tagungs- und Kongresshalle in der Innenstadt zu schaffen. „Die Nachfrage nach einem Hotelzimmer in der Innenstadt samt fußläufigem Weg zum Tagungsort wächst. Wir müssen in diesem Bereich Kapazitäten schaffen, und zwar eben nicht nur in der Hotellerie. Sonst beschränken wir uns künstlich selbst in der Entwicklung“, warnt Dellnitz.

Günstige Direktflüge aus England tragen zum Rekord bei

Dieser wurde bei der Präsentation der Rekordzahlen nicht müde zu betonen, welche Rolle der Tourismus in der Region mittlerweile spiele. „Tourismus leistet einen Beitrag zur Lebensqualität in Stuttgart.“ Andersherum leisten manchmal Faktoren einen Beitrag zum touristischen Aufschwung, die nicht unbedingt mit der hohen Lebensqualität in Stuttgart zu tun haben, zum Beispiel in Bezug auf den Zuwachs der Gäste aus Großbritannien. „Früher kamen die wegen fußballerischer Großereignisse nach Stuttgart, wegen der WM oder wegen der Champions League. Daran kann es aber 2015 nicht gelegen haben“, sagte Thomas Schwarz. Hier gaben vielmehr die billigen Direktflüge nach Stuttgart den Ausschlag. Am skurrilsten ist der Zuwachs an Übernachtungen im Februar 2015 zu begründen. In diesem Monat fand die Messe „Rollladen und Tor“, kurz RT statt. Die selbst ernannte „Weltleitmesse für Rollladen, Tore und Sonnenschutz“ scheint für viele ein Grund gewesen zu sein, Stuttgart einmal einen Besuch abzustatten.