Nostalgie im fernen Osten: Seit rund 30 Jahren fährt eine Straßenbahn aus Stuttgart in Japan umher. Das ist die Geschichte der Wagen mit den Nummern 714 und 735.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)

Der Frühling lässt die Kirschbäume in Japan sprießen. Autos rollen über den Blütenbelag auf der Straße hinweg – aber auch eine gelb-weiß gestreifte Straßenbahn windet sich durch die rosafarbenen Alleen in der japanischen Stadt Fukui.

 

Bei dem Zug handelt es sich um eine alte Straßenbahn, die vor mehr als 30 Jahren durch Stuttgart gebummelt ist. Diese alten Wagen sind in der Landeshauptstadt seit Dezember 2007 allesamt durch breitere Stadtbahnen ersetzt worden. Seither sind die alten Züge in Stuttgart nur noch bei Sonderfahrten zu sehen.

Auch in Fukui gibt es solche Sonderfahrten mit einer Stuttgarter Straßenbahn. In diesem Frühjahr können die Bürgerinnen und Bürger an Wochenenden und Feiertagen mit der Bummelbahn durch die Stadt fahren. Für die Fahrten mit der Retram, wie die Linie in Fukui heißt, gibt es sogar einen eigenen Fahrplan.

Wie romantisch die Fahrt mit der Straßenbahn durch die japanische Stadt sein kann, zeigen diese Bilder auf Twitter.

Über die Frühlingstour der Bahn durch Fukui hatte unter anderem auch „Kessel TV“ berichtet und die Fotos mit den Worten kommentiert: „Was zunächst nach Photoshop aussieht, ist tatsächlich wahr.“

Auf dem gelb-weiß lackierten Wagen ist noch immer der Werbeschriftzug des früheren Stuttgarter Möbelhauses Wössner aufgeklebt. Die Firma hat den Betrieb im Industriegebiet in Stuttgart-Weilimdorf vor rund 20 Jahren aufgegeben. Die Werbeschrift fährt noch heute durch die 260.000-Einwohner-Stadt in Japan. Die Haltestellen-Tafeln über der Fahrerkabine zeigen mittlerweile japanische Haltestellen-Namen. Auf älteren Fotos aus Fukui ist jedoch noch zu sehen, wie das Schild auf „Botnang“, „Neckarstadion“ oder „Schloßplatz“ gestellt ist.

Ausgemustert und nach Japan verschifft

In den Achtzigerjahren war diese Straßenbahn noch in Stuttgart unterwegs. Im Jahr 1989 wurde die Bahn schließlich an die japanische Stadt Kochi verkauft, wo damals Züge aus aller Welt eingesammelt wurden. „Die Fahrzeuge waren ausgemustert worden, aber in einem guten und einsatzfähigen Zustand“, sagt Hans-Joachim Knupfer von den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB). „Wir haben damals die beiden Triebwagen mit den Nummern 714 und 735 verkauft.“

Diese Nummern sind noch heute auf der Straßenbahn aufgeklebt. Aus den zwei Triebwagen haben die Japaner einen einzigen Zug gebastelt. Die sogenannten A-Teile mit den Fahrerkabinen sind dafür spiegelverkehrt aneinandergekoppelt worden. Die B-Teile ohne Führerhaus sind verschrottet worden. Der Grund: Auf der Strecke in Kochi gab es keine Wendemöglichkeit. Daher mussten die Fahrer den Zug in beide Richtungen steuern können. In Stuttgart war die Bahn immer nur in eine Richtung unterwegs.

Die Wagen mit einem Gewicht von rund 19 Tonnen Stahl waren laut Knupfer per Schiff nach Japan gebracht worden. „Die Triebwagen wurden nicht auseinandergebaut, sondern in einem Stück per Kran auf einen Frachter verladen“, erinnert sich der SSB-Mitarbeiter. „Der Steuerhebel ist damals mitgeliefert worden.“ Dieser Hebel ist praktisch der Zündschlüssel für die Bahn. Die Fahrer müssen den Steuerhebel im Armaturenbrett verankern, um losfahren zu können.

Abschied von der Linie 15

Diese so genannten Gelenktriebwagen 4 (GT4) sind ein Klassiker, denen der „SWR“ bereits eine Ausgabe der „Eisenbahn-Romantik“ spendiert hat. In der Folge ist zu sehen, wie sich die Straßenbahn der Linie 15 ein letztes Mal die Hänge des Stuttgarter Kessels zum Fernsehturm hinaufquält. 50 Jahre lang waren die GT4-Straßenbahnen im Einsatz und prägten das Straßenbild, da sie sich den Platz auf der Fahrbahn noch mit Autos teilen mussten. Bahntunnel gab es zu dieser Zeit fast nicht.

Durch Fukui fährt die Stuttgarter Straßenbahn seit April 2014. Und dort ist die Nostalgielinie offenbar ein echter Touristenmagnet. Denn es werden nicht nur Tickets für eine Fahrt mit der Bahn vermarktet. Der Zug ist mitsamt der alten Wagennummer 735 auch auf Werbeartikeln wie Stofftaschen abgedruckt.