Die Fantastischen Vier sind wieder unterwegs. Im Dezember kommt die Popband zu ihrem Heimspiel in die Stuttgarter Schleyerhalle. Das erste Konzert hat sie ausgerechnet in der westfälischen Provinz gegeben. Eine Begegnung in Borken.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Borken - Wer die Debatten über den Stuttgarter Bahnhof buchstäblich hinter sich lassen will, der verlässt ihn am besten in Richtung Borken. In der westfälischen Kleinstadt werden weder Diskussionen über den Erhalt oder Abriss des Bahnhofsgebäudes noch über die Tieferlegung der Gleise geführt. Denn am Kopfbahnhof von Borken gibt es nur ein einziges Gleis und ein Bahnhofsgebäude schon gar nicht.

 

Lustig also, dass sich Deutschlands größte und bekannteste Hip-Hop-Band ausgerechnet Borken zum Start ihrer neuen Tournee ausersehen hat. „Wir waren sowieso in der Nähe, weil wir bei Dortmund geprobt haben und am Freitagabend in Düsseldorf noch den deutschen Nachhaltigkeitspreis verliehen bekommen haben“, erzählt der Rapper Michi Beck über Borken, und er erinnert daran, dass die Fantastischen Vier sogar schon zwei Mal hier aufgetreten sind. Eine preiswert zu mietende Halle, in der man praktisch und in aller Ruhe auch sein Tourequipment ausprobieren könne, ist der Grund. „Außerdem“, ergänzt sein Kollege Smudo feixend, „freuen sich die Borkener. Unsere Show hier war in wenigen Minuten ausverkauft. Was Madonna mit einer ganzen Tournee schafft, schaffen wir immerhin in Borken.“

Da blitzt er mal wieder auf, der Schalk im Nacken, der so typisch für das Wesen und die Musik des Quartetts mit den Stuttgarter Wurzeln ist. Wobei da auch eine gehörige Portion Understatement mitschwingt. Am späten Samstagnachmittag, nach einem angesichts des ersten Konzerts dieser Tournee entsprechend fett überzogenen Soundcheck, sitzen Smudo und Michi Beck in der Künstlergarderobe der Borkener Stadthalle, die hier tatsächlich noch Künstlergarderobe heißt und mit ihren vertikal beleuchteten Schminktischen und dem sehr retrospektiven Interieur den Charme der guten alten Samstagabendshow verströmt. Sie stopfen sich ein paar Weingummis in den Mund und schildern ganz entgegen ihrem Bühnennaturell sehr ernst und demütig die Ehrfurcht, mit der sie dieser Tournee entgegensehen. Denn auch der Erfolgsmusiker, Fernsehstar und Hobbyprivatpilot Smudo kann sich noch immer gut an die Zeiten erinnern, als er Bernd Michael Schmidt hieß und in seiner Gerlinger Heimat nicht im Traum an die Stuttgarter Schleyerhalle als künftiges Arbeitsgebiet dachte.

Kritische Selbstreflexionen

Dort werden die Fantastischen Vier nun an den drei Tagen vor Heiligabend auftreten. Traditionell waren die Heimspiele in der Schleyerhalle immer der krönende Schlusspunkt der Fanta-Vier-Tourneen. Diesmal läuft es gerade andersherum, weil Smudo und Michi Beck bis jetzt noch mit ihren Casting-Show-Fernsehterminen eingedeckt waren, dazu kommen dafür nun die vor kurzem bekannt gegebenen Open-Air-Termine im Sommer. Aber traditionell gehört ja zu einer Tournee immer auch ein neues Album. Das letzte von den Fantas ist hingegen schon bald zweieinhalb Jahre alt, und so dreht sich das Gespräch in durchaus sehr kritischen Selbstreflexionen längere Zeit um die Branchenmechanismen.

„Wir hängen ein bisschen hinterher“, sagt Michi Beck über die Pläne für ein neues Album. Streng genommen meint er damit, „dass erst anderthalb Songs fertig sind“, da ist auch nicht der ganz dringende Impuls herauszuhören, möglichst zügig zu Potte zu kommen. Ein kleiner Snack für Zwischendurch wird immerhin serviert. In Wien haben sie jüngst eine Livesession in Uralttechnik analog eingespielt, die in der kommenden Woche allen Ernstes auf den allseits beliebten Formaten Tonband, Musikkassette sowie Vinylsingle erscheinen wird. Da frohlockt der Schalk im Wirken der vier nach wie vor experimentierfreudigen Jungs schon wieder. Aber keine Angst, das Minialbum, eine Art Best-of-Langmedley inklusive dem neuen Song „Eines Tages“, wird auch als CD sowie als hochauflösender Digitaldownload angeboten. Dazu dann demnächst an dieser Stelle mehr. Zuvor versprechen die Herren, dass in den anstehenden Shows diesmal auch viele der Fanta-Vier-Klassiker neu interpretiert werden – und die anderthalb neuen Songs natürlich auch. „Was da ist muss raus“, sagt Smudo dazu noch, ehe der Tourmanager die gewohnt redseligen Buben dazu aufruft, nun doch bitte ihr Abendessen einzunehmen.

„Geile Generalprobe“

Zwei Stunden später wird der Vorsatz verwirklicht. Wer den Stars einmal richtig nahe kommen möchte, ist in der Stadthalle Borken genau richtig. Mühelos kann man auch beim Konzertbeginn noch durch die Masse von 1500 Zuschauern bis in die ersten Reihen vorspazieren, wo zunächst die Stunde des neuen Fanta-Vier Gasts schlägt. Es ist Sebastian König alias Eskei83, der – jawohl, so etwas gibt es – DJ-Weltmeister von 2014, der auf echten Schallplatten scratcht und ganz nach alter Hip-Hop-Schule die Beats mitprägt, die den begleitbandlosen Auftakt einläuten. Los geht’s mit „Bring it back“, „Was geht“ und „Die da“, drei Klassikern, die als eine Art Medley eher angespielt denn durchexerziert werden. Zu „Populär“ kommt dann die bewährte Live-Band der Fantas dazu, und weiter geht es zunächst ausschließlich mit einer Best-of-Revue, allerdings tatsächlich musikalisch gut umgekrempelt. „Yeah Yeah Yeah“ in einer Old-School-Variante, „Geboren“ in einer Disco-Version, die auch im legendären New Yorker Club Studio 54 gut hätte laufen können, „Ichisichisichisich“ ebenfalls sehr dancebeatgeschwängert. Es folgen die nächsten Klassiker, „Sie ist weg“, „Gebt uns ruhig die Schuld“ und „Einfach sein“, diesmal in ganz klassischem Gewand. Und dann der (neben der neuen Single) halbe der anderthalb neuen Songs. „Endzeitstimmung“ heißt sein Arbeitstitel, mit seinem fast schon bierzelttauglichen Refrain verströmt er allerdings nicht übermäßig apokalyptische Stimmung.

Zum Ende hin gibt es die längst obligatorisch gewordenen Fanta-Vier-Konzertzutaten, die Soloeinlage von Thomas D sowie den „Tag am Meer“ auf Barhockern vorgebracht, zum Abschluss den „Picknicker“, dann das vorletzte Lied sowie eine diesmal nicht nur angespielte Reprise von „Populär“, ehe die Zugabe mit dem letzten Hitbündel aus „Ernten was wir säen“, „25 Years“ und dem ebenfalls längst obligatorisch gewordenen Abschlusssong „Troy“ verklingt.

„Was für eine geile Generalprobe“, sagt Thomas D hinterher. Dem ist zumindest in der Sache nicht zu widersprechen. Die Fantastischen Vier bieten vergleichsweise wenig Neues (was auch?), aber das will von ihnen sowieso niemand hören. Sie sind längst in einer künstlerischen Phase angekommen, in der sie einen ganzen zweistündigen Konzertabend nur mit Hits bestreiten können – und das tun sie auch. Sinnbildlich für eine Band, die lässig die Zeiten überdauert hat, steht das vorletzte Lied des Abends, „MFG“. Vom dort besungenen, noch immer herrlich anzuhörenden Abkürzungswahnsinnskuddelmuddel ist – von DDR über DVU zu VHS – längst vieles in der Versenkung verschwunden. Aber die Fantastischen Vier, die sind noch immer da.