Als Chefforscher eines Autolobbyvereins geriet er 2018 in die Schlagzeilen. Nun kommt der Toxikologe Helmut Greim als Sachverständiger zum Abgasthema in den Bundestag – auf Empfehlung der AfD.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - In der Öffentlichkeit war Helmut Greim (83) voriges Jahr präsenter denn je. Breiter bekannt wurde der Münchner Toxikologe da als Chef des wissenschaftlichen Beirats jener „Forschungsvereinigung“ der Autoindustrie (EUGT), die vor allem Gesundheitsgefahren durch Abgase relativierte. International herrschte Empörung über einen von der EUGT unterstützten Versuch, bei dem Affen Dieselabgase einatmen mussten – und der sich obendrein als manipuliert herausstellte. Letzteres wusste auch Greim nicht, doch er verteidigte derlei Tests mit Tieren ebenso wie seine Rolle im Beirat der 2017 still aufgelösten Vereinigung. Dem Gremium sei „nichts Anstößiges vorzuwerfen“, meint er bis heute.

 

Seine Kritiker sahen sich freilich bestätigt in dem Vorwurf, er sei der Industrie gerne als Verharmloser zu Diensten. „Professor Halb-so-schlimm“ nannten sie ihn, weil er Risiken regelmäßig herunterspiele – ob bei Abgasen, Glyphosat oder Holzschutzmitteln. Auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kamen damals Zweifel an der Begründung, mit der Greim einst das Große Verdienstkreuz mit Stern erhalten hatte: geehrt wurde er just für „nicht interessengeleitete Politikberatung“. Der geprüfte Entzug des Ordens kam zwar nicht in Betracht, doch bei Verleihungen, ließ Schulze ankündigen, werde man künftig auch kritische Punkte bedenken.

Nicht mehr salonfähig für die Etablierten?

Seither wurde es still um Greim. Nun aber feiert er ein kleines Comeback im Bundestag: An diesem Mittwoch ist er einer von mehreren Sachverständigen, die im Umweltausschuss zu einer Änderung des Immissionsschutzgesetzes angehört werden. Es geht um die Lockerung des EU-Grenzwertes für Stickstoffdioxid, 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft, und die Aussagekraft der Messwerte. Schon mehrfach referierte der Professor als Experte im Parlament, zu diesem und zu anderen Themen. Doch eines ist diesmal anders: Früher kam er auf Vorschlag der etablierten Parteien – nach seinen Angaben „eher CDU/CSU und FDP“ -, diesmal empfahl ihn die AfD. Entsprechende Informationen unserer Zeitung wurden im Bundestag bestätigt.

Für die Grünen ist der Auftritt eine „unfassbare Unverfrorenheit“, wie der Hohenloher Abgeordnete Harald Ebner meint. Gut daran sei nur, dass Greim bei den etablierten Parteien nun endlich „nicht mehr salonfähig“ zu sein scheine. „Bezeichnend“ hingegen findet er, dass sich der Wissenschaftler trotz seiner Vorgeschichte nun von der AfD nominieren lasse. Zu der Partei, die die Diesel-Debatte gerne als „Irrsinn“ abtue, passe er „wie der Topf zum Deckel“. Die AfD-Fraktion ließ eine Anfrage zu dem Professor unbeantwortet.

Parteipolitik soll keine Rolle spielen

Greim selbst hat offenbar kein Problem mit der AfD. „Wer wen vorschlägt, ist nicht öffentlich und spielt daher auch keine Rolle“, schrieb er unserer Zeitung. „Immerhin sollen Fakten diskutiert werden und keine parteipolitischen Aspekte.“ Doch mit seiner Sicht der Fakten liegt Greim weitgehend auf der Linie der Partei. Alles halb so schlimm – das ist, mal wieder, der Tenor seiner vorab verbreiteten Stellungnahme.

Aus toxikologischer Sicht spreche nichts gegen eine Lockerung des Grenzwertes: eine Stockstoffdioxid-Konzentration von 50 Mikrogramm sei „auch für empfindliche Personen nicht gesundheitsschädlich“. Angaben zu Erkrankungen beim Überschreiten der 40 Mikrogramm seien ohnehin „mehr als fraglich“. „Problematisch“ findet Greim hingegen verkehrsnah aufgestellte Messstationen wie in Stuttgart; die Werte von dort seien keineswegs repräsentativ für die Dauerbelastung der Bürger. Überlegungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Grenzwerte zu senken, sind für ihn „nicht begründbar“.

Grüne raten zu „gutachterlichem Ruhestand“

Bei den Grünen, die als Experten einen auch für die Deutsche Umwelthilfe tätigen Rechtsanwalt nominiert haben, stößt Greim damit auf scharfen Widerspruch. WHO-Experten hätten schon 2013 festgestellt, dass bereits ab 20 Mikrogramm mit „gesundheitsrelevanten Wirkungen“ zu rechnen sei, sagt die Abgeordnete und Umweltexpertin Bettina Hoffmann. Der geltende Grenzwert sei also „eher zu lasch als zu streng“.

Ihr Fraktionskollege Ebner hofft derweil, dass es für Helmut Greim der letzte Auftritt im Bundestag wird. Für den Professor sei es angesichts diverser „Verstrickungen“ mit der Industrie höchste Zeit, nun „endlich in den gutachterlichen Ruhestand zu treten“.