Lange dauert es nie. Auch heute sammeln sich die fünf Musiker erst kurz vor dem Auftritt, schnaufen nach dem Aufstieg tief durch, lockern die Lippen und schauen sich dann in Ruhe die ausgeteilten Noten an. Langes Üben? Nicht nötig. "Wir sind Profimusiker", sagt Peter Kuchar, der Bassposaunist. Dann treten die Männer auf den engen Umlauf des Turmes und blasen Ewigkeiten und Donnerworte einmal Richtung Süden, einmal gen Westen zur Karlshöhe und ein letztes Mal in Richtung Killesberg. In einer der Pausen klatschen unten zwei Frauen vor einer Edelboutique. Und wie immer öffnen sich ein paar Bürofenster.

Die Turmbläserei hat ihre Helden


Die Turmbläserei hat nicht nur eine lange Tradition, sie hat auch ihre Helden. Da ist zum Beispiel Johann Wilhelm Mayer, der sich nach den Gräueln des Dreißigjährigen Krieges zunächst weigerte, vom Turm zu blasen. 1659 wagte er dann doch den Aufstieg und blies von da an dreimal täglich von der Stiftskirche, wofür er mit einer für die damalige Zeit horrenden Summe entlohnt wurde, wie Siegfried Steiger in einem Skript festhält. Und dann ist da noch Franz Rixrath, der bis in das Kriegsjahr 1944 hinein zweimal am Tag den Stiftsturm bestieg und spielte. Insgesamt fünfzig Jahre lang. Rixrath starb im Jahr 1949 fast unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Die Geschichten, die die Turmbläser und freiberuflichen Musiker heute erzählen, sind von ganz anderer Art. Sie handeln von eingefrorenen Fingern an klirrenden Wintertagen, von im Wind davonfliegenden Notenblättern, von toten Tauben im Gesims. "Das Schlimmste ist, wenn man wegen einem Stau zu spät dran ist und dann in drei Minuten den Turm hochhetzen muss", erzählt der Trompeter Frederic Rabold mit einem Augenzwinkern.

Die Erzählungen handeln aber auch vom langsamen Schwinden der Turmbläserei: "Es gab Zeiten, da haben wir an zwei Tagen von der Stiftskirche und an dreien vom Tagblattturm geblasen", sagt Siegfried Steiger. Geblieben sind Dienstag und Donnerstag auf dem Turm der Kirche. Dabei lehrt den Trompeter die Erfahrung: manchmal berührt ein vom Kirchturm herabschallender Choral, selbst wenn er von kirchenfernen Musikern vorgetragen ist, mehr als eine Predigt. "Einmal kam ein Mann zu uns, der zwei Jahre zuvor seine Tochter verloren hatte. Unser Spiel hat ihn so berührt, dass er zum Glauben zurückgefunden hat."