Tradition im Kreis Esslingen Die Schwaben kannten den Maibaum nicht
Der Maibaum, eine uralte Tradition im Schwäbischen – oder etwa doch nicht? Auf Spuren- und Schwanksuche im Landkreis Esslingen.
Der Maibaum, eine uralte Tradition im Schwäbischen – oder etwa doch nicht? Auf Spuren- und Schwanksuche im Landkreis Esslingen.
Die Maibaumtradition?“ – der Kollege aus dem Raum Würzburg kommt ins Schwelgen. In Franken gilt es für junge Männer, den Maibaum nachts zu bewachen. „Einmal haben wir es geschafft, den Baum aus dem Nachbardorf zu klauen“, erzählt er kopfschüttelnd. Da sei immer viel Bier und die ein oder andere Rauferei im Spiel gewesen. Hierzulande geht es um den 1. Mai weniger schlagkräftig zu: In einigen Städten und Gemeinden im Kreis Esslingen wird ein Mai- oder Handwerkerbaum gestellt, was meist mit einer Hocketse gefeiert wird. Nächtlicher Diebstahl gehört eher nicht zum Brauch. Auch im Aichwalder Ortsteil Krummhardt wurden an diesem Freitag auf dem Platz vor dem Dorflädle die Ärmel hochgekrempelt, um die zuvor entastete und mit einem Kranz, Bändern und Symboltafeln geschmückte Tanne in die Senkrechte zu bringen. Woher die Tradition des Maibaums rührt? „Die haben wir praktisch geklaut“, sagt Dennis Münch, der Vorsitzende des Dorflädle-Vereins fröhlich im Telefoninterview wenige Tage zuvor.
In Krummhardt wurde der mutmaßlich erste Gemeinde-Maibaum 2017 aufgestellt. Eine länger zurückliegende Maibaum-Tradition gibt es derweil nach Kenntnisstand von Gudrun Münch – Ehrenamtliche im Dorflädle sowie Mutter des Vereinsvorsitzenden – in der Schurwaldgemeinde nicht. Und anderswo?
Früher dran waren die Heimatvertriebenen der Egerländer Gmoi in Wendlingen mit Unterstützung anderer Vereine im Ort. „Mein Vater war stolz, dass früh die Tradition aus dem Egerland in Schwaben wiederaufgenommen wurde“, erinnert sich Mathias Rödl, Vorsitzender der Egerländer Gmoi, an seinen Vater Horst Rödel. Großvater Anton wiederum hatte die erste Maibaumfeier in Wendlingen 1950 initiiert. Das Stellen, das in diesem Jahr leider wetterbedingt ausgefallen ist, erfolgt mittels sogenannter Schwalben – Stangenpaare in unterschiedlicher Länge, die in der Mitte mit einer Kette verbunden sind. In den 50ern habe es im Umkreis von Wendlingen noch keine Maibäume gegeben, sagt Mathias Rödl. „Mein Vater sagte immer: Die Schwaben kannten das alles nicht.“
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Damit könnte Horst Rödl recht gehabt haben. An Neckar und Fils, auf dem Schurwald, den Fildern und der Alb werden Maibäume gestellt. Doch eine schnelle Internetsuche zeigt: Im Gegensatz zu vielen Orten in Bayern scheinen die hiesigen Traditionen meist nicht allzu weit zurück zu reichen. Gemeinde-Maibäume scheine es hierzulande kaum gegeben zu haben, schreibt Herbert Schwedt in seinem Buch „Schwäbische Bräuche“, 1984 erschienen im Verlag W. Kohlhammer. Demnach setzten erst die Nationalsozialisten im Dritten Reich den Maibaum als Einheitsbrauch in ganz Deutschland ein. Nach dem Krieg hörte das Aufstellen auf. „Erst in den sechziger Jahren lebte es wieder auf, nun im Sinne einer folkloristischen Wertschätzung auch neuer Bräuche.“ Darauf deuten nach Angaben von Gabriele Mühlnickel-Heybach vom Kreisarchiv auch die Eintragungen in den Gemeindearchivverzeichnissen hin, für die ihre Behörde verantwortlich ist. „Dass auch schon früher Maibäume im Kreis Esslingen aufgestellt wurden, kann ich aber nicht ausschließen.“
Doch welche Bedeutung hat das Maibaumstellen? „Es ist ein Zeichen dafür, dass die warme Jahreszeit beginnt“, sagt Susanne Martin, Leiterin des Plochinger Kulturamtes. 2020 stand der Maibaum hier kurz zur Disposition – der Tanz in den Mai findet nicht mehr um den Baum vor dem Alten Rathaus, sondern in der wetterbeständigen Stadthalle statt. Macht das Stellen da noch Sinn? Doch der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats entschied knapp für den Maibaum. Und als Corona kam, fand es die Rathausverwaltung umso wichtiger, in der Krise ein Stück Brauchtum zu erhalten.
Auch in Reichenbach wird an diesem Wochenende wie schon seit 1985 gestellt, allerdings ein Handwerkerbaum. Er zeige, welche Gewerke es im Ort gebe, erklärt Ifotta Keller von der verantwortlichen Werbeinitiative Reichenbach (Wir). „Heute ist es vor allem eine Veranstaltung, bei der man das Zusammensein pflegt.“ Ähnlich wird das in Sirnau gesehen: Das Fest sei zwar nicht das einzige im Ort, aber das einzige, an dem alle Vereine beteiligt seien, sagt Karl Langpeter, der beim ersten Maibaumstellen 1996 als Mitglied des Bürgerausschusses beteiligt war. „Es ist ein Ereignis, bei dem man sich heimisch fühlen kann“, ergänzt Simone Sauer, die mit anderen Frauen den Kranz für den Maibaum flicht. In diesem Jahr nach der Coronapause sei es eine Rückkehr zu Normalität und Gemeinschaft. Ob der Sirnauer Maibaum schon mal abhanden kam? Karl Langpeter lacht. „Ein Diebstahl kam bei uns bislang nicht vor. Unser Maibaum ist fest verankert. Die Diebe müssten mit großem Werkzeug kommen.“
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