Wie sehr ehemalige Einzelhandelsikonen wie Lerche und Radio Barth vermisst werden, zeigen die zahlreichen Zuschriften der Leser der Stuttgarter Zeitung. Wir fassen einige Meinungen zusammen – und zitieren manch düstere Vorahnung.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Stuttgart - Die Lerche, das Stuttgarter Fachgeschäft für Audiobedarf und alles rund um die Musik, erfreut sich bei den Lesern der Stuttgarter Zeitung auch zehn Jahre nach der Schließung des letzten Ladens großer Beliebtheit. „Wir sind aus dem tiefsten Schwarzwald mit dem Zug über Freudenstadt nach Stuttgart gefahren um den Tag in der Lerche zu verbringen. Hab heute noch LPs mit dem Preisschild drauf. War was ganz besonderes“, erinnert sich ein Leser unserer Zeitung.

 

Die StZ hatte anlässlich der Schließung zweier Stuttgarter Traditionsgeschäfte – Haufler am Markt und Hirrlinger – einen Aufruf an die Leser gestartet: Schicken Sie uns Ihre Erinnerungen an alteingesessene Fachgeschäfte in Stuttgart. Dutzende Leser kamen dem via Facebook, per Mail an die Redaktion oder in Leserbriefen nach. Wir präsentieren hier eine Auswahl der Antworten.

Die mit großem Abstand meisten Zuschriften bezogen sich auf die Lerche. Der eingangs zitierte Leser ist nicht der einzige, der von weit herkam und viele Stunden in dem Laden verbachte: „Ich erinnere mich gerne daran, wie ich oft in einem der Lerche Plattenläden bei einer Cola die neuesten LPs gehört und auch gekauft habe. Nach der Berufsschule mit einigen Jungs und Mädchen zum Platten hören, das war toll“, schreibt ein anderer.

Von einem „geradezu sinnlichen Erlebnis, in den Massen von Vinylplatten zu stöbern“, berichtet ein Leser. „Der Laden war mein EL-Dorado. Dort habe ich mit fünf Jahren meine erste LP mit Baccara gekauft und zwischen dem sechsten und 32. Lebensjahr genau 368 Opernaufnahmen und Klassik-LPs und über 60 CDs“, ergänzt eine Leserin. Die Erinnerungen sind noch äußerst detailliert und lebendig und zeigen, wie gerne die Lerche bei einem Bummel durch die Stuttgarter Innenstadt angesteuert wurde.

Zumal es nicht nur einen Laden gab. Die Musikfans hatten die Möglichkeit, gleich in drei verschiedenen Stores zu stöbern – und davon wurde fleißig Gebrauch gemacht. „Nie kam ich ohne Platte oder CD heraus. Nie wieder habe ich so viele Schallplatten und CDs gekauft wie dort! Ich vermisse den Laden noch heute“, sagt ein Leser und ergänzt: „Und vor allem: Die Lerche hatte kompetentes Personal – die kannten sich aus – und konnten immer helfen! Sogar Klassik war kein unbekanntes Land für die Verkäufer. Wo findet man das heute noch?“

Beratung bei Radio Barth, kaufen bei Lerche

Doch war die Lerche wirklich erste Wahl in Sachen Service? Die Meinungen sind gespalten: „Meine Erinnerungen sind nur negativ: überfüllte und chaotische Läden, unfreundliche Bedienung an der Kasse, die Angestellten waren nicht hilfreich“, betont ein Leser.

Beratung holten sich viele ehemalige Kunden bei einem anderen Fachgeschäft: Radio Barth. „Gute Beratung gab es bei Radio Barth und gekauft wurde bei Lerche. So war das damals“, erinnert sich ein Leser. Mit seiner Meinung steht er nicht alleine da: „Zu Zeiten von Radio Barth hat der Qualitätseinkäufer über die Lerche als Großdiscounter ohne Beratungskompetenz hergezogen. Bei Barth beraten, bei Lerche billig kaufen war damals das Motto.“

Egal ob das erste Mischpult, hochwertige Kopfhörer oder Videorekorder: auch Radio Barth ist ein Geschäft, das viele Kunden vermissen. Und wie bei Lerche sind die Erinnerungen an den Laden am Rotebühl-Platz nach wie vor präsent: „Ich kann mich noch gut an den Kauf meines ersten Videorekordes beim Barth erinnern. Ein sehr seriöser und kompetenter Verkäufer hat auf meine meine Frage ‚Ich suche einen Videorekorder’ geantwortet: ‚Die müssen Sie bei uns nicht suchen, stehen alle ordentlich nebeneinander im Regal.’“

Viele Leser erinnern sich gerne an den Service, die Nähe zum Kunden und die gute Beratung und bemängeln im Zuge dessen die seelenlosen Großmärkte, die zwar meist mit einem großen Angebot locken, aber den fehlenden Charme dadurch nicht kompensieren können. „Null Kundenservice, total überzogene Preise und wenn man Fragen hat heißt es nur: ‚Ja, weiß ich nicht’. Wer geht da noch in die Stadt? Ich gebe gerne mehr aus, wenn man mit Fachkenntnis und Service trumpfen kann, aber das gibts in meinem Städtle leider nicht“, ärgert sich ein Leser über die modernen Elektromärkte und ein anderer ergänzt: „Leider hat eine Entwicklung eingesetzt, in der die persönlichen Kontakte zum Kunden nicht mehr gepflegt werden. Die Elektronikmärkte versprühen eine Austauschbarkeit der Waren und der Menschen.“

Ist der Internet-Handel an allem Schuld?

Auch wenn moderne Elektronik-Händler gerne mit Geiz und niedrigen Preisen werben, billiger als bei der Lerche sind die CDs heutzutage nicht – zumindest gefühlt. „Sehr beachtlich ist, dass Lerche sehr viel billiger verkauft hatte als Media Markt und Co. Hier sieht man, laut genug kann man viele für Dumm verkaufen“, meint ein Leser.

Über die Gründe für das Verschwinden von immer mehr Einzelhändler aus der Stadt, können die vielen ehemaligen Kunden nur mutmaßen: die einen meinen, dass „in Zeiten der Globalisierung jeder sein Geld zusammenhalten muss“ und mehr im Internet oder bei den großen Ketten eingekauft wird. Andere sehen die hohen Mietpreise als Grund für das Sterben der Einzelhandelsikonen.

Schon damals mussten kleine Läden dicht machen

Dass es auch zu Hochzeiten von Lerche und Radio Barth einen Verdrängungswettbewerb gab, haben einige Leser unserer Zeitung nicht vergessen. „Die Lerche hat ihrerseits auch viele kleine Hifi-Geschäfte und Plattenläden zum Aufgeben gebracht. Nur dann kamen halt noch größere Firmen und das Internet und haben diese Geschäfte überrollt.“ Ein Leser unserer Zeitung merkt an: „Lerche war nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Der Laden war damals der Preis-Dumper und führte zu Umsatzverlusten bei Radio-Grüner und Radio Barth, was letztlich deren Ende war.“

Doch die großen Ketten einfach links liegen lassen? Für viele Konsumenten kam und kommt das nicht in Frage. „Wer kauft bei Tante Emma und meidet Edeka oder Rewe? Wer kauft seine Schuhe bei einem kleinen Laden mit irre guten, aber auch teuren Schuhen aus Mailand, und wer bei Deichmann?“, fragt eine Leserin. „Jeder Einkauf von uns ist ein Stück weit eine Abstimmung darüber, wie es weitergeht. Der Mehrheit, so scheint es, ist der Preis wichtiger, als alles andere.“

Nicht nur Barth und Lerche werden vermisst

Viele Stuttgarter finden, dass das Verschwinden der Einzelhändler die Innenstadt nicht gerade attraktiver macht. Und einer, der gar nicht mehr in der Stadt lebt, schreibt: „Bei jedem Besuch fällt mir sofort auf, welches Geschäft es schon wieder nicht mehr gibt. Meistens werden sie durch ‚seelenlose’ Geschäfte (Geschäftsideen) ersetzt, von denen es ja schon jede Menge gibt.“

Nicht nur die Schließungen von Radio Barth und Lerche werden betrauert, auch das Fehlen von anderen Geschäfte – vor allem Spielzeugläden.

„Es gab früher tolle Spielwarenläden. Einer hieß, soweit ich mich erinnere, Homolka. Dann gab es noch einen am Schlossplatz im Königsbau, da hab ich die letzten ‚Matador’-Baukästen aufgekauft“, schreibt ein Leser.

Andere wünschen sich bereits lange geschlossene Geschäfte zurück: „Am meisten vermisse ich Zahn & Nopper in der Tübingerstraße. Dort gab es einfach alles: Haushaltwaren, Heimwerkerbedarf, Sanitär, Holzzuschnitt, Gartenbedarf, Autorennbahnen und Modellbahnen“, schreibt ein Leser.

„Bleibt nur zu hoffen, daß sich wenigstens das Buchhaus Wittwer trotz der Konkurrenz von Hugendubel wird halten können!“, schreibt ein Leser. Die Ahnung, wie es noch weitergehen wird, formuliert eine Leserin so: „Dass sich die Käufer in den Riesen-Kaufhäusern aufhalten wollen, glaube ich bei den Älteren nicht, bei den Jüngeren, die nicht mehr so empfindlich sind, kann ich es mir noch eher vorstellen. Aber es wird traurig werden.“