Die Familie Greguric, die fünf Jahrzehnte lang im Plattenbühl kroatische Küche serviert hat, sucht einen Käufer für das besondere, geschichtsträchtige Gebäude.
Wenn ein Gebäude einen Spitznamen trägt, dann handelt es sich ganz gewiss um eines, das in der Gegend jeder kennt. Das „Ellabögle“ ist so eines. Manche nennen es auch „kleines Rathaus“, weil früher dort Stadträte nach ihren Sitzungen ein und aus gegangen sein sollen. „Ellabögle“ heißt es wohl aufgrund seiner Form: Spitz sticht das Gebäude an der Poststraße aus dem Künstlerviertel hervor, jenem einstmals kultigen Böblinger Szeneviertel, in dem in den 1980er und -90er Jahren abends der Bär steppte. Es verknüpft die Enge Gasse mit der Breiten Gasse und setzt mit seiner trapezartigen Form und der sonnengelben Farbe ein Ausrufezeichen am Fuße des Schlossbergs.
Ein Anziehungspunkt war über viele Jahre hinweg die Gastronomie, die im Erdgeschoss dieses besonderen Hauses untergebracht ist. Der Böblinger Heimatforscher Hans-Jürgen Sostmann geht davon aus, dass dort bereits ab dem Jahr 1873 ein Lokal geführt wurde. 1908 kaufte der Mechaniker und Wirt Ernst Kögel das Gebäude und führte dort einige Jahrzehnte eine Weinstube. Im Kriegsjahr 1941 musste er sie, wie viele andere Wirte auch, wegen Bier- und Weinknappheit für einige Zeit schließen. Später führten seine Frau Luise Kögel und ab 1950 seine Schwester Klara Wirth die Weinstube Kögel weiter.
Neuanfang im „Ellabögle“: Die Gregurics prägen die Geschichte
1975 begann eine neue Ära: Ljubica und Ivan „Ivo“ Greguric, ein Ehepaar aus Stuttgart-Untertürkheim mit kroatischen Wurzeln, kaufte das markige Gebäude. Sie eröffneten dort zunächst eine Kneipe, in der es Kleinigkeiten wie Gulaschsuppe zu essen gab. Von 1978 an führten die Gregurics das Lokal unter dem Namen „Plattenbühl“, so wie eigentlich der Stadtbereich rundherum genannt wird. „Ich wollte das Restaurant nicht nach unserer Heimatstadt nennen, wie viele andere das machen“, sagt Ljubica Greguric. „Die Frau vom Bäcker hat mir den Tipp mit Plattenbühl gegeben.“
Das Ehepaar teilte sich auf: Sie stand in der Küche, er kümmerte sich um die Gäste. Ljubica Greguric war berühmt für ihre Cevapcici, aber auch für ihren Rostbraten. „Uns haben die alten Schwaben so gemocht“, sagt die 79-Jährige und erinnert sich an harte, arbeitsreiche Jahre. „Aber es war eine schöne Zeit.“
Von 2011 bis 2019 führte ihr Sohn Denis das „Plattenbühl“ weiter. Doch als Ivo Greguric starb und kurz darauf der Koch Miro, der Ljubica Greguric „wie ein drittes Kind“ ans Herz gewachsen war, schloss die Familie das Lokal. Seit mittlerweile fünf Jahren ist die Küche kalt, in der urigen Gaststube mit Fachwerkbalken und Kachelofen sind die Stühle aufgestuhlt. Draußen vergilbt der Aushang der Speisekarte mit Gerichten wie „Balkanplatte“, „Zagreb-Spieß“ oder „Lustiger Bosniak“. Direkt darüber pinnt ein Schild, auf dem „zu verkaufen“ steht. Ljubica Greguric und ihre Kinder Denis und Natalia trennen sich nach fünf Jahrzehnten von der Immobilie und haben den Makler Werner Kimmerle mit dem Verkauf beauftragt. Er nennt das Gebäudeensemble „sehr, sehr außergewöhnlich“. Für 1,25 Millionen Euro ist es auf einem Immobilienportal im Internet gelistet.
Es ist ein Schritt, der Ljubica Greguric nicht leicht fällt. Die 79-Jährige sitzt an dem großen Holztisch neben der Bar und blättert in einer Kiste mit alten Fotos. Festliche Tafeln sind zu sehen, fröhliche Gäste und Bilder von der Baustelle, als die Gregurics zwischen den Altbau (das vordere, denkmalgeschützte Gebäude von 1730) und den Neubau (der hintere Hausteil von 1985) eine Verbindung bauten. Seither sind die beiden Gebäudeteile miteinander verschmolzen und beherbergen zusammen neben dem Wirtsraum und der Gastroküche eine Drei-Zimmer- und eine Vier-Zimmer-Wohnung sowie drei Einzelzimmer mit gemeinsamem Bad.
Ljubica Greguric liegt am Herzen, dass sich ein Käufer findet, der die Gastlichkeit im „Ellabögle“ weiterhin großschreibt und die Geschichte des Hauses wertschätzt. Wer das nicht tut, an den verkauft sie nicht, sagt die resolute Frau und erzählt davon, wie vor Jahren ein Interessent einen vietnamesischen Imbiss einbauen und alle Holzbalken rot anstreichen lassen wollte. Da habe sie abgelehnt. „Das sind 400 Jahre alte Eichenbalken!“, empört sie sich. Aber sie weiß, dass es Zeit ist, loszulassen und sich von dem Gebäude zu trennen. Sie lacht und sagt: „Nur wenn ich im Lotto gewinne, dann behalte ich und lasse das richten.“
Besondere Geschichte eines besonderen Hauses
Beginn
Laut dem Heimatforscher Hans-Jürgen Sostmann wurde das Gebäude an der Engen Gasse 1 zwischen 1665 und 1707 gebaut. Damals lag es noch außerhalb der Stadt in der Oberen Vorstadt, im Gewann Plattenbühl. 1707 wurde der Bäcker Christian Scheyhing als Besitzer vermerkt; möglicherweise war ab dann eine Bäckerei untergebracht. 1873 übernahm der Bäcker und Wirt Rebmann das Gebäude. Sostmann vermutet, dass von da an eine Weinstube oder sogar Gaststätte eingerichtet wurde.
Tankstelle
Nach einigen Besitzerwechseln ging das Gebäude 1908 an den Mechaniker und Wirt Ernst Kögel. 1933 übernahm er zusätzlich ein Gebäude an der Stuttgarter Straße 9-11 und betrieb dort eine Autowerkstatt. Direkt vor der Weinstube richtete er eine Tankstelle ein und warb er mit dem Spruch: „Prima Küche, naturreine Weine, Aral-Tankstelle.“