Träume, die wahr wurden Früher war er Tempelritter: Wie ein Ex-Elitesoldat für seine Traumwelt kämpft

Kämpfen für ihren Traum: Swen Werner von Schmalzried und seine Frau Cora. Foto:  

Als Elitefallschirmspringer hat der Stuttgarter Swen Werner von Schmalzried das Abenteuer gesucht – und als Ritter seine Liebe gefunden. Ein Anschlag hätte jedoch Vieles fast zerstört.

Bedächtig, fast andächtig schlüpft er in sein feuerrotes Gewand, schnürt die schwarzen Wildlederstiefel, bindet seine langen Haare zum Zopf, legt den Waffenrock um und die Brille ab. Dann zieht er behutsam das Kettenhemd und den zehn Kilogramm schweren Helm über den Kopf.

 

„Wow, abgefahren, können wir Bilder machen?“ Zum ersten Mal hört Swen Werner von Schmalzried diese Frage, als er 2017 mit seinen „Freunden des Mittelalters Württemberg“ über den Esslinger Weihnachtsmarkt läuft. „Ich war daran gewöhnt, dass Menschen mich komisch finden. Aber plötzlich sahen sie das Besondere an mir“, erinnert sich der 49-Jährige. Seine Stimme klingt dumpf und etwas atemlos – das Gewicht des Helmes fordert seinen Tribut.

Er lebt in seiner Traumwelt

Will den Tod seines Vaters rächen: Herzog Swenson von Falkenhorst. Foto:  /Janina Drewes

Professionell posiert er für ein paar Fotos, dann nimmt er den Kopfschutz ab. Schließlich benötigt der Darsteller einen langen Atem, wenn er mit Gleichgesinnten über unrealistische Hollywood-Schwertkämpfe fachsimpelt.

In solchen Momenten wird ihm klar: Er fühlt sich angekommen, angenommen. Der Stuttgarter lebt nicht nur seinen Traum, er lebt in seiner Traumwelt – und er hat sie sich selbst geschaffen.

Abenteuerdurst seit Kindheitstagen

Während sich andere Menschen auf eine friedliche paradiesische Insel wünschen würden, wo die größte Gefahr von fallenden Kokosnüssen ausgeht, träumt sich Swen von Schmalzried an einen gnadenlos düsteren Ort, wo Leiden und Lebendigkeit untrennbar miteinander verbunden sind.

Als Swenson von Falkenhorst ist er besessen. Seine dunklen Augen blitzen zornig. Der Durst nach Rache hält den Tempelritter in Atem, seit feindliche Truppen sein Zuhause in ein Flammenmeer verwandelt haben. Als Swen Werner von Schmalzried ist er berauscht. Seine hellbraunen Augen funkeln begeistert. Der Durst nach Abenteuern hält ihn in Atem, seit er denken kann.

„Ich hatte schon immer einen Hang zum Extremen“, erklärt der ehemalige Elitesoldat. Seine risikofreudige „Ganz-oder-gar nicht“-Neigung führt ihn in jungen Jahren nach seiner Schlosserlehre in eine Spezialeinheit der Bundeswehr. Nach intensiver Kampfsportausbildung landet er beim Fallschirmjägerregiment – und springt fortan aus hunderten Metern Höhe in feindliche Gebiete, jederzeit bereit für den Kampf.

Fallschirmspringer – und Scharfschütze

Deshalb werden Fallschirmjäger auch als Scharfschützen ausgebildet. Dafür müssen sie einen 7000-Meter-Lauf mit 20-Kilo-Gewicht in maximal 52 Minuten bestehen. Kein Problem für den Extrem-Athleten, dessen Körper Aufprallkräfte von mehreren hundert Kilogramm abfangen kann.

Ebenfalls gefordert wird eine „hohe Frustrationstoleranz“. Das bedeutet: Menschen so nah zu kommen, dass man jede Sorgen-, jede Lachfalte in ihrem Gesicht erkennt – und sie dann erschießt. Swen Werner von Schmalzried wendet den Blick ab. „Das konnte ich einfach nicht.“

Absprung gewagt

Ein letztes Mal wagt er den Absprung – im Jahr 2000 kehrt er der Bundeswehr den Rücken und in seinen Schlosserberuf sowie seine Heimatstadt Stuttgart zurück. Der Realität den Rücken kehren – dafür liebt Swen Werner von Schmalzried sein Mittelalter-Hobby. Arbeit, Stress, Smartphone – und tägliche Kriegserinnerungen: All dem entkommt er, sobald er in das aufregende Leben eines Tempelritters fernab der Moderne schlüpft.

Foto: Swen Werner von Schmalzried

Bei dem Weltenbummler weiß man nie genau, welchen Zeitgenossen man gerade trifft. Fakten und Fiktion verschwimmen bereits in seinem Namen: „Herzog Swenson von Falkenhorst ist mein Pseudonym. Aber Swen Werner von Schmalzried, so heiße ich wirklich. Ich stamme aus einer Adelsfamilie.“

Zu strikte Vorschriften

Der Rittersnachfahre ist 32 Jahre alt, als er sich 2008 auf dem Peter-und Paul-Mittelaltermarkt mit der Faszination für mittelalterliche Rollenspiele ansteckt – doch es dauert acht weitere Jahre, bis sie bei ihm ausbricht. „Keine Ahnung warum, aber 2016 wollte ich unbedingt der Szene beitreten.“

In der Region Stuttgart findet der Schlosser jedoch kaum Mittelaltervereinigungen. „Die wenigen, die es gab, wollten mir strikt vorschreiben, welche Rolle ich spielen soll.“

Kurzerhand gründet er seine eigene Gruppe und katapultiert das „Heerlager Falkenhorst“ ins 13. Jahrhundert. „Eine spannende Zeit. Wer wusste etwa, dass die Tempelritter damals das Bankensystem ins Leben gerufen haben?“ Bei aller Liebe fürs Altertum: Der Hobbyhistoriker weiß moderne Technologien zu schätzen. Er erstellt eine Website, wirbt auf Facebook und Youtube.

Das erste Mitglied wird seine Frau

Swen von Schmalzried ist ein Mann der Taten: Das erste Mitglied, das er anlockt, heiratet er. „Zwischen Cora und mir hat es sofort gefunkt. Das war natürlich unglaubliches Glück – ein wahrer Traumstart.“

Mittlerweile teilen die beiden ihren Mittelaltertraum mit 16 aktiven Mitgliedern, die dem Gründer lang ersehntes Gemeinschaftsgefühl schenken. „Nach meiner Zeit beim Bund habe ich mich stark zurückgezogen. Aber Cora hat mir geholfen, offen auf Leute zuzugehen und meine Einsamkeit zu überwinden.“

Foto: Swen Werner von Schmalzried

2017 macht er seiner geliebten Cora während eines Rockkonzerts auf der Bühne einen Antrag – Swen von Schmalzried liebt dramatische Auftritte.

Angst, andere zu verletzen

Die sind ihm auch sicher, wenn er als Show-Schwertkämpfer die Bühne betritt. Seit 2020 praktiziert er Schwertkampf nach dem offiziellen Kodex Belli: „Fitness, Reaktion, Konzentration – dieser Sport verlangt alles“, schwärmt er. Die Abläufe lernt der erfahrene Kampfsportler schnell.

Doch seine Expertise ist ein zweischneidiges Schwert: Als ehemaliger Elitekämpfer der Bundeswehr wurde er darauf konditioniert, im Kampfmodus ein schonungsloses Überlebensprogramm abzuspulen. Lange traut er sich nicht, Kampfsport in seiner Freizeit zu versuchen: „Ich hatte Angst, andere zu verletzen.“ Schließlich schafft er es mithilfe eines einfühlsamen Trainers, die Kontrolle über seine Bewegungen zurück zu erlangen.

Schwertkampftrainer

Inzwischen trainiert er selbst acht mittelalterliche Kämpfer. Ihre Künste präsentieren sie regelmäßig auf Veranstaltungen. Geld nimmt der Stuttgarter keines – weder für die Auftritte, noch für die Übungsstunden. „Für mich ist es Geschenk genug, meine Leidenschaft weitergeben zu können.“

Auch seine Frau ist durch ihn zur passionierten Schwertkämpferin geworden. „Übrigens im 13. Jahrhundert ganz normal“, betont er. „Wie sollten sich Frauen sonst vor Angreifern schützen, während ihre Männer auf Kreuzzug gingen?“

Stolzer Familienvater

Zur Zeit muss Cora von Schmalzried das Training allerdings pausieren – schwangerschaftsbedingt. Anfang Mai soll ihr drittes Töchterchen geboren werden. „Bei uns herrscht Frauenpower“, kommentiert der Familienvater – sichtbar stolz darauf, dass seine vier- und fünfjährigen Mädchen bereits emsig mit ihren Schaumstoff-Schwertern fuchteln.

Aktuell baut er seinen Töchtern eine Kinderburg. Auch sonst mangelt es ihm nicht an Projektideen: Bald will er dem Gruppennachwuchs Survivaltraining geben, einen altertümlichen Kräutergarten anlegen – und sogar eine eigene Schmiede eröffnen.

Plan Schmiederei

„Unsere Schwerter sind handgemacht. Sie kosten mehrere hundert Euro. Es wäre günstiger, sie selbst herzustellen.“ Als Schlosser weiß er, wie man heißes Eisen schmiedet. „So könnte ich Beruf und Hobby verbinden.“

Zukunftspläne wie dieser erschienen ihm vor drei Jahren undenkbar. „Damals stand der Verein kurz vor dem Aus.“

Swen Werner von Schmalzried schmiedet aktuell an einem Plan, um seine kostbaren Schwerter eigenhändig herzustellen. Foto: Janina Drewes

Es ist dein Leben

Im Sommer 2022 brennt nicht nur Swen von Schmalzried für seinen Traum – sondern auch das Vereinshäuschen. Swensons Schicksal teilend muss der Stuttgarter erleben, wie sein Rückzugsort in einem Flammenmeer aufgeht. Brandstiftung, die Täter unbekannt. Andersartigkeit weckt Zerstörungswut, das zieht sich durch die Menschheitsgeschichte. „Dieser Hass schockiert mich. Warum nicht einfach leben und leben lassen?“

Das Lager und die Kostüme: ein Haufen Asche, Schwerter und Knie weich – Swen und Cora von Schmalzried müssen sich entscheiden. Aufhören? Weitermachen? „Kurz haben wir gezögert. Dann dachten wir: jetzt erst recht.“

Foto: Swen Werner von Schmalzried

Sich gegen Widerstände zu wappnen und das eigene Glück zu verteidigen – dazu ermutigt er alle Träumer. „Egal, was andere von deinem Traum halten – wenn er dich erfüllt, kämpf darum. Es ist dein Leben. Du entscheidest, wer du sein willst“, rät Swen Werner von Schmalzried – Fallschirmspringer, Schlosser, Vereinsgründer, Herzog, Tempelritter, Schwertkampftrainer, Ehemann und Familienvater.

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