Die Würdigung Nelson Mandelas bei seiner Trauerfeier durch Staatschefs wie Barack Obama ist ein Bekenntnis und eine Verpflichtung zugleich. Der Südafrikaner hat Maßstäbe gesetzt für gutes Regieren: in Afrika und anderswo. Aber wer sind seine Jünger?

Stuttgart - Noch nach seinem Tod hat Nelson Mandela die Menschen zu versöhnen versucht – und es ist ihm gelungen. Die große Trauerfeier am Dienstag in Johannesburg hat die Vertreter der unterschiedlichsten politischen Strömungen der Welt vereint. Kaum erinnerbar, dass sich in den vergangenen Jahren rund 100 Staats- und Regierungschefs zum feierlichen, einhelligen Gedenken an einen Menschen an einem Ort versammelten. Es war in Johannesburg, dass der amerikanische Präsident Barack Obama dem kubanischen Präsidenten Raul Castro – dem jüngeren Bruder von Fidel Castro – auf dem Weg zum Podium die Hand zur Begrüßung schüttelte. Eine historische Geste nach einem halben Jahrhundert der Feindschaft zwischen beiden Ländern.

 

Der frühere US-Präsident George W. Bush erhob sich nach der Rede Obamas und spendete dem Demokraten Beifall. Unter den Trauergästen waren Entsandte von Ländern mit schwierigen Beziehungen – etwa Großbritannien und Simbabwe. Annäherung gab es auch im privaten Bereich: Mandelas Witwe Graça Machel, umjubelt im Stadion bei ihrer Ankunft, wurde von Mandelas Ex-Frau Winnie Madikizela-Mandela umarmt und geküsst.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat das Phänomen erkannt

Einer, dem das Frieden stiften kraft Amtes übertragen worden ist, UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, hat das Phänomen erkannt: „Er hat es erneut getan“, rief Ban Ki-Moon der Menge zu: „Seht Euch im Stadion um. Wir sehen Verantwortungsträger, die ganz gegensätzliche Standpunkte vertreten, Menschen aus allen Schichten. Sie sind hier vereint.“In den Reden ist die integre, beispielhafte Persönlichkeit Nelson Mandelas gewürdigt worden. Des Mannes, der Südafrika aus der Apartheid führte, der die Versöhnung schaffte und den einstigen Gegner nicht verstieß, sondern einband in die nationale Aufgabe. Natürlich lag das Augenmerk auf der Rede Barack Obamas – China hatte nur den Vizepräsidenten geschickt, Russland den Vorsitzenden des Föderationsrates.

Und Obama bewegte die Herzen der Südafrikaner. Nelson Mandela sei ein „Gigant der Geschichte“, der die Welt bewegt habe. Er habe dem Hoffen und dem Streben der Unterdrückten Ausdruck verliehen, er habe so wie US-Präsident Abraham Lincoln „sein Land zusammengehalten“. Klugheit und Beharrlichkeit hätten Mandela weitergeführt, sagte Obama: „Nichts was er erreichte, war zwangsläufig.“ Wie andere große Führer auch habe er „seinen Zorn diszipliniert“ und umgesetzt in Strategien und Handlungswege. Obama stellte auch das negative Gegenbild Mandelas vor – des politischen Führers, der sein Volk in Unfreiheit und Unfrieden lasse, sich zynisch und abfällig äußere.

Schon als junger Student sei Obama vom Freiheitskampf Nelson Mandelas „berührt“ gewesen

Besonders stark war Obamas Rede in der Passage, in der er Mandela als sein persönliches Vorbild darstellte und in der er indirekt auf seine afrikanischen Wurzeln hinwies. „Die USA und Südafrika haben den Jahrhunderte alten Rassismus überwinden müssen. Michelle und ich sind Zeugen davon.“ Schon als junger Student sei er vom Freiheitskampf Nelson Mandelas „berührt“ gewesen. Er habe ihn auf den Weg gebracht, auf dem er heute sei. „Er sorgte dafür, dass ich ein Besserer sein wollte.“ Mandela könne eine „geistige Größe in uns wecken“.

Nach Obama sprach die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef. Sie sagte, ihre Nation sei „stolz darauf, afrikanisches Blut in ihren Adern zu tragen“. „Mandela ist ein Vorbild für alle, die Freiheit, Gerechtigkeit und Weltfrieden anstreben“, sagt Roussef. Und Raul Castro, der Kubaner, stimmte kurz darauf das gleiche Lied an: Mandela sei beispielhaft für seine „persönliche Integrität und Autorität“, er sei das „ultimative Symbol für Würde und den revolutionären Kampf“.

Aber vor allem in Afrika werden Politiker an ihm gemessen werden

Der Trauerakt im FNB-Stadium war ein Beleg dafür, dass Mandela in seiner Beharrlichkeit und Versöhnungsbereitschaft weltweit als Vorbild angesehen wird. Aber vor allem in Afrika werden Politiker an ihm gemessen werden. Wer Mandela einst erlebt hat, wie er – beispielsweise – als Vermittler auf einer Friedenskonferenz zu Burundi in Nairobi auftrat, der spürte die Aura und das Charisma eines großen Staatsmannes. Wenn er den Saal betrat, war es plötzlich still. Er sprach wenig, aber die Konfliktparteien lauschten seinem Rat – den Worten eines Mannes mit natürlicher Autorität, ein „Big Man“ im positiven Sinne, ein Weiser aus dem Ältestenrat.

Afrikaweit ist in den Regierungsstellungnahmen und Medien der Tod des „großen Sohns Afrikas“ beklagt worden. Fast 40 afrikanische Länder hatten ihre Vertreter nach Johannesburg entsandt – darunter die ehemalige spanische Kolonie Westsahara, deren Status umstritten ist und dessen Gebiet Marokko beansprucht.

Wer die Jünger von Mandela in Afrika sind, bleibt noch offen

Seit Jahrzehnten wird auf dem Kontinent das „Good Governance“ – die saubere, gute Regierungsführung – als ein zentrales Anliegen auf dem Weg zur Entwicklung diskutiert. Mit der Neuen Partnerschaft für Afrikanische Entwicklung (Nepad), war vor einem Jahrzehnt ein System zur Einhaltung von „guter Regierungsführung“ geschaffen worden. Bisher blieb ihm der durchschlagende Erfolg verwehrt. Wer die Jünger von Nelson Mandela in Afrika sind, das bleibt noch offen. Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma, der im Stadion mit Buhrufen begrüßt wurde, scheint es nicht zu sein. Eine schonungslose Analyse hatte nach Mandelas Tod der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan gezogen.

Die Politiker Nigerias könnten sich mit Mandela gar nicht vergleichen, sagte er: „Viele von ihnen drohen, prahlen und spielen sich wie Halbgötter auf.“ Die Demut, den Willen zum Vergeben und das Streben nach Einheit, das Mandela an den Tag gelegt habe, stehe im scharfen Kontrast zum Verhalten nigerianischer Politiker: „Die betrachten Nigeria als ihr eigenes Schlafzimmer.“ Einsicht könnte der Weg zur Besserung sein, und man nähme Jonathan sein Bekenntnis zur Inspiration durch Mandela ab, wären da nicht die Ermittlungen der Kommission für Finanzkriminalität gegen seine Ehefrau.

Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf lobt Mandelas Courage und sein Streben nach Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit. Ähnlich auch die Reaktion im frankofonen Afrika. Er habe ihnen Mut, Widerstand und Vergebungswillen gelehrt, sagt der Präsident des Senegals, Macky Sall. Bei anderen Afrikanern hörte sich die Würdigung Mandelas nach Pflichtübung an: Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, einer der Reichsten im Land, gegen den ein Verfahren wegen Anstiftung zum Mord vor dem Internationalen Staatsgerichtshof läuft, meinte, dass Mandela „an die hehren Prinzipien von Gleichheit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt“ geglaubt habe. Das ist in der Vergangenheitsform gesprochen und klingt wenig nach Selbstverpflichtung. Aber auch Kenyatta war nach Johannesburg geflogen, um sich vor Nelson Mandela zu verneigen.