Gabriel Bieg aus Fellbach hat völlig unerwartet seine Tochter verloren. Die Trauer ist groß, doch der 45-Jährige nutzt seine Kraft, um anderen Trauernden zu helfen.
Es ist ein Albtraum – jeden Tag, auch drei Jahre später noch. Gabriel Bieg und seine Frau Verena haben das Schlimmste erlebt, was Eltern widerfahren kann und der 45-Jährige beschönigt nichts: Seit Tochter Lena im Dezember 2022 mit gerade mal neun Jahren völlig überraschend starb, ist nichts mehr wie es mal war. „Dass ein Kind ohne Vorerkrankungen innerhalb von 44 Stunden stirbt, ist einfach nur beschissen und fürchterlich sinnlos“, sagt er.
Aber der 45-Jährige wusste trotz des unbeschreiblichen Verlusts sofort, dass das Leben weitergehen muss und dass er und seine Frau als Eltern weitermachen müssen – allein schon wegen Sina, ihrer jüngeren Tochter. „Wir müssen nicht nur, sondern wir wollen für Sina weitermachen. Sie meistert das grandios und hat das Recht auf unbeschwerte Augenblicke. Sie zu erleben gibt uns Kraft und lässt uns besser damit umgehen.“
Gabriel Bieg bietet in der VHS einen Austausch für verwaiste Eltern an
Diese Kraft möchte Gabriel Bieg auch an andere Eltern in Trauer weitergeben. Deshalb bietet er in Waiblingen bei der VHS Unteres Remstal einmal im Monat eine Gruppe mit dem Titel „Halt in der Trauer – Austausch für verwaiste Eltern“ an. „Ich bin kein Trauerbegleiter, aber ich habe die persönliche Erfahrung und sehe meine Aufgabe im Organisieren, damit sich eine Community bildet und die richtigen Leute zusammensitzen und niederschwellig und geschützt miteinander sprechen können.“ Anfangs habe er nur mit einer Frau dagesessen. Nach und nach kamen immer mehr. „Solche Hilfsangebote sind rar. Es gibt eher was für verwitwete Ehepartner. Aber bei verwaisten Eltern ist ein ganz anderer Gesprächsbedarf.“
Und sprechen tut gut und kann enorm helfen, das weiß Gabriel Bieg. Auch über Lena wird täglich gesprochen. „Sie war so ein Sonnenschein und so ein super soziales Kind, da fallen uns täglich Stories ein. Sie ist ein Teil von uns und das wird sie immer sein.“ Es gebe Tage, da falle es leichter mit dem Verlust umzugehen und andere, da sei es besonders schwer. Für alle drehe sich das Rad weiter, aber sie hätten jetzt ein Leben mit Lena und eines ohne sie. „Wir müssen uns zu dritt neu finden. Es ist nichts mehr gleich. Wir machen andere Urlaube, haben uns zum Beispiel einen Camper gekauft“, sagt Gabriel Bieg.
In der Trauergruppe werden Schicksale geteilt, aber es wird auch gelacht
Auch bei den Treffen der Trauergruppe ist es ein auf und ab. „Da werden schreckliche Schicksale erzählt und es gibt die Momente, mit Tränen in den Augen, aber es wird auch gemeinsam gelacht.“ Gabriel Bieg geht dabei ganz offen damit um, dass er selbst ein Betroffener ist. „Wir starten immer mit einer Begrüßungsrunde, da erzähle ich das“, sagt der 45-Jährige, dem es wichtig ist, dass ihn die Trauergruppe nicht mehr Kraft kostet, als sie ihm gibt. „Wenn das mal anders rum ist, dann bin ich raus“, sagt der Geschäftsführer des TV Oeffingen, der über Daniel Rebmann von der VHS Unteres Remstal zu der Trauergruppe kam. „Eigentlich bekam meine Frau die Anfrage, ob sie sich das vorstellen könnte. Ich habe dann geantwortet und gleich das Gefühl gehabt, dass ich genug Kraft besitze, um das zu machen und anderen zu helfen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und sich auszutauschen.“
Alles begann im Dezember 2022
Er selbst tut das auf Nachfrage auch. Er erzählt einfach los – reflektiert und dennoch immer noch fassungslos angesichts der Chancenlosigkeit damals bei Lena, die aufgrund von Nebenwirkungen eines gängigen Medikaments eine Sinusvenenthrombose – also einen Verschluss eines großen, venösen Gefäßes im Gehirn durch ein Gerinnsel – entwickelt hat. „Das hatte so eine Wucht, und ihr Zustand hat sich so schnell verschlechtert. Aber wir hätten nichts anders machen können, die Rettungskette lief sehr gut.“ Alles fing an einem Donnerstag im Dezember 2022 an. Lena, die an einer chronischen Darmentzündung litt, aber davon nicht groß beeinträchtig war, fühlte sich an diesem Tag schlapp und war schläfrig. Als sie abends plötzlich erste neurologische Ausfälle zeigte, rief ihn seine Frau an und Gabriel Bieg, der zu dem Zeitpunkt noch unterwegs war, verständigte den Rettungsdienst.
Lena wurde daraufhin ins Rems-Murr-Klinikum Winnenden eingeliefert, ein MRT wurde gemacht. Bei der Bildgebung habe sich aber nicht abgezeichnet, was wirklich los war. „Eine Sinusvenenthrombose bei Kindern zeigt sich im MRT unter Umständen nicht so deutlich wie bei Erwachsenen. Sowohl in Winnenden wie auch im Olgäle haben die Ärzte keine Fehler gemacht und wir haben uns zu jeder Zeit sehr gut betreut gefühlt“, erklärt Gabriel Bieg. Sie sei dann nachts noch mit Blaulicht ins Stuttgarter Olgäle verlegt worden.
Der 45-Jährige erinnert sich, dass Lena gegen 23 Uhr noch gehen und sprechen konnte, ihr Zustand sich dann aber stündlich verschlechtert habe. „Es war ein Tsunami, alles ging so schnell wie bei einem Unfall.“ Freitags folgte eine weitere Bildgebung. Nachdem die Thrombose erkannt worden war, wurde sie noch operiert, aber das Mädchen konnte nicht gerettet werden. „Ich hatte am Samstagmorgen schon ein extrem schlechtes Gefühl.“
Geholfen hat Gabriel, Verena und Sina Bieg damals eine vierwöchige Reha für verwaiste Familien im Klinikum Tannheim im Schwarzwald-Baar-Kreis. „Sina ging da sogar in die Schule und war daheim dann auf dem aktuellen Stand.“ Auch Gabriel Bieg kehrte relativ schnell zurück an seinen Arbeitsplatz – ein wenig Halt durch Alltag und Struktur. „Aufgeben ist und war nie eine Option. Wir kämpfen weiter, und vielleicht kann ich in der VHS-Gruppe auch anderen Betroffenen ein wenig helfen bei ihrem Kampf.“
VHS Trauergruppe für verwaiste Eltern
Info
Die Trauergruppe für verwaiste Eltern (Kursnummer 25H12860) findet einmal im Monat von 20 bis 21.30 Uhr im Seminarraum 2.3 der VHS in Waiblingen statt (Bürgermühlenweg 4). Nächster Termin ist Montag, 6. Oktober. Das Angebot ist kostenlos, eine Anmeldung über die VHS ist aber erforderlich und unter der Telefonnummer 07151/958800 oder per Mail an info@vhs-unteres-remstal.de möglich. Weitere Infos gibt es auch auf der Homepage der VHS: www.vhs-unteres-remstal.de