Die Bezirksbeiräte fördern den Stuttgarter Ableger der bundesweiten Aktion „Coronatote sichtbar machen“ mit 200 Euro aus dem Budgettopf.

S-Mitte - Es herrsche eine große Stille am Gustav-Siegle-Haus jeden Sonntag, wenn die Kerzen für die Coronatoten brennen, erzählt der SPD-Bezirksbeirat Heinrich Huth. Die Lichter sollen an die Menschen erinnern, die seit dem vergangenen Jahr an oder mit dem Coronavirus verstorben sind. Die Anzahl der im Zusammenhang mit dem Erreger Verstorbenen hat schon Mitte April die Marge von 80 000 überschritten. Hunderte starben seitdem täglich im Zusammenhang mit einer Infektion. Das sonntägliche Gedenken im Schweigen und begleitet von Musikern wie Babs Steinbock oder Marcel Engel geht auf die Initiative des Journalisten Joe Bauer zurück. Die Kerzen brannten zu Beginn des Jahres auf dem Marienplatz.

 

Musiker begleiten Gedenken

Inzwischen wird auch vor dem Gustav-Siegle-Haus der Pandemieopfer gedacht. Veranstaltungen für die Coronatoten soll es laut Heinrich Huth im Mai ausschließlich dort geben. Der Bezirksbeirat Mitte will die Aktion nun mit 200 Euro aus den Budgetmitteln zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements unterstützen. Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle bestätigt das auf Anfrage. Der SPD-Bezirksbeirat Heinrich Huth hat die Veranstaltung vom Stuttgarter Süden in Absprache mit Joe Bauer in den Bezirk Mitte geholt. Er berichtete auch seinen Kollegen von der Aktion. „Die Initiative für die Förderung ist dann aus dem Bezirksbeirat gekommen“, sagt Huth. Die Kerzen seien bisher aus privater Kasse bezahlt worden, erklärt er. Nun soll es also Mittel aus dem eigenen Budgettopf des Bezirksbeirats Mitte dafür geben.

Bezirksbeirat bezuschusst Kerzen

Die ersten Kerzen für die Pandemieopfer in Deutschland brannten im Januar am Arnswalder Platz in Berlin. Der Autor und Journalist Christian Y. Schmidt ergriff die Initiative dazu. Er nannte als Beweggrund damals das Bestreben, die Toten als Einzelschicksale zu würdigen.

Idee entstand im Dezember

Der Autor wurde in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk Anfang Februar gefragt, ob ein selektives Gedenken an die deutschen Pandemieopfer diesen eine Sonderstellung einräume, die andere Verstorbene wie etwa im Mittelmeer ertrunkene Geflüchtete unsichtbarer mache. Er entgegnete, dass die Zunahme der Coronatoten im Monat Dezember beispiellos gewesen sei und deshalb eine Reaktion der Gesellschaft erfordert habe. Das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) vermeldete allein vom 1. bis zum 31. Dezember 21 672 Coronatote und damit mehr als in jedem anderen Monat seit Beginn der Pandemie in Deutschland.

Der China-Kenner Schmidt macht keinen Hehl daraus, dass er das chinesische Vorgehen in der Pandemie mit drastischen Einschränkungen in betroffenen Regionen zumindest bedingt als Vorbild betrachtet. Schmidts Meinung nach sei die deutsche Politik durch einen aus seiner Sicht zu laxen Umgang mit der Krise mitverantwortlich für viele Coronatote.

Es wird schweigend gedacht

Initiator Joe Bauer betonte dagegen im Januar, dass keine politische Idee mit dem Gedenken verbunden sei.

Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen findet, dass Gedenkveranstaltungen in der Coronakrise den Kreis der zu Betrauernden noch weiter fassen sollten. Es seien seit dem Ausbruch der Pandemie auch viele Menschen verstorben, weil sie aufgrund der Überlastung des Gesundheitssystems keine angemessene medizinische Behandlung erfahren hätten, erklärt Bormann. „All diese Menschen außerhalb des Scheinwerferlichts der öffentlichen Diskussion und medialen Berichterstattung dürfen nicht vergessen werden und sollten gerade bei einem öffentlichen Totengedenken auch ausdrücklich einmal erwähnt werden“, meint der Moraltheologe.

Initiator beklagte geringe Resonanz

Der Journalist Joe Bauer hatte im Januar auf dem sozialen Medium Facebook bemerkt, dass die Gedenkveranstaltungen im Januar auf weniger Resonanz vonseiten der Bevölkerung gestoßen seien als anderswo in der Republik.

Heinrich Huth spricht davon, dass aktuell bis zu zwanzig Personen im Abstand von fünf Metern zueinander beisammenstehen, wenn die Kerzen zum Gedenken entzündet werden. „Wir wollen ja ausdrücklich keine riesige Veranstaltung sein. Ein paar mehr Teilnehmer wären aber schon schön“, meint Huth.