In einem Statement auf Instagram wirft Ikke Hüftgold Sat.1 und ImagoTV vor, für den Dreh zu „Plötzlich arm, plötzlich reich“ Traumata von minderjährigen Protagonisten ignoriert zu haben. Der Sender und die Produktionsfirma haben sich nun dazu geäußert.

Volontäre: Annika Mayer (may)

Stuttgart - „Ich muss dringend etwas loswerden: Es geht um skandalöse Zustände bei Sat.1 und der ImagoTV GmbH“ – so beginnt Ikke Hüftgold ein knapp 19-minütiges Video auf Instagram. Der Schlagersänger, der mit bürgerlichem Namen Matthias Distel heißt, erhebt darin schwere Vorwürfe gegen den Sender und die Produktionsfirma, die für die Sendung „Plötzlich arm, plötzlich reich“ verantwortlich sind. Er selbst sollte an dieser TV-Show teilnehmen. Doch Distel brach den Dreh vorzeitig ab – aus moralischen Gründen. „Das Kindeswohl von zwei schwer traumatisierten Kindern wurde von den verantwortlichen Medienanstalten mit Füßen getreten!“, so der Vorwurf des Entertainers in seinem Statement.

 

Bei der Sendung „Plötzlich arm, plötzlich reich“ handelt es sich um ein Experiment: Eine wohlhabendere und eine ärmere Familie tauschen eine Woche lang den Wohnort und das Leben. Als Distel im Rahmen der Dreharbeiten das erste Mal die Wohnung seiner Tauschpaten betrat, in der auch vier Kinder leben, sei er entsetzt gewesen, schildert er auf Instagram: „Die Tatsache, dass wir nach zehn Minuten Aufenthalt weinend vor der laufenden Kamera standen, soll lediglich deutlich machen, welche Emotionen beim Anblick dieser Zustände aus uns herausbrachen.“

Zwei Kinder befinden sich in psychologischer Behandlung

Als Matthias Distel sich in der Wohnung umsah, habe er etwas entdeckt, das ihn besonders schockierte. „In der Wohnung hing ein Kalender, der die letzten sechs Monate der Familie dokumentiert. Jedes Familienmitglied hatte seine eigene tägliche Spalte“, beschreibt er. „Die zwei jüngsten Kinder sowie die Mutter befinden sich laut Eintragungen auf diesem Kalender in psychologischer Behandlung.“ Später ist laut Aussagen des Entertainers bekannt geworden, dass die Produktion darüber Bescheid wusste. Er habe sich schon zu diesem Zeitpunkt gefragt, ob man Kinder in psychologischer Behandlung moralisch und rechtlich betrachtet in ein TV-Format ziehen könne, bei dem man acht bis zehn Stunden pro Tag arbeiten und funktionieren müsse.

Am nächsten Drehtag sprach Distel seiner Darstellung nach mit dem Produktionsteam und fragte nach, ob man von der psychologischen Behandlung der Kinder wusste. „Die Antworten waren ernüchternd“, so der Musiker. Man habe sich nur auf die Aussagen der Mutter verlassen, die sich selbst in psychologischer Behandlung befindet. Dass er vor laufender Kamera erfuhr, dass die Kinder in der Vergangenheit durch ihren leiblichen Vater schwer misshandelt worden seien, habe von Distels Seite aus zum sofortigen Abbruch der Dreharbeiten geführt.

Matthias Distel fordert lückenlose Aufarbeitung

Durch einen Anruf bei der Aufnahmeleitung habe er auch erfahren, was in seiner Wohnung während den Dreharbeiten passierte. „Einer der Jungen schlug sich laut Aufnahmeleitung mehrfach den Kopf an meine Zimmerwand, um sich selbst zu verletzen“, erzählt Matthias Distel in dem Video mit Tränen in den Augen. „Der andere, das jüngste Geschwister stand auf meinem Balkon im vierten Stock und schrie, dass er sich jetzt umbringen würde.“ Die jüngeren Kinder hätten sich außerdem mehrfach geschlagen. Das alles sei der Chefetage bekannt gewesen. „Jeder einzelne dieser Vorfälle hätte mit dem Hintergrundwissen des Senders und der Produktion zum sofortigen Abbruch des Formates führen müssen“, so der Entertainer in seinem Statement.

Stattdessen sei appelliert worden, die Produktion nicht zu gefährden und den Dreh fortzuführen. Distel erklärt weiter: „Ethik, Moral, Anstand und das Kindeswohl wurden dabei vollkommen und in meinen Augen vorsätzlich ignoriert.“ Gegenüber der BILD-Zeitung stellte er klar: „Ich erwarte von ImagoTV und Sat.1 eine lückenlose Aufarbeitung und werde am Dienstag Strafanzeige stellen.“ Außerdem sei ihm eine öffentliche Diskussion derartiger Vorfälle wichtig: „Ich hoffe auf eine breite öffentliche Debatte und darauf, dass ähnliche Geschehnisse, die mir bei unzähligen Telefonaten in den letzten fünf Tagen geschildert wurden, durch mutige Mitarbeiter – auch anderer Produktionsfirmen – ans Tageslicht gebracht werden.“

So reagieren der Sender und die Produktionsfirma

Sat.1 hat mittlerweile auf Instagram ein Statement zu den Vorwürfen veröffentlicht. „Wir bedanken uns bei Matthias Distel, bekannt als Ikke Hüftgold, dass er uns über die Umstände beim Dreh zu ‚Plötzlich arm, plötzlich reich’ informiert hat“, heißt es dort. Der Sender habe direkt begonnen, mit der Produktionsfirma und der Familienhilfe zu sprechen, um die Familie unterstützen zu können und die Zusammenhänge aufzuarbeiten. Das sei noch nicht abgeschlossen. „Aber es steht fest, dass Sat.1 keine Sekunde dieser Folge zeigt“, so der Sender in seinem Statement.

Aber auch Imago TV meldete sich inzwischen zu Wort. In einem Interview mit „DWDL“ hat die Produktionsfirma mittlerweile „Fehler bei der Recherche“ eingeräumt: „Wir waren zu leichtgläubig.“ Der Redaktion sei klar gewesen, dass sowohl Mutter als auch Kinder eine „schwierige Trennungsgeschichte mit Gewalterfahrungen vom leiblichen Vater“ durchlebt hatten, erläutert Imago TV gegenüber dem Medium. Allerdings seien die konkreten Vorwürfe wegen Missbrauchs erst beim Dreh bekannt geworden. Die Produktionsfirma wehrt sich gegen Distels Vorwürfe, sich hilfsbedürftiger Kinder zu bedienen, um viele Zuschauer zu bekommen: „In keiner Weise geht es Imago TV darum, Familien in Notsituationen auf der Jagd nach ‚Quoten und Kapital’ auszunutzen“, so die Firma gegenüber „DWDL“.