Das ZDF-"Traumschiff" wird 30 Jahre alt. Das Niveau der Serie ist verlässlich niedrig - aber die Quote bleibt konstant hoch.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Ohne jemanden zu nahe treten zu wollen, aber gibt es tatsächlich ein Passagierschiff, dessen Chefstewardess längst in Rente sein müsste? Dessen Kapitän demnächst stolze achtzig Jahre alt wird? Nein, aber das spielt auch keine Rolle. Schließlich gibt es auch kein Kreuzfahrtschiff, dessen Crew dankbar für jede Beziehungskrise der Passagiere ist, weil sie sonst ihre Zeit nicht rumbringen würde. Die Belegschaft des "Traumschiffs" schnüffelt in Pässen und mischt sich in Intimitäten. Sie vermittelt in Liebesangelegenheiten, versöhnt Streithähne und rettet Familien. Der Frühstückskapitän Paulsen und seine Chefstewardess Beatrice sind alles in einem: Therapeuten, Partnervermittler, Kindergärtner und Seelsorger.

 

In diesem Jahr wird das ZDF-"Traumschiff" dreißig Jahre alt. Am Sonntag wird die "MS Deutschland" wieder in See stechen und von Quebec nach New York, von Savannah bis Salvador de Bahia schippern. Auch bei dieser 65. Folge werden mindestens acht Millionen Zuschauer mitfiebern, was auf dem "Rentnerkahn" passiert, auf dem "Mumienschlepper" und "Albtraumschiff". So nennt zumindest der Schauspieler Christoph Maria Herbst das "Traumschiff". Er muss es wissen. Er hat in dem Buch "Ein Traum von einem Schiff" mit der ZDF-Reihe abgerechnet und zusammengeschrieben, was sich ereignet hat in den sechs Wochen, die er auf Kreuzfahrt dabei sein durfte. Gerade mal fünf Tage musste er davon arbeiten. Seine Bilanz: es sei "wurscht, was du inhaltlich ablieferst".

Kreuz und quer geht es durch die Welt

Das stimmt. Beim Traumschiff lässt man sich die Reisen sehr viel kosten. Kreuz und quer geht es mit den Schauspielern durch die Welt - Bahamas und Barbados, Shanghai und Singapur, Galapagos und Mauritius, Sambia und Samoa. Viele deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler haben sich von den exotischen Traumkulissen schon verführen und anheuern lassen für eine Folge; selbst solche, die sich für diese Art Fernsehformat eigentlich zu schade sind - oder die mehr als die eher bescheidenen Gagen gewohnt sind.

Man kann sich schon vorstellen, wie die Herrschaften es sich bei den Dreharbeiten gutgehen lassen. Auch Wolfgang Rademacher ist immer mit dabei. Der Produzent hat zusammengerechnet schon sechs Jahre auf dem Traumschiff verbracht - und hält es gar nicht für notwendig, etwas am Konzept zu verändern, solange die Quote stimmt. Drei Geschichten werden jeweils erzählt: eine Liebesgeschichte, eine spannende und eine lustige Story. Vierzig Prozent spielen an Land, sechzig an Bord, alles nach Schema F.

Jede Daily Soap bietet mehr Niveau

Die Drehbücher sind in der Regel seicht, die Dramaturgie ist vorhersehbar, die Dialoge kommen konstruiert daher und die Schauspieler agieren meist steif. Jede gewöhnliche Daily Soap bietet im Vergleich mehr Niveau. Das Traumschiff, schrieb nach der vergangenen Folge ein Kritiker, bewege sich nicht an der Schmerzgrenze, "sondern weit darüber hinaus".

Obwohl immer wieder darüber gesprochen wurde, das "Traumschiff" abzusetzen, hat es letztlich doch dreißig Jahre überlebt. Zunächst lief die Reihe im wöchentlichen Rhythmus, seit Mitte der neunziger Jahre gibt es nun immer am zweiten Weihnachtstag und an Neujahr eine neue Folge von neunzig Minuten. Die Kapitäne haben im Lauf der Jahre gewechselt, nach Günter König und Heinz Weiss ist Siegfried Rauch nun an Deck. Die Musik von James Last kam später dazu, und auch das Schiff wurde mehrfach ausgetauscht.

Immer werden schwerwiegende Entscheidungen getroffen

In einem ist man sich aber treu geblieben: Beim "Traumschiff" wurde noch nie der Versuch unternommen, auch nur annähernd realistisch zu sein. Immer müssen schwerwiegende Entscheidungen getroffen, Geheimnisse gelüftet, Lügen und Betrügereien aufgeklärt werden und sind Wunder selbstverständlich an der Tagesordnung. Vor allem staunt man: ernsthaft arbeiten muss auf dem Traumschiff keiner.

Offiziell sind auf den acht Decks der "MS Deutschland", die nach Drehschluss sofort wieder mit realen Urlaubern in See sticht, 520 Passagiere zugelassen. Im ZDF aber sieht man immer höchstens zwei Dutzend Reisende. Beim Essen sitzen alle beisammen wie daheim, die Liegen am Pool sind frei, die Bar ist leer - und alles wirkt so putzig und überschaubar, als ginge es mal eben rüber nach Helgoland.

Anhaltender Erfolg

Das Traumschiff sei "die edle Art des Eskapismus", heißt es beim ZDF, womit vermutlich die Flucht vor dem banalen Alltag gemeint ist - fort in exotische Länder mit tollen Ananascocktails und Muschelketten. Aber man kann sich den anhaltenden Erfolg des "Traumschiffs" nur so erklären: Es ermöglicht mehr als andere Serien die Flucht vor jeglicher Qualität. Alles ist banal, alles ist konstruiert und irgendwie absurd, selbst die Ausflüge an Land sind lachhaft - und trotzdem schaut man zu. Denn das "Traumschiff" ist so hölzern, dass es fast schon wieder sympathisch ist. Zweimal im Jahr kann man es sich schließlich erlauben, deutlich unter Niveau zu gehen.

Warum auch nicht? Schließlich hat sich sogar Harald Schmidt anheuern lassen. Er behauptet, er solle das Image des Rentnerkahns aufpolieren und habe "leichte künstlerische Aufgaben zu erfüllen". Sehen kann man davon nichts - Schmidt ist so steif und chargenhaft, wie es sich fürs "Traumschiff" gehört. Zur Jubiläumsausgabe kommt viel Prominenz an Bord: Hannelore Elsner und Otto Sander, Til Schweiger und Michaela May, Helmut Zierl, Barbara und Sascha Wussow. Wenn die alle übernachten würden, dann müsste das Personal eigentlich mal richtig ins Schwitzen kommen. Auch Hape Kerkeling ist mit dabei, und das ist ein Grund mehr, auch die 65. Folge anzuschauen. Denn das will man doch wissen, ob es sogar einer wie er schafft, sich dem schauspielerischen Niveau anzugleichen.

ZDF Sonntag, 20.15 Uhr

Prominenz und Permanenz

Gäste: Das Traumschiff hat viel zu bieten – zumindest für Schauspieler. Die Gagen sind zwar nicht hoch, die Gäste dürfen aber oft mehrere Wochen auf der MS Deutschland mitreisen. Dem konnte kaum einer widerstehen: Heinz Sielmann, Günther Schramm und Klaus-Jürgen Wussow waren mit dabei, Elmar Wepper und Thomas Gottschalk. Gila von Weitershausen durfte sogar schon sechsmal an Bord.

Mannschaft: Heide Keller gehört als Chefstewardess seit der ersten Folge zur Besatzung, während Doc Schröder (Horst Naumann) in diesem Jahr von einem neuen Schiffsarzt abgelöst wurde, den Nick Wilder spielt. Sascha Hehn war bis 1987 Chefsteward. Harald Schmidt hat inzwischen Karriere gemacht: Zunächst sollte er das Abendprogramm auf dem Schiff organisieren, inzwischen ist der gebürtige Schwabe zum Kreuzfahrtschiffdirektor aufgestiegen mit dem schönen Namen „Schifferle“. Inka Bause spielt seit 2009 die Fitnesstrainerin Inka, die allerdings vor allem die Crew in Bewegung hält.