Früher war mehr Lametta. Da hat Opa Hoppenstedt alias Loriot ganz recht. Die Silberfäden sind als Christbaumschmuck ziemlich aus der Mode gekommen. Stattdessen blüht uns was: rote Rosen im Tannengrün.

Stuttgart - Oh, Tannenbaum! Wie dekoriert ihn Familie X? Und wie schaut er in der guten Stube von Y. aus? Diese naseweise Neugier gehört zu den feiertäglichen Einladungen bei Freunden oder Verwandten wie Gutsle, Gans und der Ausruf der Bewunderung: Aah, wie schön! Jede Familie besitzt mit den Schätzen, die das Jahr über in Kartons auf der Bühne oder im Keller verwahrt werden, ihre eigene Tradition. Bei den einen kommt nichts anderes als echte Bienenwachskerzen und kunterbunte Kugeln an den Baum. Bei den anderen sind es Äpfelchen, vergoldete Nüsse, Strohsterne und Zuckerzeug. Und die Antiquitäten sammelnde Freundin präsentiert ihre liebevoll zusammengetragene Kollektion von fast noch biedermeierlichem Christbaumschmuck.

 

Aber seit Tannenbäume zu Weihnachten aufgestellt und geschmückt werden, spiegeln sie auch Mode und Zeitgeist wider. Man trägt doch auch nicht zu jedem Weihnachtsfest dasselbe Kleid. Warum also nicht der Lust auf spielerische Veränderung nachgeben? Neue Kreationen sind unwiderstehlich verführerisch. Der Fundus muss ja meist ergänzt werden, weil sich Schwund bei den zerbrechlichen Schätzen nicht vermeiden lässt. Und obendrein die Sammelleidenschaft kaum zu zügeln ist.

Kunterbuntes Baumdesign ist bei Trendsettern verpönt. Einfarbigkeit, elegantes monochromes Ton-in-Ton ist angesagt. Ein Baum ganz in Gold, ganz in Silber oder doch lieber ganz in Violett? Diese Farbe ist fast völlig verschwunden. Der Trend zum monochromen Aufputz hat sich dagegen gehalten. In Weiß, Silber, Gold und Kupfer, aber vor allem in einem edlen Rot, dunkel wie ein Bordeaux. Besonders glamourös mit Gold. Und im Schein von unzähligen LED-Lichtern.

Eine ganze Welt aus Glas

Bei Merz & Benzing bestechen die Kugeln, nicht nur rund, sondern auch in Tropfenformen, in großen Formaten. Die schönste Anregung kann man sich bei professionellen Dekorateuren holen: Sie schmückten die Christbäume nicht nur mit den weinroten Kugeln, sondern auch mit dicken Rosen- und Amaryllis-Blüten. Eine neue Idee? Keineswegs. In den ersten Aufzeichnungen von 1605 aus dem Elsass über den Brauch, Christbäume in Wohnstuben aufzustellen, heißt es: „Darauf henket man Roßen aus vielfarbigem Papier geschnitten, Äpfel, Oblaten, Zischgold und Zucker.“

Eine ganze Welt aus Glas, dekorativ, witzig, aber auch kurios baumelt im Stand von Sathya Geiger auf dem Weihnachtsmarkt: Anhänger in Form von Häuschen, Auto, Motorrad, Grill, Big Mac, Stiefel, hochhackige Pumps, Taschen, Obst und Gemüse stellen Dinge dar, die uns im täglichen Leben umgeben. Die Menagerie reicht vom Alligator bis zum Zebra, Katzenbesitzer können sich ihren Liebling in die Zweige hängen, und unter den Darstellungen aller Hunderassen ist der Mops sicher ein Hit. Ein Ehepaar sucht einen Fisch. „Als Geschenk für einen passionierten Angler“, verrät der Mann. „Alles mundgeblasen und handbemalt, aus Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien“, versichert der Händler und präsentiert als Prunkstück einen Glücksdrachen.

Am Stand von Gundula Axmann in der Hirschstraße müsste jeder Ornithologe in Verzückung geraten: Hier hat sich die gesamte Vogelschar niedergelassen: Bachstelze, Eichelhäher, Eisvogel, Goldammer, Grünfink, Pirol, Stieglitz und Spatz bis hin zum Kolibri. Nach Art und Bezeichnung genau definiert und naturgetreu abgebildet von Glasbläsern und Malern.

Antiken Schätze stehen hoch im Kurs

Auch dieser Baumschmuck ist wie die ge-genständlichen Anhänger eine historische Anleihe. Im thüringischen Lauscha, wo sich ein armer Glasbläser im frühen 19. Jahrhundert die ersten Glasperlen in den Baum hängte und damit die Christbaumkugel erfand, weil er kein Geld für Zuckerzeug hatte, wurden auch gläserne Früchte hergestellt. Äpfel zum Beispiel, wie im Museum für Glaskunst in Lauscha belegt ist. Oder eine grasgrüne Gurke. „Wer sie als Erster findet, bekommt ein Extra-Geschenk“, verrät Geiger einen alten Brauch. Bis der Chemiker Justus von Liebig 1870 das Verfahren mit ungefährlicher Nassverspiegelung mit Silbernitrat entdeckte, wurde dieser Christbaumschmuck mit einer giftigen Blei-Quecksilber-Legierung verspiegelt. Ein Geschäft, das man, ohne die Gefahr zu kennen, den Frauen überließ.

„Die alten Formen werden immer wieder neu aufgelegt“, weiß Udo Grewe, der im Antiquitätenzelt auf dem Karlsplatz die historischen Vorlagen feilbietet. Dazu gehören die Vögelchen, die mit wippendem Seidenschwanz auf den Ästen sitzen, Fliegenpilze, Tannenzapfen oder Eiszapfen. Und natürlich auch die Gurke. Der Zeppelin durfte als Nachbildung der neuesten technischen Errungenschaft in den 20er Jahren am Baum nicht fehlen. Noch aus Gablonz, der böhmischen Hochburg der Glasmanufakturen, stammen Glasperlenketten, filigrane Herzen, Sterne und Blumenkörbe, die mit unsichtbarem Draht geformt und zusammengehalten werden. „So fein“, meint Grewe, wird heute nicht mehr gearbeitet.“ Auch Nachschub bekomme er immer schwerer. Dabei, sagt er, begeistern sich zunehmend junge Kunden für seine antiken Schätze.

Aber ohne Kugeln wäre Weihnachten keine runde Sache. Gundula Axmann lässt ihre Prunkstücke eigens in Thüringen anfertigen und hat dazu immer die passenden Formen: „Glocken, Herzen, Zapfen und Oliven.“ Ton in Ton eben. Das lieben auch die Royals. Die zwölf Meter hohe Tanne vor Windsor Castle prangt im Schmuck von 2000 Kugeln. Standesgemäß ganz in Gold. Extra angefertigt im deutschen Lauscha. Trotz Brexit.