Die Hipster-Hauptstadt Berlin hat eine neue Trendsportart herausgebracht: Bieryoga. Doch Sport und Alkohol – ist das wirklich eine gute Kombination? Eine Yogastunde.

Berlin - Es ist kurz nach sieben Uhr an einem Freitagabend, als Jhula das DJ-Pult besteigt. Mit blondem Zopf und neongrellen Leggins steht die 30-Jährige da, eine Bierflasche in der Hand. „In fünf Minuten fangen wir an“, sagt sie – und setzt sich auf ihre Yogamatte. Zu ihren Füßen haben bereits etwa 30 junge Menschen die Matten und Handtücher ausgebreitet. Sie beginnen ihr Wochenende in einem kleinen Club am Maybachufer in Berlin-Neukölln – mit Bieryoga. Berlins neueste Trendsportart kombiniert klassisches Vinyasa-Yoga mit zwei Flaschen Pilsner Urquell. Ob das gut gehen kann?

 

Der Raum vor dem Tresen ist schwach beleuchtet. An der Decke hängen silbern glitzernde Discokugeln, es riecht nach abgestandenem Zigarettenrauch. Der schwärzliche Boden klebt unter den nackten Füßen. Wie viel Bier er bereits aufgesogen hat, sollte man sich besser nicht vorstellen.

Bieryoga soll Spaß machen, trotzdem ist es kein Witz

„Wer von euch hat schon einmal Yoga gemacht?“, will Jhula wissen. Einige Teilnehmer heben die Hand. „Und wer von euch hat schon einmal Bier getrunken?“ Dieses Mal melden sich alle. „Besser als andersrum“, sagt Jhula. Die Yogis kichern. So ganz ernst nimmt dieses Bieryoga hier keiner. Und das, obwohl Jhula, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, ausgebildete Yogalehrerin ist. „Bieryoga soll Spaß machen, trotzdem ist es kein Witz“, steht auch auf ihrer Webseite: „Wir kombinieren die Philosophie von Yoga mit der Freude des Biertrinkens, um dabei vielleicht sogar höhere Bewusstseinszustände kennenzulernen.“

Bei der Anfangsmeditation wollen sich diese Zustände aber noch nicht einstellen. Mit geschlossenen Augen nehmen die Teilnehmer die Bierflasche in beide Hände. „Fühlt mal, wie sich die Flasche anfühlt“, sagt Jhula. „Und jetzt riecht daran.“ Wieder kichern die Yogis. Dann legt Jhula richtig los: Sie ruft zum „Biergruß“ statt zum Sonnengruß, sie übt die „Bierbank“ statt die Brettposition. Immer wieder integriert sie die Flasche in ihre Übungen. In der Stellung Krieger zwei (beim Bieryoga der „Biertrinker“) lassen die Yogis die hintere Hand auf den Oberschenkel sinken, mit der vorderen führen sie die Flasche an den Mund. In der Stellung der Taube greifen sie die vor ihnen stehende Flasche nur mit dem Mund. Dann legen sie den Kopf in den Nacken, lassen den Gerstensaft den Hals hinunterrinnen. „Ahh!“

Die Belohnung: ein Schluck Bier

Bei den anschließenden Partnerübungen prostet man sich gegenseitig zu. Rücken an Rücken geht es in die Hocke. Mit roten Köpfen hieven sich die Yogis zurück nach oben – auch Bieryoga kann anstrengen. Zur Belohnung dürfen die Teilnehmer einen weiteren Schluck trinken. Nach einer halben Stunde schmeckt das Getränk jedoch schon ziemlich schal und abgestanden. Die Ersten öffnen ihre zweite Flasche. „Ein paar ehemalige Teilnehmer haben sich schon bei mir beschwert“, erzählt Jhula. „Die einen, weil sie Muskelkater hatten, die anderen, weil sie einen richtigen Kater hatten.“ An den zwei Flaschen Yoga-Bier könne das aber nicht liegen, meint sie: „Den Kater hatten sie wohl eher den zwei, drei Flaschen nach dem Yoga zu verdanken.“

Die Idee, Bieryoga anzubieten, kam Jhula im Frühjahr 2015, als sie sich über das „Burning Man“-Festival in Nevada informierte. „Da ich nicht selbst daran teilnehmen konnte, dachte ich mir: Dann hole ich Bieryoga eben nach Deutschland“, sagt sie. Beim Internationalen Kongress der Hedonisten bot sie Bieryoga im Mai 2015 erstmals an. Die Entwicklung des Konzepts habe drei Abende gedauert: „Ein paar Flaschen Bier haben die Kreativität unterstützt.“ Seit Oktober 2015 gibt Jhula fast wöchentlich Kurse in Berlin. Fünf Euro nimmt sie dafür, sechs Euro kosten zudem die beiden Flaschen Bier. Die Kurse sind meist ausgebucht.

„Yoga und Bier entspannen Körper und Geist“

Auch in der Loftus Hall am Maybachufer liegen die Yogamatten dicht nebeneinander. Die zweite Flasche neigt sich bereits dem Ende zu, als Jhula zum „Bierbaum“ bittet: „Verlagert euer Gewicht auf das linke Bein“, sagt sie. „Stellt dann den rechten Fuß auf dem linken Oberschenkel ab.“ Die Yogis schwanken. Jhula stellt sich die Flasche auf den Kopf, balanciert diese freihändig. Sie hat die Koordinationsübung wohl nicht aus Versehen als Letztes eingeplant. Studien zeigen, dass die Koordinations- und Reaktionsfähigkeit unter Alkoholeinfluss spürbar nachlässt. Der Deutsche Fußball-Bund wendet sich aus diesem Grund auf seiner Webseite gegen den Biergenuss vor dem Spiel: „Alkohol und Sport vertragen sich nicht – das steht fest.“

Jhula stört sich nicht allzu sehr an der Kritik. „Sowohl mit Yoga als auch mit Bier lassen Menschen seit Jahrhunderten die Seele baumeln und entspannen Körper und Geist“, sagt sie. An ihren Bieryoga-Stunden darf allerdings nur teilnehmen, wer älter als 16 Jahre ist. Das sind in der Regel hauptsächlich Frauen: Trotz der Aussicht auf zwei Flaschen Bier sind nur fünf der Teilnehmer an diesem Abend Männer.

Zu viel des guten Gerstensafts?

Zum Ende der Stunde dimmt Jhula das Licht: Die Yogis sollen sich auf den Rücken legen, zur Endentspannung. Mit der Todesstellung Shavasana endet traditionell jede Yoga-Stunde. Eine Teilnehmerin kann sich offensichtlich nicht entspannen, sie hastet zur Toilette. Zu viel des guten Gerstensafts? Als sie zurückkommt, sitzt die Gruppe bereits im Schneidersitz. Mit einem dreimaligen „Prooost“ statt „Ommm“ beenden sie die Stunde – ohne Bier verschüttet zu haben, ohne Scherben.

Wird Bieryoga, diese Synthese aus fernöstlichem Sport und deutscher Braukunst, nun die Republik erobern? Johannes, 31, ist nach seiner ersten Bieryoga-Stunde unentschieden: „Spaß gemacht hat es auf jeden Fall“, sagt er. „Sportlich gesehen hat es mir aber nicht so viel gebracht.“ Die 26-jährige Studentin Leonie sieht es ähnlich: „Ein super Einstieg ins Wochenende.“ Wöchentlich brauche sie Bieryoga aber nicht.