Schneller, höher, weiter – das Motto gilt nicht nur im Sport oder der Wirtschaft. Auch bei Kindergeburtstagen wird aufgerüstet. Sie finden länger, spektakulärer und seltener zu Hause statt.

Stuttgart - Eigentlich ist Martina Müller das, was manche als „coole“ Mutter bezeichnen würden. Doch es gibt Zeiten im Jahr, die bringen sie völlig aus der Ruhe: Wenn die Geburtstage ihrer Kinder anstehen. „Ich habe das Gefühl, dass die Erwartungshaltung der Gäste ständig steigt“, sagt die 38-Jährige. „Bei jedem Fest geht es bombastischer zu – und man denkt, das toppen zu müssen.“ So sei ihre Zehnjährige schon bei einem Drachenfest gewesen, einer Meerjungenfrauenparty, einer Gauklerfeier, einem Quizparcour, durch den ein Clown führe, meist organisiert von einer Geburtstagsplanerin. Erst kürzlich sei ihre Tochter zu einem Kindergeburtstag in den Europapark Rust gekarrt worden. „Die Eltern haben einen Bus gemietet und mal kurz zwölf Kinder von Gerlingen aus rund 170 Kilometer ins Badische zum Vergnügungspark transportiert. Klar, dort gibt es Achterbahnen und mehr. Das Problem: Bei der Rückeinladung kann ich nicht nur Topfschlagen und Marmorkuchen bieten.“ Mehr als 800 Euro habe der Geburtstag wohl gekostet. Martina überschlägt die Posten: „38 Euro Eintritt pro Kind plus speziell gebuchtem Festmenü plus Fahrt und das obligatorische Abschiedsgeschenk, das jeder kleine Gast heute erwartet!“

 

Der von Martina Müller geschilderte Fall ist noch nichts gegen eine Feier, die ein Münchner Kind erlebte: Da wurde das Geburtstagskind mal schnell mit seinen Freunden nach Paris geflogen, ins Disneyland. In Hamburg wiederum wurde für einen Jungen eigens eine Rallye organisiert.

Kindergeburtstage ufern in ganz Deutschland aus

Quer durch Deutschland ufern Kindergeburtstage aus. Es gibt nichts, was es nicht gibt: Laut Daniela Schreck, die vor allem in München exklusivste Feten organisiert, seien Kinderdisco und Lillifee-Party noch die leichteren Übungen. Aufwändiger seien Soccer-Feste mit Autogrammstunde der Fußballprofis oder Top-Model-Partys mit Make-up-Artist und Hairdresser samt Fotoshooting. Das Phänomen zum superlativen Kindergeburtstag ist nicht nur in extrem wohlhabenden Schichten auszumachen, auch in der Durchschnittsfamilie scheint die gute alte Feier ausgedient zu haben. Wer nicht so viel ausgeben kann oder will, geht zu McDonald’s oder ins Kino, wer es pädagogisch wertvoller will, in Museen oder den Zoo, so eine Ex-Geburtstagsplanerin aus der Region Stuttgart. „Die Ansprüche der Eltern sind über die Jahre gestiegen“, sagt sie. Als sie selbst Zwillinge bekam, schloss sie ihre kleine Agentur.

„Auffallend ist, dass bald keines der Kinder mehr zu Hause feiert“, schildert Birgit Brinkmann, deren Tochter Waldorfschülerin ist. „Zu McDonald’s würde da keiner gehen, aber oft wird mit Events kreativer oder sportlicher Art außerhalb der eigenen vier Wände gefeiert.“ Auch sie hätten das schon getan, etwa bei einer Goldschmiedin. Einen Überbietungswettbewerb nach dem Motto „wer feiert den schönsten Geburtstag im ganzen Land“ kann sie dennoch nicht ausmachen. Der Aufwand sei einfach für Eltern geringer, wenn sie nicht zu Hause wären, man müsse nichts vorbereiten und aufräumen. Das käme insbesondere berufstätigen Eltern entgegen. „Ob im Schokoladenmuseum bei Ritter eigene Süßigkeit kreieren, im Klettergarten kraxeln, auf der Waldau Schlittschuhfahren – du kannst alles buchen, oft mit Catering“, so die Stuttgarterin. „Die Feier bei der Goldschmiedin war für uns Eltern entspannt, die Kinder hämmerten und feilten.“ Dennoch freute sich die Kulturmanagerin, als ihre achtjährige Tochter sich wünschte, mal daheim Geburtstag zu feiern, mit Topfschlagen und klassischen Spielen: „Das kam total gut an.“

Viele Eltern wollen keine klassische Feier mehr

Auch eine Mutter aus dem Remstal bestätigt, dass sie auswärtige Geburtstage bevorzuge, weil die stressfreier seien. „Toll war es im Residenzschloss Ludwigsburg und im Haus der Familie Waiblingen.“ In Ludwigsburg feiern Kinder in barocken Kostüme wie Prinzen und Prinzessinen und werden durchs Schloss geführt. In Waiblingen wiederum organisiert eine Erzieherin für maximal zehn Kinder dreistündige Geburtstagsfeiern zu verschiedenen Mottos, etwa Märchenland, Reise durch Europa oder Star Wars. „Zugenommen hat allerdings auch die Länge der Kindergeburtstage“, moniert die Mutter. „Statt eines Nachmittags wird – mitunter auch schon bei Grundschülern – mit Übernachtungen oder gar ganze Wochenenden gefeiert. Das ist überzogen.“

Der Trend zum längeren und außergewöhnlicheren Kindergeburtstag gehe in die falsche Richtung, ist Hartmut Lies überzeugt. Dabei könnte er davon profitieren. Mit anderen leitet Lies in Esslingen „Spiel-o-Top“. Der Dienstleister für Spielanimation gestaltet vor allem Spielfeste für Firmen, Stadt- oder Schulfeste. „Bei Kindergeburtstagen kommt es auf den Geldbeutel an. Einmal buchte ein Vater ein Event mit Bogenschießen“, so Lies. „Das ist okay. Doch Eltern sollen sich auch trauen, wieder zu Hause selbst etwas zu gestalten. Klein und fein ist oft mehr. Wertschätzung bedeutet, den Kinder seine Zeit zu geben.“ Ähnlich sieht es Viola Maier, die in Schorndorf „viokids.de – Viola’s Kinderbetreuung“ betreibt. Bei Familien- oder Firmenfeiern gestaltet sie das Programm für den Nachwuchs. Auf Kindergeburtstagen tut sie das eher ungern. „Ich habe Anfragen, aber gerade die Eltern wollen meist keine klassische Feier mehr mit Spielen oder Basteln, sondern McDonald’s oder ähnliches – und das will ich nicht.“ Sie bedauert, dass sich manche nicht mehr die Zeit für den Geburtstag ihrer Kinder nehmen. „In manchen Kreisen gibt es durchaus eine Art Wettbewerb, wer am spektakulärsten feiert.“ Dabei komme es doch nicht auf schneller, höher, weiter an, sondern auf die Qualität und das Menschliche.

Der Kindergeburtstag als Statussymbol für das in Deutschland seltene Gut Kind? Klaus Hurrelmann, Bildungsforscher an der Hertie School of Governance Berlin, sieht darin eher Unsicherheit. Da es heute keine eindeutigen Rituale mehr gebe, wollten Eltern alles richtig machen und suchten Orientierung, etwa bei professionellen Geburtstagsplanern. „Die Loslösung von Traditionen hat zu einer Explosion der Möglichkeiten geführt, und damit sind viele Eltern überfordert“, so Hurrelmann in der „Zeit“. „Solche Angebote gäbe es nicht, wenn die Leute sie nicht brauchten.“ Und das könne man durchaus unaufgeregt sehen, betont er. Alle könnten profitieren, wenn die Eltern die Kapazitäten nutzten, die nun dank Dienstleister wie Geburtstagsplanern frei geworden seien, um vor und nach der Feier mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.