Von Dienstag an bietet das 20. Internationale Trickfilmfestival Stuttgart Unterhaltendes fürs Publikum. Zeitgleich beschäftigt sich der hochkarätig besetzte Fachkongress FMX unter dem Stichwort Transmedia mit dem Erzählen von Morgen.

Stuttgart - Wenige Autorinnen treffen so den Nerv von Lesern wie Cornelia Funke. Knapp neun Millionen verkaufter Bücher, unter anderem aus der „Tintenherz“-Reihe, lassen daran wenig Zweifel. Doch wenn die seit Längerem in den USA lebende Schriftstellerin diese Woche nach Stuttgart kommt, wird sie nicht freudig fantasyfiebrigen Fans ein neues Buch vorstellen. Funke kommt zu einem hochkarätigen Fachkongress ins Haus der Wirtschaft, zur am Dienstag startendenden FMX.

 

Als „Kongress für Animation, Effekte, Games und Transmedia“ definiert sich diese jährlich parallel zum Internationalen Trickfilmfestival Stuttgart laufende Veranstaltung. Dieses Jahr liegt der Schwerpunkt auf der letzten, der für Laien etwas ominös betitelten Kategorie Transmedia. Aber genau diese Rubrik wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unsere Unterhaltungsangebote prägen, prognostizieren die Macher der FMX. Für Transmedia reist auch Cornelia Funke an. Sie stellt ihre iPad-App „Mirrorworld“ vor. Denn es geht im Haus der Wirtschaft eben nicht nur um die handwerklichen Kniffe von High-End-Filmtricks und um die Softwarefeinheiten der digitalen Bildhexerei, sondern um das, was aus neuer Technik resultiert: um neue Formen des Erzählens.

Transmedia folgt aber noch keiner verbindlichen Definition

Transmedia ist ein heißes Schlagwort bei den Zukunftszugewandten im Erzählgewerbe, folgt aber noch keiner verbindlichen Definition. Was Transmedia ist, leitet man aus praktischen Beispielen wie Funkes „Mirrorworld“-App ab. Das von der Autorin selbst angeregte Programm für Apples Tablet basiert auf ihrer „Reckless“-Buchreihe. Aber es ist nicht deren Umformatierung für ein elektronisches Lesegerät.

„Mirrorworld“ bietet Neues. Funke hat sich frische Geschichten für den Kosmos von „Reckless“ ausgedacht. Teile davon liest sie selbst vor, vieles wird mit Illustrationen, Animationen und Videosequenzen visualisiert.

Noch geistern für solche Projekte viele Begriffe umher, Multimedia, Cross-Plattform und Cross-Media etwa. Inga von Staden, Kuratorin des Transmedia-Schwerpunkts der FMX, ordnet sie alle dem Oberbegriff Transmedia Experiences zu und bemüht sich um eine griffige Definition: „Transmedia bedeutet: ein Thema, eine Geschichte, eine Welt manifestiert sich auf verschiedenen Plattformen.“ Will heißen, vom Buch über Comic, Film und TV-Serie bis hin zum Computerspiel und zur Smartphone-App ist alles möglich.

Mehrere Unterarten von Transmedia definiert von Staden ebenfalls. Eine davon nennt sie Transmedia- Storylines: diverse Handlungsstränge einer Geschichte werden dabei über mehrere Medien-Plattformen hinweg erzählt. Ein Beispiel bildet der bereits 2010 ausgestrahlte SWR-Sechsteiler „Alpha 0.7 – Der Feind in dir“, der von Internet- und Hörfunkbeiträgen begleitet wurde.

Funkes „Mirrorworld“ teilt von Staden der Kategorie Transmedia-Worlds zu. Ein Autor, Regisseur oder Transmediaentwickler erschafft eine Welt, die auf verschiedenen Plattformen existiert und viele verschiedene Geschichten umfasst.

Nimmt der Nutzer aktiv Einfluss auf die Erschaffung der Welt, nennt von Staden das Co-Creation. An der Filmakademie in Ludwigsburg entsteht unter dem Titel „Create Dystopia“ gerade ein solches Projekt. Internetnutzer können hier am Entstehungsprozess eines Films teilhaben, Ideen einbringen, Bewertungen abgeben und kollektiv Entscheidungen treffen. Mittlerweile ist die Rohfassung abgedreht, und die Nutzer können aus dem Material eigene Kurzfilme am Computer schneiden.

Optimisten sehen Transmedia als Chance

Bei Hybridmedien schließlich, der letzten Kategorie von Transmedia, wird etwa Filmmaterial genutzt, um damit interaktive Applikationen aufzubereiten. Sebastian Uhlig entwickelt im Studiengang Interaktive Medien an der Filmakademie Baden-Württemberg gerade eine App namens „Inside Conflicts“, die helfen soll, Konflikte zu verstehen. „Neben dem Film und der App kann ein weiterer transmedialer Ansatz darin bestehen“, schwärmt Uhlig, „Planspiele für den Schulunterricht zu entwickeln.“ Kulturpessimisten stehen allem, was man unter Transmedia versteht, trotzdem skeptisch gegenüber. Sie befürchten ästhetische Vereinfachung, um Stoffe bequem an alle Medien anpassen zu können, und inhaltliche Versimpelung, um viele Ziel- und Altersgruppen zu erreichen. Optimisten dagegen sehen Transmedia als Chance, einen Stoff optimal auszuschöpfen und auf jeder Plattform die Aspekte weiterzuentwickeln, die auf den anderen eher zu kurz kommen.

Das Grundprinzip von Transmedia ist auch nichts radikal Neues. Schon Figuren wie der 1887 entstandene Sherlock Holmes, der 1912 erfundene Tarzan und der 1939 erfundene Batman sind erfolgreich multimedial ausgewertet worden. Das Neue an Transmedia ist vor allem, dass sich die Verzweigungen auf andere Plattformen nicht mehr oder weniger zufällig ergeben, sondern von Anfang an mit bedacht und geplant werden.

Die Techniken für solche Projekte, die auch das Cloud Computing intensiv nutzen können, werden bis Freitag auf der FMX diskutiert. Neue Ideen, Welten, Geschichten werden bis Sonntag beim Trickfilmfestival unter anderem auf die Leinwände der Innenstadtkinos kommen. Und dann werden wohl auch Pessimisten zugeben müssen, dass man zumindest einige dieser Trickfilmwelten unbedingt multimedial weitergestalten sollte.