Die Regierung verschweigt wichtige Tatsachen um das Mitlesen von Messenger-Diensten gegenüber der Bevölkerung zu rechtfertigen. Die Art und Weise, wie ein entsprechendes Gesetz durch das Parlament gepeitscht wurde ist ein Skandal, kommentiert Politikredakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Berlin - Völlig zurecht weisen die Politiker der so genannten etablierten Parteien immer wieder darauf hin, dass all zu einfache Erklärungen ihre Tücken haben. Sie machen das meist wenn sie sich über die Konkurrenz an den politischen Rändern äußern, die suggeriert, dass sehr große Probleme mit einfachen Maßnahmen behoben werden könnten. Die einfachen Erklärungen sind jedoch auch bei etablierten Politikern beliebt, und da nicht minder gefährlich.

 

Gebetsmühlenartig hat Innenminister Thomas de Maiziere erklärt, der Staat wolle bei Messsenger-Diensten wie Whats App doch nur das gleiche, was er bei Telefon und SMS schon darf. Mitlesen, natürlich nur bei besonders schweren Straftaten. Wer kann dazu schon Nein sagen? Das Problem: der Innenminister verschweigt bewusst, dass es sehr wohl einen Unterschied gibt. Anders als beim Telefon lassen sich verschlüsselte Nachrichten nicht ohne weiteres mitlesen. Es ist notwendig, die Geräte der Betroffenen mit Schadsoftware zu infizieren, mit so genannten Staatstrojanern. Der Staat wird zum Hacker, arbeitet ganz genau so wie Cyberkriminelle und muss hoffen, dass Sicherheitslücken in den Systemen der Anbieter möglichst lange bestehen bleiben, an statt seine Bürger vor ebensolchen Lücken zu schützen.

Die Politik scheut die offene Diskussion

Das ist das inhaltliche Problem, dass es verdiente, offen und ehrlich diskutiert zu werden. Genau davor scheinen sich die Verantwortlichen zu scheuen. Durch die Hintertür haben sie am Donnerstag das entsprechende Gesetz eingebracht und verabschiedet, in einer Art und Weise, die schon an den Grenzen des demokratischen Verständnisses kratzt. Angehängt an ein Gesetz, das Fahrverbote für Straftäter regelt, und ohne nennenswerte Debatte hat die große Koalition die Entscheidung getroffen die massiv in die Privatsphäre der Menschen eingreift. Denn auch das unterscheidet den Zugriff aufs Smartphone von dem aufs Telefon: die Messenger-Kommunikation lässt sich nicht isoliert auslesen, der Mitlesende bekommt alles mit, was auf dem Gerät gespeichert ist. Praktisch also das gesamte Leben.

Gericht geißelt ein weiteres Überwachungsprojekt

Es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass nur wenige Stunden vor der fast schon heimlich zu nennenden Entscheidung des Bundestages das Oberverwaltungsgericht Münster ein weiteres Projekt der Koalition gegeißelt hat. Die anlaßlose Vorratsdatenspeicherung sei rechtswidrig, haben die Richter in letzter Instanz erklärt. Das Urteil war nach einem Spruch des Europäischen Gerichtshofes vom vergangenen Dezember wenig überraschend. Überraschender war die Untätigkeit der Regierung, die an der deutschen Praxis trotz des Luxemburger Rüffels festgehalten hat.

Es ist eine Frage der Zeit, bis das nun vom Bundestag beschlossene Regelwerk nach Karlsruhe kommt. Die Privatsphäre ist dort vom Verfassungsgericht schon immer als besonders hohes Gut angesehen worden. Bis es zu einem Urteil kommt steht die Regierung, die das Gesetz zu verantworten hat, allerdings nicht mehr in der Verantwortung.