Zwei Jahre nach seiner Einführung soll es für den Tarif plus keine Fortsetzung geben – trotz positiver Wirkung auf die Personalgewinnung. Wegen des Fachkräftemangels sind derzeit 200 Erzieherstellen nicht besetzt, fast 700 Kitaplätze sind deshalb blockiert. Nun formiert sich Protest.

Stuttgart - Die Stuttgart-Zulage für Erzieherinnen soll zum Jahresende auslaufen. Der erst 2014 eingeführte „Tarif plus“ bedeutet, dass Erzieherinnen in städtischen Kindertagesstätten in Stuttgart drei Jahre lang 100 Euro im Monat zusätzlich bekommen, danach wird die Zulage abgeschmolzen. Der Gemeinderat hatte diese Maßnahme beschlossen, um mehr Fachkräfte in die Stuttgarter Kitas zu locken – mit Erfolg übrigens. Doch an eine Fortsetzung denken Verwaltungsbürgermeister Fabian Mayer (CDU) und Jugendbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) dennoch nicht – dies sei „nicht gerechtfertigt“.

 

Dabei hat sich der Personalengpass infolge des Kita-Ausbaus zugespitzt: 200 Erzieherstellen sind unbesetzt und knapp 700 bestehende Kitaplätze dadurch blockiert – derweil stehen mehr als 3000 Kinder auf der Warteliste. Die Pläne, wie die Stadt auf andere Weise Personal gewinnen will, stellt die Verwaltung an diesem Montag im Jugendhilfeausschuss und am Mittwoch, 7. Dezember, im Verwaltungsausschuss vor – und zur Debatte.

In dem Strategiepapier zur Personalgewinnung, das dieser Zeitung vorliegt, listet Jugendbürgermeisterin Fezer die bisherigen Maßnahmen auf und bewertet ihre Wirksamkeit. An erster Stelle steht dabei die praxisorientierte Erzieherausbildung (Pia), bei der die Teilnehmer von Anfang an in den Kitas mitarbeiten und dies auch vergütet bekommen. An der Nachfrage mangelt es nicht: 550 Bewerber gab es für die 60 Pia-Plätze im vergangenen Jahr, zuvor waren es sogar 680. Mehr als 80 Prozent der Absolventen blieben anschließend ihrem Ausbildungsbetrieb treu. Pia sei „ein hochwirksames Mittel“, konstatiert Fezer. Sie schlägt vor, zudem für die nächsten drei Jahre 30 weitere Pia-Ausbildungsplätze einzurichten, mit dem Schwerpunkt Migranten und Alleinerziehende, die über ein Sonderprogramm der Arbeitsagentur gefördert werden und mit Sprachförderung auf ihre Aufgabe vorbereitet werden könnten.

Stuttgart-Zulage für Erzieherinnen hat „positive Wirkung“, soll aber auslaufen

Auch der „Tarif plus“ bekommt von der Verwaltung gute Noten bei der Personalgewinnung und -erhaltung. „Die Zahl der Bewerber konnte ab 2014 verdoppelt, die Fluktuation deutlich reduziert werden“, heißt es in Fezers Strategiepapier. Die Zulage sei aber „ein zeitlich begrenztes, flexibles Instrument, um die Position der Landeshauptstadt im Wettbewerb um Kita-Fachkräfte insbesondere in der Region kurzfristig zu stärken“. Diese sei aber nun aufgrund der Einkommensverbesserungen für alle Kita-Fachkräfte nicht mehr gerechtfertigt – auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, argumentieren Fezer und Mayer und berufen sich dabei auf Angaben des kommunalen Arbeitgeberverbandes.

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„Diese strukturellen Verbesserungen in der Vergütung und Eingruppierung haben die Attraktivität der Berufsbilder von Fachkräften in Kitas deutlich erhöht“, so Mayer und Fezer. Die Mehrkosten für eine Fortführung der Zulage lägen für die Stadt – bei 200 Neugewährungen pro Jahr – in 2017 zunächst bei 330 000 Euro, bis 2023 dann (für 1200 Zulagenberechtigte) bei fast 1,5 Millionen Euro im Jahr und seien in der Finanzplanung „nicht vorgesehen“.

Der Personalrat würde allerdings eine Fortsetzung des „Tarif plus“ begrüßen. Diesem gehe es vor allem aber um eine tarifgerechte Bewertung, erklärte dessen Vertreter Martin Agster auf Anfrage: „Die Kriterien für die tarifliche Eingruppierung stammen von 1991 und sind komplett überholt.“ Das Ziel, allen Erzieherinnen eine „besonders schwierige Tätigkeit“ zu attestieren und zu bezahlen, sei trotz Schiedsstellenkompromiss noch nicht erreicht. Auch wenn sich „das Bezahlungsniveau nach zwei harten Tarifrunden verbessert“ habe, wie Agster einräumt. So verdiene eine Erzieherin als Berufsanfängerin mittlerweile 2700 Euro brutto, nach elf Berufsjahren erreiche sie 3200 Euro. Bei einer Eingruppierung als „schwierige Tätigkeit“ erhalte sie – je nach Berufserfahrung – zwischen 60 und 400 Euro mehr.

Jugendamt setzt auf Stellenangebote in sozialen Medien

Werbung hält die Verwaltung für unerlässlich, auch die Präsenz auf regionalen und überregionalen Messen. Der Kontakt zu Fach- und Hochschulen solle ausgebaut werden. Als günstig und erfolgreich hätten sich Stellenangebote in sozialen Medien und Plattformen erwiesen, etwa bei Xing. Dieser Bereich solle weiterentwickelt werden. Plakate an Stadtbahnen und Bussen hätten zwar den Bekanntheitsgrad erhöht. Doch künftig wolle man stärker Werbung auf Verkehrsmitteln in Regionen machen, in denen kein Fachkräftemangel bestehe – also nicht in Stuttgart.

Tatsächlich hat sich die Zahl der Stellenbewerber in den vergangenen Jahren verdoppelt: von 4149 im Jahr 2012 auf 8531 Bewerber im vergangenen Jahr. Steigern können habe man auch die Zahl der Praktikantenplätze auf nunmehr 346, auch die Vergütung habe man erhöht. Gute Erfahrungen hat das Jugendamt bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte gemacht. 25 deutschsprachige Rumäninnen und 15 italienische Fachkräfte wurden nach Stuttgart geholt. Allerdings habe es bis zu zwei Jahre gedauert, die Frauen sprachlich fit zu machen. Auch Personalzimmer seien für sie notwendig. Deshalb habe man die Zahl der Zimmer bereits auf 70 aufgestockt, 14 weitere sollen noch dazukommen.

Der Personalverwaltung fehlt technische Unterstützung

Allerdings sei die Personalverwaltung insgesamt – bei rund 5000 Vertragsänderungen pro Jahr – manuell nicht mehr zu bewältigen. Dafür benötige das Jugendamt „dringend technische Unterstützung“. Die derzeit stadtweit anstehende Einführung eines elektronischen Bewerbermanagements könne, so Fezer, nur ein erster Schritt sein.

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Protest von Eltern und Verdi

Die Konferenz der Gesamtelternbeiräte (GEB) der Stuttgarter Kitas fordert in einem Schreiben an Bürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) und die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses die uneingeschränkte Fortführung des „Tarif plus“ für Erzieherinnen in Höhe von 100 Euro im Monat – auch für Neueinstellungen vom 1. Januar 2017 an. Außerdem solle auf die geplante Abschmelzung für bereits Beschäftigte verzichtet werden. „Die Stuttgarter Elternschaft hätte wenig Verständnis, wenn in dieser Situation nicht alle Mittel der Personalgewinnung ausgeschöpft würden“, heißt es in dem Brief. Bei einem Abschmelzen oder Abschaffen der Stuttgart-Zulage sei bei Fachkräften „eine Abwanderung ins Umland zu befürchten“.

Auch die Gewerkschaft Verdi fordert die Fortführung der städtischen Zulage „Tarif plus“ auf unbestimmte Zeit, und zwar für alle Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum in München eine arbeitsmarktpolitische Zulage in Höhe von 200 Euro für Erzieherinnen bezahlt wird, während wir in Stuttgart um den Fortbestand der „Tarif plus“-Zulage streiten müssen“, so Verdi-Geschäftsführer Cuno Brune-Hägele.

Auch die Ratsfraktionen verlangen Nachbesserungen. Die SPD fordert, den „Tarif plus“ für Erzieherinnen auch Neueingestellten im Jahr 2017 in voller Höhe zu gewähren – bis zu einer erneuten Diskussion im Rahmen der Haushaltsberatungen. Zudem solle die Stadt die Schlichtungsempfehlungen zur Bezahlung der Fachkräfte voll umsetzen: also auch Gruppenleiterinnen in Kitas mit veränderten Öffnungszeiten und Zweitfachkräfte in Kinder- und Familienzentren nach Tarif S8b zu bezahlen.

Grüne und FDP fordern aus Gründen der Gleichbehandlung, allen Erzieherinnen die Zulage „Tarif plus“ zu geben, auch während der Phase der Abschmelzung – auch wenn sie erst im Januar 2017 eingestellt werden. Zudem schlagen sie eine Ausbildungsprämie für Pia-Anleiterinnen sowie Freistellungen vor, um die Ausbildungskapazität bei der praxisorientierten Erzieherausbildung (Pia) zu erhöhen.