Über das Alter, in dem die Leut’ sterben, seien sie längst hinaus. Der 93-jährige Walter Schultheiß, der dies sagt, kann also mit Trudel Wulle, 91, unbeschwert aufspielen. Das Publikum hat das beliebte Schwabenpaar in Stuttgart gefeiert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Gegenseitig geben sie sich Halt, als sie, Hand in Hand,behutsam und strahlend die Bühne betreten. Jeder hat einen Schnellhefter aus Pappe dabei. Blau ist der von Trudel Wulle und grün der von Walter Schultheiß.

 

Hinter ihnen leuchtet die LED-Wand digital in verschiedenen Farben, wie dies in der Sommershow „Echt, jetzt?!“ von Frl. Wommy Wonder üblich ist. Vorne nimmt das noch vor Äffle & Pferdle berühmteste Paar der Schwaben analog am Tisch Platz.

Noch bevor die beiden das erste Wort sprechen, stehen viele in der ausverkauften Sparda-Welt auf. Standing Ovations, bevor es losgeht. Es ist die Verneigung vor der Lebensleistung zweier großer Charakterschauspieler. Ein Dankeschön für das jahrzehntelange Vergnügen, das die beiden Generationen von Schwaben bereitet haben.

Wie heißt „Eventcenter“ auf Schwäbisch?

Nicht wenige im „Eventcenter“, wie die Bank als Hausherrin ihren Veranstaltungsraum nennt, sind mit „der Trudel“ und „dem Walter“ groß geworden. Sie nennen ihre Idole beim Vornamen, weil es sich so anfühlt, als gehörten sie zur eigenen Familie – zur großen schwäbischen Familie sowieso.

Eventcenter? Leidenschaftlichen Schwaben mag dieser Name nicht behagen. Trudel Wulle und Walter Schultheiß sind höflich genug, nicht darüber zu spotten. Lieber machen sie sich in ihren treffend im wahren Leben gefundenen Dialogen über sich selbst lustig, auch über die Cleverness und Begriffsstutzigkeit ihrer Landsleute.

„Feschdlessaal“ könnte man zum Eventcenter sagen. Schwoba send in dr „Schbardawelt“. Klingt nach Sparen. Um den Namen der Bank zu erklären, braucht man also kein Denglisch: Breng dei Geld ond spar da!

Die erste Frage von Schultheiß: „Kannschd kocha?“

1947, erzählt Trudel Wulle, die aus gewohnter Übung an diesem Abend mehr schwätzt als ihr Mann, haben sie sich auf der Bühne kennengelernt. Die erste Frage vom dürren Walter nach dem Krieg sei gewesen: „Kannschd kocha?“ Seit 70 Jahren geben sie sich also Halt und sind seit 67 Jahren verheiratet. „Immer mit der gleichen Frau“, betont Schultheiß, worauf ihn seine Trudel bedauernd anschaut: „Er tut mir leid!“ Schon früh sei ihr Mann so berühmt gewesen, dass er nicht mal unerkannt ins Rotlichtviertel habe gehen können.

Travestie-Lady Frl. Wommy Wonder hat die beiden mit der ebenfalls großartigen Monika Hirschle, dem Publikumsliebling in der Komödie im Marquardt, zu einer Sondervorstellung, einem Schwabenabend ohne Netz und doppelten Boden, eingeladen. „Es war ausgemacht, dass sie nur kommen, wenn es ihnen gut geht“, berichtet Wommy. Hätte ein gesundheitliches Problem gegen den Auftritt gesprochen, wäre der gesamte Abend ausgefallen. „Ist doch klar, dass die Besucher nicht wegen mir gekommen sind“, weiß die Travestiekünstlerin.

Von Minute zu Minute werden sie jünger

Und den betagten Gästen geht es „alters-artgerecht“ gut, wie Schultheiß sagt – je länger sie auf der Bühne sind, desto mehr drehen sie auf. Am Anfang bringt der 93-Jährige seine Zettel aus dem Schnellhefter durcheinander. Für einen Moment ist nicht klar, ob dies zum Programm gehört. Doch dann ist alles am rechten Platz. Mit fester Stimme hauen die Schwabenlegenden, die sie schon zu Lebzeiten sind, ihre Pointen raus. Es geht um den Schreibtisch, auf dem Schiller seine Maria Stuart „bearbeitet“ hat, oder um die Ärztin, die keine Krankheit findet, obwohl doch eine schlimme Nierenkrankheit gerade damit beginnt, dass nichts wehtut. Rechthaberei und Missverständnisse münden in aberwitzige Turbulenzen. Mit einer Präzision und einer reaktionsschnellen Wachheit spielen sich die beiden die Bälle zu, als würden sie von Minute zu Minute jünger werden. Wenn Zirkuspferde in der Manege sind, von Beifall umtost, gibt’s keine Wehwehchen mehr. Dann wachsen sie über sich selbst hinaus.

„Zahl, was du willst oder kannst“

Hinter der Bühne, sagt Wommy, habe „der Walter“ einen Kalauer nach dem anderen gemacht. Im Publikum fallen große Worte. Von „Dankbarkeit“ ist die Rede, dabei gewesen zu sein. Über diesen Abend werde man lange noch sprechen, hört man. Wie gut, dass die Gefeierten übers Alter hinaus sind, in denen die Leut’ sterben – dann wird es hoffentlich noch mehr Auftritte geben.

Eine weitere Sondervorstellung plant Wommy für den 21. August. Motto: „Zahl, was du willst oder kannst.“ Da bekommen die Zuschauer am Ende Umschläge, um ihren Eintrittspreis nach dem Gesehenen selbst festzulegen. Wäre dies auch bei Wulle und Schultheiß so gewesen – was hätte man zahlen sollen? Dieser besondere Abend war nämlich eines ganz bestimmt: unbezahlbar!