Donald Trumps Auftritt beim Nato-Gipfel in Brüssel kommt einer nackten Erpressung ziemlich nah. Vor allem Deutschland hat er attackiert. Wir haben überprüft, wo er Recht hat – und wo die Bundesregierung sich zurecht wehrt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - US-Präsident Donald Trump hat mit der Androhung eines sicherheitspolitischen Alleingangs und der aggressiven Kritik an der deutschen Leistungsbereitschaft Erschütterung beim Nato-Gipfel ausgelöst. Ein Überblick, wo Kritik berechtigt ist und wo nicht.

 

Warum reitet Trump so auf dem Zwei-Prozent-Ziel herum?

2006 hat die Nato erkannt, dass sie mehr investieren muss, um Sicherheit im Bündnisgebiet garantieren zu können. Damals wurde angepeilt, dass jeder Mitgliedsstaat mittelfristig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aufwenden soll. Beim Nato-Gipfel in Wales 2014 wurde es formell beschlossen: Bis 2024 nähern alle Mitglieder sich schrittweise diesem Ziel an. Vier Jahre später ist die Bilanz durchwachsen. Neben den USA, die sich ihren Weltmachtanspruch 3,5 Prozent des BIP kosten lässt, erreichen nur drei weitere Länder die Zielmarke: Griechenland (2,27), Estland (2,14) und Großbritannien (2,10). Deutschland liegt mit einem Anteil von 1,24 unter allen Mitgliedsstaaten derzeit auf Platz 17. Formal hat Trump mit seiner Kritik recht. Allerdings lässt er unter den Tisch fallen, dass Deutschland in dieser Zeit ein starkes Wirtschaftswachstum erzielt hat und das Bruttoinlandsprodukt von 2,93 Billionen Euro in 2014 auf 3,26 Billionen Euro (2017) gewachsen ist. Die Quote ist dabei ziemlich stabil geblieben. Das verschleiert, dass die Mittel deutlich von 33,13 Milliarden Euro (2014) auf 38,95 Milliarden Euro (2018) gestiegen sind.

Welche finanziellen Hausaufgaben bleiben?

Die Kanzlerin Angela Merkel und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen haben angekündigt, dass sie 2024 immerhin 1,5 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben wollen. Angepeilt wird dabei ein Verteidigungsetat von sechzig Milliarden Euro, das sind 80 Prozent mehr, als im Basisjahr 2014. Trump ist damit nicht zufrieden – er will Erhöhungen sofort. Aber das ist nicht das einzige Problem. Zwar hat die Bundesregierung mit den Eckwerten für den Haushalt 2019 erneut eine Erhöhung des Wehretats für 2019 auf 42,9 Milliarden Euro beschlossen und als Eckwerte für die Folgejahre weitere Steigerungen auf 43,86 Milliarden Euro angepeilt. Den Löwenanteil der in Deutschland umstrittenen Mehrausgaben für die Bundeswehr sollen also erst die Nachfolger dieser Bundesregierung und des amtierenden Bundestags beschließen.

Ist das nicht ein Streit um Kaisers Bart?

2014 hat sich mit der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und das Auftreten der Terrororganisation Islamischer Staat die Sicherheitslage verschlechtert. Die Verteidigung des Bündnisgebiets ist deshalb wieder in den Fokus gerückt. Nachdem fast alle Nato-Staaten jahrzehntelang bei der Verteidigung gespart haben, erfordert das eine Überprüfung der Ausrüstung. Was für Deutschland noch wichtiger ist: In Berlin wurde beim Sparen die Axt an die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr gelegt. Davon künden die vielen Pannenmeldungen über U-Boote, die nicht tauchen, Schiffe, die in der Werft liegen, und Hubschrauber, Kampf- und Transportflugzeuge, die allzu oft am Boden bleiben müssen. Die Bundeswehr kann unter Ach und Krach ihre aktuellen Einsatzverpflichtungen. Die Fähigkeiten zur Bündnisverteidigung und und der Beitrag zur Abschreckung sind dagegen nicht ausreichend.

Muss die Bundesregierung deshalb in Sack und Asche gehen?

Auch wenn das im ersten Moment widersprüchlich klingt: Nein. Zwar liegen die USA, die laut den Nato-Statistiken 2018 rund 706 Milliarden Dollar für Verteidigung ausgeben, mit ihrem Budget uneinholbar vorne. Dennoch spielt die Bundesrepublik (51 Milliarden Dollar) in der ersten Liga der Zahler – nach anderen großen Ländern wie Großbritannien (61,5 Milliarden Dollar) und Frankreich (52,0 Milliarden Dollar). Zum Vergleich: Die Zwei-Prozent-Musterschüler Estland und Griechenland bringen es nur auf Verteidigungsaufwendungen von 637 Millionen beziehungsweise fünf Milliarden Dollar im Jahr 2018. Deshalb verweist Berlin mit Recht darauf, dass es nicht nur um Quoten geht, sondern darum, welche Beiträge ein Land in der Nato leiste. Berlin sieht sich als zweitgrößter Truppensteller im Bündnis. Derzeit sind laut Verteidigungsministerium 2480 Bundeswehrsoldaten in vier Nato-Einsätzen im Ausland. Hinzu kommen 5000 Soldaten, die drei Jahre lang an der sogenannten Nato-„Speerspitze“ beteiligt sind. Deutsche Kontingente in EU- sowie UN-Einsätzen bleiben hier unberücksichtigt.

Hat Trumps Ultimatum Chancen?

Die Aussichten dafür, das Zwei-Prozent-Ziel bis Januar zu erreichen, sind politisch und praktisch nicht hoch. Erstens dürfen Staaten ihre Etats nicht komplett auf den Kopf stellen. Würde so viel Geld umgeschichtet, ginge die Übersicht und Verbindlichkeit der Haushaltsplanung verloren. Zweitens kann man Waffensysteme nicht von der Stange kaufen. Ihre Entwicklung und Beschaffung dauert Jahrzehnte. Ein Beispiel: Überlegungen für ein neues Kampflugzeug gab es seit den siebziger Jahren. 1985 wurde die Entwicklung des Eurofighter beschlossen. 1998 haben Deutschland und die Partner die Flugzeuge bestellt, das erste Serienexemplar traf 2003 bei der Bundeswehr ein. Noch immer sind nicht alle Maschinen an die Truppe ausgeliefert. Der Projekt hat sich immer weiter verzögert – laut der jüngsten Bilanz um mittlerweile mehr als zwölf Jahre.

Welche Rüstungsprojekte stehen an?

Wer seine Streitkräfte bedarfsgerecht ausrüsten will, braucht Planungsvorlauf. Die Bundeswehr kauft ständig in großem Stil ein. 2017 wurden dafür allein vier Milliarden Euro ausgegeben. Zugleich wurden große Beschaffungsvorhaben mit unterschiedlicher Laufzeit im Volumen von mehr als 14 Milliarden Euro haushaltstechnisch auf den Weg gebracht. Wie viel mehr Geld die Truppe sinnvoll investieren könnte, ist umstritten. Im Ministerium traut man sich zu, bis 2021 mindestens 12 Milliarden Euro mehr planvoll ausgeben zu können. Bisher gibt es in der großen Koalition dafür aber keine Mehrheit. Unter dem Eindruck des Gipfels, deutete die Kanzlerin an, die Frage, „was können wir gegebenenfalls noch mehr tun“, erneut aufzuwerfen.