TSG Balingen mischt Regionalliga auf Das steckt hinter dem Favoritenschreck von der Zollernalb

Leander Vochatzer und die TSG Balingen behaupten sich in der Regionalliga mehr als beachtlich, hier gegen den SGV Freiberg und Ruben Reisig (re.). Foto: Baumann/Alexander Keppler

Die TSG Balingen überwintert in der Fußball-Regionalliga völlig überraschend weit oben in der Tabelle. Was sind die Hintergründe für diese bärenstarke erste Saisonhälfte?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Leander Vochatzer muss nicht lange überlegen, was dieser zweite Platz in seinem persönlichen Ranking bedeutet: „Das ist mit Abstand der bisher größte Erfolg für mich“, sagt der Mittelfeldspieler des Regionalligisten TSG Balingen. Nun ist die Saison noch nicht vorbei, und Vochatzer auch erst 25 Jahre alt. Doch das ändert wenig an der Aussagekraft dieses außergewöhnlichen (Zwischen-)Erfolgs. Schließlich ist Vochatzer schon etwas rumgekommen in seinem Fußballerleben, spielte für den FC 08 Villingen, den SV Sandhausen und die Stuttgarter Kickers. Er kann diverse Vergleiche ziehen. Und das Besondere an dieser TSG einschätzen – nämlich, dass sie aus ihren bescheidenden Möglichkeiten das nahezu Optimale herausholt.

 

Dreimal pro Woche Training

Wie das gelingt? Mit einfachem Fußball, harter, zielstrebiger Arbeit, einer gesunden Mischung aus jungen, hungrigen und erfahrenen Spielern. „Bei uns“, sagt Vochatzer, „ist sich einfach niemand für nichts zu schade.“ Bei dieser Einstellung reichen offenbar auch drei Trainingseinheiten pro Woche (jeweils ab 18.15 Uhr), um außer Spitzenreiter SSV Ulm 1846 (sieben Punkte vor Balingen) allen anderen Favoriten eine lange Nase zu drehen. Wie zum Beispiel den unter Vollprofibedingungen arbeitenden Clubs Offenbacher Kickers, FC 08 Homburg oder TSV Steinbach Haiger. Von den abstiegsbedrohten württembergischen Rivalen VfR Aalen und SGV Freiberg, wo es ebenfalls deutlich mehr zu verdienen gibt als auf der Zollernalb, ganz zu schweigen.

Jan Lindenmair muss sich selbst manchmal verwundert die Augen reiben, wie sich alles entwickelt hat. Der ehemalige Volleyballtrainer von Frauen-Bundesligist Allianz MTV Stuttgart, der sich in seiner Stammsportart weiterhin ehrenamtlich beim ambitionierten TSV Flacht engagiert, kam nach dem Regionalliga-Aufstieg 2018 als Geschäftsführer zur TSG. Er besaß eine kleine Sportmarketing-Agentur in Balingen und rutschte „über viele Zufälle“ in seine neue Rolle im Fußball. Bereut hat er es nie. Lindenmair hat einiges bewegt, doch er gibt das Lob an die Spieler und den Trainer weiter.

Ruhepol Martin Braun

Der Trainer – das ist seit der Winterpause 2020 Martin Braun. Der 54-jährige hat im Profigeschäft als Spieler viel erlebt – vor allem unter Coach Volker Finke beim SC Freiburg. Braun arbeitet akribisch, strukturiert und unaufgeregt. Ihn emotional aus der Bahn zu werfen ist praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Himmelhochjauchzend nach Siegen, zu Tode betrübt bei Niederlagen? Gibt’s nicht bei Braun. „Er wird nie unruhig oder hektisch. Er ist unser kompletter Ruhepol“, sagt Vochatzer, den Braun 2018 als Sportdirektor der Stuttgarter Kickers aus Sandhausen zu den Blauen zurückholte.

Selbst als beim letzten TSG-Spiel vor der Winterpause einige Zuschauer moserten, weil es gegen den VfR Aalen nach einer 4:0-Führung nur 4:2 ausging, ließ sich der Schwarzwälder aus Löffingen nicht aus der Reserve locken. „Es gibt wohl einige Zuschauer, die der Meinung sind, wir müssten unsere Spiele in der Regionalliga noch höher gewinnen. Solche Reaktionen überraschen mich. Da muss ich sagen, dass wir als Mannschaft und im Trainerteam doch demütiger sind“, sagte Braun gewohnt sachlich und ruhig.

Guter Mix im Kader

„Viel Selbstvertrauen und funktionierende Mechanismen“ sind für ihn die Gründe für dieses kleine Fußballmärchen von der Zollernalb. Am schlüssigen Gesicht der Mannschaft hat Braun Schritt für Schritt gearbeitet. Die Basis bilden die Ur-Balinger wie der spielende Co-Trainer Lukas Foelsch, Torwart Marcel Binanzer, Matthias Schmitz, Fabian Fecker oder Sascha Eisele. Auch Jan Ferdinand spielte schon in der Jugend für die TSG. Der Stürmer machte wegen einer Schulterverletzung nur elf Spiele, das Team punktete auch ohne ihn munter weiter, doch mit sieben Treffern ist er nach wie vor bester TSG-Torschütze.

Dass der 25-Jährige nach den Stationen VfB Stuttgart II, TSG Hoffenheim II und SG Sonnenhof Großaspach im August 2021 wieder in seine Heimat zurückkehrte, zeigt den gestiegenen Stellenwert der Marke TSG, von der sich auch der profierfahrene Mentalitätspieler Moritz Kohn (zuletzt Türkgücü München) überzeugen ließ. Auch Spieler wie Jonas Meiser, Lukas Ramser, Pedro Almeida Morais oder Tim Wöhrle haben sich bewusst für Balingen als Sprungbrett nach oben entschieden.

Dritte Liga? „Wehren würden wir uns nicht“

Ob auch mit der TSG der Sprung in die dritte Liga gelingen könnte? „Es wäre mit unseren Rahmenbedingungen vermessen, den Aufstieg mit aller Macht anzustreben, aber da es passieren könnte, ist es für uns als Verein auch die Pflicht, uns damit auseinanderzusetzen“, sagt Geschäftsführer Lindenmair. Ähnlich sieht es Vochatzer: „Es wäre eine Riesensensationen und kann kein Ziel von uns sein, aber wehren würden wir uns dagegen auf keinen Fall.“ Schließlich ist in seinem persönlichen Erfolgsranking noch Luft nach oben.

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