Wegen eines einzigen Intercitys im Bahnhof Tübingen kassiert die Bahn Gebühren für alle dort haltenden Züge.

Tübingen - Die Bahnsteige fünf und sechs am Hauptbahnhof Tübingen sind die schäbigsten von allen. Und auch von einer Wagenstandsanzeige, die über nummerierte Sitzplätze und 1. Klasseabteile Anhaltspunkte gibt, ist hier weitab vom Bahnhofsgebäude nichts zu sehen. Genau hier stoppt der Intercity mit dem klingenden Namen Loreley. Gleich der Nixe auf dem Felsen am Rhein, die der Sage nach manchen Schiffer ins Verderben riss, führt dieser Intercity das Land in ein Unglück. In diesem Fall sind es 400.000 Euro, die es zusätzlich an die Bahn zu zahlen gilt. Und das für so gut wie keine Gegenleistung.

Wegen des IC Loreley ist der Tübinger Hauptbahnhof von der DB Station & Service aufgewertet worden. Und zwar vom Regionalbahnhof zum Fernbahnhof. Aufgrund dieser Einstufung wird berechnet, was die Einfahrt eines Zuges an Gebühr kostet. Und offenbar geht die Bahn davon aus, dass Fernbahnhöfe besonders gut ausgestattet sind. Die Summe lässt sich aus der etwas mehr als 7000 Haltepunkte umfassenden Stationspreisliste der DB herauslesen. Beim Bahnhof 6279 - Tübingen Hbf - hat sich von 2009 auf 2010 ein Sprung um mehr als 400 Prozent ergeben. Je Zug sind statt 1,48 Euro nun 6,43 Euro von der einen Bahnsparte an die andere zu entrichten. Ohne dass der Bahnhof mehr bietet.

Die Crux dabei: laut dem zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Bahn AG abgeschlossenen und hier bis 2014 geltenden Verkehrsvertrag muss das Land Erhöhungen im Rahmen dieser Stationspreise übernehmen. Das bestätigte ein Sprecher der Bahn auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung.

Der Zug kann nicht gestrichen werden


Im Falle des IC Loreley, der an den meisten Tagen Tübingen frühmorgens in Richtung Düsseldorf und manchmal sogar Berlin verlässt und abends in die Universitätsstadt zurückkehrt, käme übers Jahr besehen eine überschaubare Summe zusammen. Doch diese Gebühren gelten auch für alle Regionalverbindungen. Und das sind werktags 181 Züge, samstags 101 und sonntags deren 88. Die Stationspreise werden von der Bahntochter DB Station & Service der DB Regio berechnet. Und diese leitet die Rechnung an das Land weiter. Für Tübingen werden 280.000 Euro fällig. Weil der IC Loreley auch in Nürtingen ähnlich drastische Veränderungen in der Stationspreisliste auslöst, summiert sich diese Summe auf 400.000 Euro jährlich. Für die Bahn ist IC Loreley lukrativ, selbst wenn niemand mitfährt.

Als Bahnexperten bei der Einführung des Zuges zum Fahrplanwechsel am 13. Dezember von einem "epochalen Fortschritt für die Region Neckar-Alb" sprachen, waren ihnen diese Auswirkungen nicht bekannt. Es dachte wohl auch deswegen zunächst niemand daran, weil das Land bei der DB Regio nur Züge für den Regionalverkehr bestellt. Der Intercity gehört zur Sparte Fernverkehr. Und damit hat das Land nichts zu tun. Doch über die Stationsgebühren werden nun Nahverkehrsmittel der Länder in den Fernverkehr umgeleitet.

Der Tübinger OB Boris Palmer fordert Bahn-Chef Rüdiger Grube in einem Brief auf, freiwillig auf die "Inanspruchnahme der zusätzlichen Zahlungen des Landes zu verzichten". Die bisherigen Stationspreise sollten unverändert angewendet werden. "Sollte sich die Bahn dazu nicht in der Lage sehen, bleibt aus meiner Sicht nur die Streichung des IC Loreley", schreibt Palmer. Laut des Bahn-Sprechers ist dies kurzfristig nicht möglich, weil die Züge in allen Fahrplänen aufgeführt sind.

Das Stuttgarter Umweltministerium lässt den Fall durch die Regulierungsbehörde überprüfen. Diese staatliche Einrichtung namens Bundesnetzagentur kümmert sich um den Wettbewerb in Branchen wie dem Eisenbahnwesen. Womöglich stoppt die Behörde die angebliche Aufwertung der Bahnhöfe von Tübingen und Nürtingen. "Bezahlt hat das Land bisher nur unter Vorbehalt", ist zu vernehmen. Übrigens: am Tübinger Bahnhof beginnen nächste Woche Bauarbeiten zum barrierefreien Zugang. Aber bestimmt nicht wegen des IC Loreley.