Oberbürgermeister Boris Palmer hat genug: Weil die Zahl der Graffiti in Tübingen überhandnimmt, hat er jetzt eine Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Auch in Pforzheim wird hart durchgegriffen.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Tübingen - So wie man ihn kennt, hätte Boris Palmer die Übeltäter wohl am liebsten persönlich dingfest gemacht. Erst vor wenigen Wochen hatte der Tübinger Oberbürgermeister für 15 000 Euro eine Unterführung in der Nähe des Bahnhofs von unzähligen Graffitischmierereien reinigen lassen. Nun prangen auf den noch schimmernd weißen Flächen schon wieder Riesenlettern, dieses Mal auch noch mit anstößigem Inhalt: „CSB & BC22 ihr Hurensöhne! Crosst noch einmal ADHS und ihr seid tot!“, steht da fast über die ganze Länge verteilt geschrieben.

 

Die Botschaft stammt offensichtlich von einem Anhänger der Sprayergruppe ADHS, der sich über die Konkurrenz CSB und BC22 ärgert, weil diese „gecrosst“, also ein Graffito von ADHS übersprüht haben. Vermutlich steckt Reviergehabe dahinter oder fehlende Achtung vor dem Handwerk der anderen. Palmer aber geht es vor allem um den Täter: Eine Belohnung von 2500 Euro für Hinweise, die zur Ergreifung führen, stellte er in Aussicht. „Bei Todesdrohungen auf öffentlichen Flächen und sechsstelligen Schadenssummen ist es Zeit, das Landeskriminalamt einzuschalten“, warnt er die Szene auf Facebook und appelliert zugleich an ihre Mitglieder: „Wer kennt Namen? Wer will aussteigen?“

Viele Flächen wurden wieder besprüht, kaum, dass sie gereinigt waren

Der Frust ist wohl auch deshalb groß, weil in Tübingen vor zwei Jahren beschlossen wurde, Graffiti an öffentlichen Gebäuden und Kunstwerken so schnell wie möglich zu beseitigen. Die Anti-Graffiti-Initiative hat wenig bewirkt: Viele Flächen, kaum waren sie gereinigt, wurden wieder besprüht. „Diese Erfahrung haben wir leider mehrmals gemacht“, sagt eine Sprecherin des Rathauses. Was zur Folge hat, dass die Stadt nach eigenen Angaben 2018 für die Reinigung von öffentlichen Gebäuden, Treppen und Unterführungen 46 000 Euro ausgegeben hat – die Reinigung von Kunstwerken nicht mitgerechnet.

Zumindest steht Palmer mit seiner Wut auf die „Schmierfinken“ nicht allein da. Seit 2014 ist die Zahl der Sachbeschädigungen durch Graffiti im Land wieder kontinuierlich am Steigen, wie das baden-württembergische Innenministerium mitteilt. 2014 wurden 7852 Fälle verzeichnet, 2017 waren es 9129 Fälle und im vergangenen Jahr – genaue Zahlen werden in wenigen Tagen veröffentlicht – setzte sich der Aufwärtstrend fort. Die gute Nachricht: Verbessert hat sich die Aufklärungsquote. „2018 stieg sie auf rund 18 Prozent, in den Vorjahren bewegte sie sich zwischen zwölf und 16 Prozent“, sagt ein Ministeriumssprecher. Der Schlüssel zum Erfolg sei schlicht und ergreifend „akribische Ermittlungsarbeit“.

Die Aufklärungsraten in Pforzheim liegen zwischen 60 und 90 Prozent

Während die Polizei 2017 in Tübingen 32 von 220 angezeigten Fällen aufklären konnte, führt Pforzheim das Feld an. In den vergangenen Jahren lagen die Aufklärungsraten zwischen 60 und 90 Prozent. Sprayer sind kaum noch anzutreffen. „Das war mal anders“, erzählt Volker Weingardt, Jugend- und Graffitisachbearbeiter im Haus des Jugendrechts in Pforzheim und Kenner der Szene. Ende der neunziger Jahre wurden innerhalb von drei Monaten 236 Einzelstraftaten und ein Sachschaden von 850 000 Euro verzeichnet. Diese Hochkonjunktur im Milieu hat damals das Polizeipräsidium Karlsruhe veranlasst, den Sprayern den Kampf anzusagen. „Wir haben 2003 angefangen, jeden einzelnen Fall hartnäckig zu verfolgen“, erinnert sich Weingardt. „Jede Schmiererei wurde fotografiert, jede Signatur katalogisiert, Stil und Farben wurden analysiert, die Vernehmungstaktiken verfeinert“, zählt er auf.

Damit meint er nicht nur die Praxis, die Sprayer bei ihrer Eitelkeit zu packen – manche posieren vor ihren Werken im Netz. Um Verdächtigen Geständnisse zu entlocken, wird ihnen außerdem das Angebot gemacht, ihre Strafe durch Arbeit für das sogenannte Anti-Graffiti-Mobil zu verbüßen. „Auf diese Weise bleiben den Jugendlichen hohe Schulden erspart, die sie andernfalls aus der Bahn werfen könnten“, sagt Volker Weingardt.

21 000 Quadratmeter Fläche sind im Enzkreis gereinigt worden

Seit seiner Einführung vor 15 Jahren hat das Anti-Graffiti-Mobil, ein mit Reinigungsmitteln ausgestattetes Fahrzeug, 21 000 Quadratmeter Fläche in Pforzheim und im Enzkreis von Graffiti gesäubert. Im Einsatz sind Graffitisünder und Maler, die die Jugendlichen ehrenamtlich anleiten. Gearbeitet wird mit einer Technik, bei der nicht die ganze Fassade, sondern nur der besprühte Bereich neu gestrichen werden muss. Das Material wird finanziert durch Spenden und gerichtlich verhängte Geldauflagen aus anderen Fällen. „Die Täter bekommen dabei den Wert fremden Eigentums vermittelt, zum Teil auch im Gespräch mit den Geschädigten selbst“, sagt Weingardt, der das Projekt betreut. Kein Einziger sei bisher rückfällig geworden.

Auch in Pforzheim hat man zunächst jahrelang stoisch Graffiti zügig entfernt. Verschwindet die vermeintliche Kunst innerhalb kurzer Zeit – nur zwei Prozent der Sprayer gestalten anspruchsvolle Bilder, der Rest sind simple Schriftzüge oder Signaturen –, verliert ihr Schöpfer irgendwann die Lust. „Sprayer haben außerdem das Verhalten von Hunden“, erklärt Weingardt. „Pinkelt einer irgendwohin, setzen auch andere ihre Duftmarke.“ Darum empfehle er Tübingen, Schmierereien weiterhin rasch zu entfernen. Auch die Idee, eine Belohnung auszusetzen, um den Täter dingfest zu machen, findet der Experte nicht verkehrt. In der Szene seien viele mittellose Jugendliche unterwegs, die darauf anspringen könnten, sagt er.

Zumal die Botschaft in der Unterführung nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. „Wir hatten in Pforzheim vor einiger Zeit einen ähnlichen Streit“, erinnert sich Weingardt. Das ging so weit, dass Sprayer der einen Fraktion mit einem Wagen vor dem Wohnhaus ihres Gegners gelauert hatten, um diesen zu überfahren. Der Fall ging glimpflich aus. Die Täter hatten es sich im letzten Moment doch noch anders überlegt.