Darf die Uni Tübingen eine Theologie-Professur exklusiv für Priester ausschreiben? Ja, meint die zuständige Ministerin und verweist aufs Kirchenrecht. Im Landtags wird die Aushebelung der Gleichberechtigung kritisiert.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat für die Universität Tübingen offiziell einen hohen Stellenwert. Tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen, heißt es in ihrem Gleichstellungsplan, sei eine „Voraussetzung für wissenschaftliche Leistungs- und Innovationsfähigkeit“. Noch bestehende Nachteile für Frauen gelte es daher abzubauen.

 

Nun aber beschäftigte eine Personalie an der Theologisch-Katholischen Fakultät die Landespolitik, bei der das 2006 erlassene Gesetz gleichsam ausgehebelt wurde – durch Jahrhunderte alte, bis heute fortwirkende Rechte. Es geht um die Besetzung einer Professur fürs Neue Testament, die seit längerem vakant war. Schon aus Formgründen gab es Wirbel um die Ausschreibung vom März 2015: Sie war ohne die nötige Zustimmung des Rektorats und des Wissenschaftsministeriums von Theresia Bauer (Grüne) vorgenommen worden, angeblich „aufgrund eines Missverständnisses“. Das Plazet erteilte Bauers Ressort daher nachträglich.

Kein vergleichbarer Fall bekannt

Noch mehr aber irritierte die Landtags-FDP, die den Vorgang jetzt aufgriff, eine inhaltliche Vorgabe. „Die Stelle soll mit einem Priester besetzt werden“, hieß es offen. Da Frauen in der katholischen Kirche bekanntlich nicht Priesterin werden können, waren sie von vornherein ausgeschlossen. Zum Zuge kam jener Aspirant, der früh als Wunschkandidat (auch der Diözese Rottenburg-Stuttgart) galt: Professor Wilfried Eisele (45), einst in Weingarten zum Priester geweiht, zuletzt an der Universität Münster tätig. Eisele hat den Ruf nach Angaben der Hochschule angenommen, zum 1. April wurde er ernannt.

Eine Ausschreibung wird exklusiv auf Priester und damit Männer beschränkt – in den vergangenen Jahren habe es „keinen vergleichbaren Fall“ gegeben, teilte ein Uni-Sprecher mit. Altgediente meinen sogar, es sei das erste Mal überhaupt. Besonders pikant: die damalige Dekanin ist zugleich Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät. Wie aber passt das Vorgehen zu den Vorgaben des Gesetzes, nach denen niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden darf? Diese Frage wurde nicht nur von Hochschulangehörigen aufgeworfen, die sich um den Ruf der bisher als liberal geltenden Fakultät sorgten, sondern auch von den Liberalen im Landtag. Ob sie ebenfalls finde, dass die Ausschreibung gegen das AGG verstoße, erkundigten sie sich per Antrag bei Ministerin Bauer. Das finde sie nicht, erwiderte die Grüne – und begründete es ausführlich. Es gelte das Reichskonkordat von 1933, ein Vertrag zwischen Heiligem Stuhl und Deutschem Reich, nach dem die Hochschulen „einschlägige kirchliche Vorschriften“ zu beachten hätten. Dazu zählte ein Dekret von 1972, nach der „bei der Priesterausbildung Professoren für gewöhnlich Priester sein müssen“; Ausnahmen seien aber möglich. Heute werde dies so ausgelegt, dass der Priester-Anteil an den Professoren nicht weniger als fünfzig Prozent betragen solle. Damit handele es sich um einen jener genau definierten Fälle, in denen das Gleichbehandlungsgesetz eine unterschiedliche Behandlung zulasse.

„Keine Einflussnahme durch Diözese“

In Tübingen liege der Priester-Anteil „seit vielen Jahren deutlich unter 50 Prozent“, sagt der Uni-Sprecher. Bei der fraglichen Professur habe man daher beschlossen, die Ausschreibung auf katholische Priester zu beschränken. Die Frage, ob man damit einem Wunsch der Kirche folge, beantwortete er nur indirekt: Die Diözese habe „keinen Einfluss genommen“. Im Übrigen entspreche die Beteiligung der Kirchen an der Berufung von Professoren „jahrhundertelanger Praxis“. Dieser Einfluss sei zuletzt 2008 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgesegnet worden, insbesondere mit Blick auf die Freiheit von Forschung und Lehre. Rechtlich überprüft wird der Fall übrigens nicht: es habe keine Konkurrentenklage gegeben, teilte das Ministerium mit.

FDP-Abgeordneter Weinmann: irritierende Ausnahmen

Für den FDP-Abgeordneten Nico Weinmann ist die Auskunft gleichwohl unbefriedigend. Die Hochschulautonomie und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stünden hier im Widerstreit mit „antiquierten Vorgaben des Kirchenrechts“, beklagt der Wissenschaftsexperte der Fraktion. Bauer folge in ihrer Argumentation einer Praxis, „die irritierende Ausnahmen vom AGG zur Folge haben kann“. Mit keinem Wort erwähne sie freilich, dass der Vorgänger auf der fraglichen Professur eben kein Priester gewesen sei. So zwingend kann die Ausnahme also nicht gewesen sein. Weinmanns Fazit: nach den Wirren um die Ausschreibung hätte das Ministerium „dem Vorgang eine gesteigerte Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen“. Tatsächlich habe es dabei nicht nachgesteuert. Nur eine Formulierung wurde noch geändert: Aus dem apodiktischen „die Stelle wird mit einem Priester besetzt“ wurde ein weicheres „soll . . . werden“. Das Ergebnis war das gleiche.