Tübinger Forscher wollen schwere Krankheitsverläufe früher erkennen. Dafür suchen sie nun Studienteilnehmer, die bereits erkrankt sind. Was steckt hinter dieser Idee?

Tübingen - Auch mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie gibt das Sars-CoV2-Virus Ärzten und Wissenschaftlerinnen in vielen Punkten Rätsel auf, die schwer zu knacken sind. Warum erkranken manche Menschen schwer, während andere keine Krankheitssymptome zeigen – obwohl sie ähnlich alt und gesund sind? Und wie können behandelnde Ärzte möglichst genau und frühzeitig erkennen, ob die Infektion bei Patientinnen und Patienten einen schweren oder einen harmlosen Verlauf nehmen wird?

 

Grundlagenforscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Tübingen starten nun zusammen mit Medizinern des Universitätsklinikums Tübingen eine Studie, die helfen soll, schwere Krankheitsverläufe in einem früheren Stadium zu erkennen als bisher. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das sogenannte Maschinelle Lernen – diese Forschungsrichtung ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI). Maschinelles Lernen ermöglicht es, in großen Datenmengen Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Dies ist Menschen aufgrund der Datenmenge unmöglich.

Risikopatienten früher identifizieren

Wie soll dies konkret gelingen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen möglichst viele Patienten, die sich unlängst neu an Corona infiziert haben. Diese Patienten erhalten Geräte, die beispielsweise den Blutdruck und den Puls messen, sowie die Sauerstoffsättigung des Bluts. Zudem sollen sie dokumentieren, welche Beschwerden auftreten und ob sich diese verstärken. Anschließend werten Wissenschaftler die Daten mit der Technik des Maschinellen Lernens aus und erkennen im besten Fall typische Muster und Verläufe.

Ärzte und Forscher versprechen sich viel von der Studie: „Obwohl wir nach über einem Jahr Pandemie bereits viele Erkenntnisse über das Virus gewonnen haben, ist es immer noch schwierig, den Krankheitsverlauf einer Covid-19-Erkrankung vorherzusagen“, sagt der Privatdozent Jürgen Hetzel, Pneumologe am Universitätsklinikum Tübingen. „Umso wichtiger ist die Studie, damit in Zukunft Risikopatienten früher identifiziert werden können.“

Weniger Engpässe im Gesundheitswesen

Den Anstoß für die Studie hat Bernhard Schölkopf gegeben, Direktor der Abteilung für Empirische Inferenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme – er ist einer der weltweit führenden Forscher auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Wenn man besser vorhersagen könne, bei welchen Menschen schwere Krankheitsverläufe zu erwarten seien, könnte dies „Ärztinnen und Ärzten helfen, diese Menschen früher medizinisch zu versorgen und ihre Behandlung individueller zu gestalten“. Profitieren könnte davon seiner Ansicht nach auch das Gesundheitswesen – es könnte die „vorhandenen Ressourcen gezielter einsetzen, um das Risiko für Engpässe zu verringern“.

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Die Studie wird von mehreren Gesundheitsämtern unterstützt. Ob sie Erfolg hat, entscheidet sich auch durch die Anzahl der Studienteilnehmer. Wer Interesse hat, kann sich per Mail melden: covid19-studie@tuebingen.mpg.de. Telefonisch ist die Studienzentrale unter 0 70 71 / 6 01 - 5 35 erreichbar (Mo–Fr zwischen 9 und 12 Uhr und 14 und 16 Uhr). Weitere Informationen im Netz: https://ei.is.mpg.de/covid-19-studie