Von den Grünen wird Boris Palmer wegen seinen Äußerungen zu den Problemen der Flüchtlingsunterbringung heftig kritisiert. Fehler bei Formulierungen räumt Tübingens OB ein, in der Sache bleibt er klar: „Ich habe einen Hilferuf an die Bundesregierung gerichtet“.

Tübingen - Als Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zum Thema Flüchtlingsunterbringung sagte „Wir schaffen das nicht“ , wurde er nicht nur aus den Reihen der Grünen angegriffen. Fehler bei der Formulierung räumt er inzwischen ein, in der Sache bleibt er sich aber treu: es müsse möglich sein, auch in der Flüchtlingspolitik Zweifel und Unbehagen auszudrücken.

 
Herr Palmer, gleich zum Auftakt des Parteitags der Grünen in Halle sind sie heftig angegangen worden. Sie sollten ein Schuldbekenntnis ablegen. Warum haben Sie in drei Tagen nicht das Wort ergriffen, um sich zu rechtfertigen?
Ich spüre keinen Rechtfertigungsdruck. Ich bin mit mir im Reinen. Dazu war ich mit dem Parteitag rundum zufrieden. Alle unrealistischen Anträge wurden abgelehnt. So wurde die Forderung nach offenen Grenzen verworfen und gleichzeitig bestätigt, dass die grünen Länderregierungen dem Asylkompromiss zugestimmt haben. Winfried Kretschmann hat schonungslos berichtet, wie schwierig die Lage ist. Die Delegierten haben nachdenklich zugehört und am Ende stehend applaudiert.
Auf der Bühne haben Sie sich nicht geäußert, aber dennoch mit vielen Leuten gesprochen. Fühlen Sie sich isoliert?
Nein, aber das ist doch jetzt auch nicht wichtig. Ich habe als Tübinger Oberbürgermeister einen Hilferuf an die Bundespolitik gerichtet und in Kauf genommen, dass ich damit viele Parteifreunde verärgere. So einen Streit in der Sache halten wir aus.
Mitunter wurden sie mit Pegida-Anhängern verglichen.
Es war sicher ein Fehler, meine These so zu formulieren, dass der Eindruck entstehen konnte, ich wollte den Flüchtlingen nicht mehr helfen. Statt zu sagen, wir schaffen das nicht, hätte ich präziser sagen müssen, wir schaffen das so nicht. Ich finde ich es wichtig, den Diskurs in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen. Was können wir schaffen, wie können wir das schaffen und wo sind auch unsere Grenzen erreicht? Zweifel und Unbehagen mit Pegida gleichzusetzen, erstickt die Debatte.
Robert Habeck, der grüne Landwirtschaftsminister aus Schleswig-Holstein, hat die Reaktion auf seine Position sehr viel kontroverser beschrieben als Sie. Woran liegt das?
Habeck möchte Spitzenkandidat werden. Er hat die Probleme beschrieben, die uns realistischerweise erwarten. Deswegen kritisieren ihn diejenigen, die in der Flüchtlingsfrage eine sehr offensiv grüne Position haben, für die Humanität der alles entscheidende Faktor ist. Immer wenn Idealismus auf Realismus trifft, führt das zu kontroversen Debatten und zu schmerzhaften Entscheidungen. Nur mit der Kombination aus beiden Haltungen kann man erfolgreich sein.
Was schlagen Sie der Kanzlerin denn vor in der europäischen Flüchtlingskrise?
Ich bin kein Ratgeber der Kanzlerin und mit dieser Frage nun wirklich überfordert. Wie Angela Merkel sollte man diese Debatte aber nicht führen. Deren Botschaft lautet, es kommen so viele Flüchtlinge wie eben kommen und die müssen wir aufnehmen. Jetzt kommen aber so viele Flüchtlinge, dass sich viele Menschen fragen, wie soll das eigentlich gehen? Die Kanzlerin muss Lösungen bieten, das tut sie bisher nicht.
Sie verweist auf die europäische Lösung.
Da hat sie sicher Recht. Aber so schofelig wie sie die Südeuropäer behandelt hat, als Italien die Flüchtlinge und Griechenland die Troika hatte, muss sie noch viel tun. Für eine europäische Lösung brauchen wir Verständnis für unsere Nachbarländer. So ist die Bereitschaft zur Flüchtlingsaufnahme in Spanien mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent geringer als bei uns. Wir sollen nicht so tun, als seien wir die einzigen, die moralisch handeln und die anderen müssen dazu gezwungen werden, zur Not mit dem Geldknüppel.