Über die Entscheidung des Hirnforschers Nikos Logothetis, wegen Anfeindungen radikaler Tierschützer die Versuche mit Primaten am Tübinger Max-Planck-Institut einzustellen, wurde zuletzt viel diskutiert, nun meldet er sich selbst zu Wort. Unaufhörliche Diffamierungen hätten ihn zu dieser Entscheidung bewogen, sagt er. Außerdem vermisste er die Unterstützung aus der Wissenschaft.

Tübingen - In der Diskussion über Tierversuche am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen hat sich der Leiter der Abteilung nun persönlich zu Wort gemeldet. Professor Nikos Logothetis bestätigt in einer Erklärung, dass seine Entscheidung, nach 18 Jahren nur noch an Ratten und nicht mehr an Affen zu forschen, aufgrund unaufhörlicher Diffamierungen von Seiten der radikalen Tierversuchsgegner gefallen sei. Logothetis bedauert zudem, dass „den fortwährend falschen Behauptungen und teils illegalen Aktivitäten der Tierrechtler von wissenschaftlichen Organisationen öffentlich nicht energisch genug entgegengetreten wird“, heißt es in der Mitteilung.

 

Der Rückzug des Tübinger Hirnforschers aus der Primatenforschung hat unterdessen zu einer internationalen Protestwelle in der Wissenschaft geführt. Innerhalb weniger Stunden unterzeichneten mehrere Hundert Forscher aus aller Welt einen Solidaritätsaufruf von Professor Peter Thier, dem Sprecher des Centrums für integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen. „Ich bin sehr froh über dieses breite Echo aus der internationalen Wissenschaft“, sagte Thier am Mittwoch. Nach den Vorgängen in Tübingen müsse jedem Wissenschaftler, der mit Tiermodellen forscht, klar sein, dass er zum Angriffsziel von Tierversuchsgegnern werden kann. Hier sei die biomedizinische Grundlagenforschung insgesamt in Gefahr.

„Die Universität bedauert das sehr“

Im Mittelpunkt der Attacken der Tierversuchsgegner stehen bisher Forscher des Max-Planck-Instituts, das unabhängig von der Universität arbeitet. Doch auch im Bereich der Universität und des Universitätsklinikums werden Tierversuche durchgeführt. „Mehr als hundert Forschergruppen arbeiten in mehreren Einrichtungen mit Tieren, darunter sind Ratten, Fische, Krähen und auch Affen“, sagt ein Sprecher. Er zählt Tübingen zu den bedeutendsten neurowissenschaftlichen Standorten in Deutschland. Für den Forschungsstandort Tübingen seien die Vorgänge um das Max-Planck-Institut eine bittere Entwicklung. „Die Universität bedauert das sehr“, sagt der Sprecher, auch wenn Logothetis’ Motive menschlich nachzuvollziehen seien. Für die Wissenschaftler habe die Entscheidung von Nikos Logothetis eine symbolische Bedeutung. Es werde deutlich, dass einzelne Gruppen „Menschen zermürben können“. Was die Forschung an sich angeht, bezieht der 65-jährige Logothetis klar Stellung: „Ich bin der festen Überzeugung, dass die menschliche Kognition und damit auch das Wissen über neurologische und psychiatrische Krankheiten nur an Primaten erforscht werden kann.“ Bei diesen Forschungen geht es auch darum, wie spezialisierte Hirnareale miteinander arbeiten, wie Gedächtnisinhalte gespeichert und wiedergefunden werden oder welche Hirnzustände die Grundlage für Entscheidungen sind. Ratten seien als Modellorganismus für höhere kognitive Prozesse völlig ungeeignet, da bei ihnen bestimmte Hirnstrukturen überhaupt nicht vorhanden seien. „Die dazu notwendigen Methoden wurden in den vergangenen 18 Jahren hier am Institut entwickelt und sind weltweit einzigartig“, lässt das Tübinger Max-Planck-Institut wissen. Die Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) argumentiert ähnlich: „Der Stand der Wissenschaft erlaubt heute keinen vollständigen Verzicht auf Tierversuche“, sagt sie. Wenn es um die Heilung von Krankheiten gehe, „gerade um die Entwicklung von Therapien gegen Demenz, Parkinson oder Alzheimer, sind und bleiben vor der Anwendung am Menschen Tierversuche unerlässlich.“

Johanna Wanka: Bedrohungen sind unerträglich

Die Ministerin erklärte vor dem Hintergrund der Vorgänge in Tübingen: „Umso bedrückender ist es, wenn Forscher sich angesichts fortdauernder persönlicher Attacken gezwungen sehen, die Experimente mit Primaten nicht fortzusetzen.“ Es sei absolut unerträglich, dass in Deutschland Wissenschaftler bedroht und unter Druck gesetzt werden. Wanka sieht Deutschland als Wissenschaftsstandort bedroht: „Es besteht die Gefahr, dass weltweit renommierte Forscher ins Ausland abwandern.“

Für viele Forscher steht fest, dass neurowissenschaftliche Tierversuche existenziell sind für den medizinischen Fortschritt. „Ob Tierversuche Bestandteil von Forschung sein sollen, ist deshalb eine wichtige gesellschaftliche Entscheidung“, betont das Max-Planck-Institut.