Wer kennt es nicht: Man will „nur kurz“ auf Instagram ein paar Kurzvideos anschauen und hängt eine Stunde später noch immer vor dem Handy. Warum das leicht passieren kann – aber auch gefährlich ist.

Digital Desk: Lotta Wellnitz (loz)

Mein Daumen wischt von unten nach oben über den Bildschirm meines Smartphones, immer und immer wieder. Ein Instagram-Video nach dem nächsten flimmert über den Screen. Kurz, dynamisch, voller Spezialeffekte und Musik.

 

Mal ist es ein Golden Retriever, der begleitet von triumphaler Musik eine Skipiste hinunterschlittert. Mal ein Küken, das so aussieht, als würde es seinen Oberkörper aufrichten und nach hinten strecken, dazu ein lautes Knacken. Der Golden Retriever hat die Zeit seines Lebens, beim Küken bin ich nicht sicher. Über ihm steht: „Ich in den Zwanzigern mit meinen 63 Jahren Rückenschmerzen“. Mein 26-jähriges Ich, das tatsächlich Rückenprobleme hat, fühlt sich verstanden. Ich muss schmunzeln.

Memes – also lustige Fotos oder Videos im Netz, die mit anderen witzigen Kommentaren versehen werden – machen einen Großteil der Videos aus, die mir auf Instagram vorgeschlagen werden. Sie heißen hier Reels und sind zwischen 15 und 90 Sekunden lang. Perfekt für Menschen, die eine kurze Aufmerksamkeitsspanne haben. Also mich. Und das Beste: Ich muss in der App nicht mal wild rumklicken, um sie zu finden.

Wie auf dem Präsentierteller erwarten mich die Kurzvideos auf meiner eigenen Instagram-Empfehlungsseite. Ich kann da also schier endlos scrollen und bekomme immer wieder neue Inhalte angezeigt.

Plus: Der Algorithmus der App merkt sich, welche Videos ich gelikt habe – und schlägt mir ähnliche vor. Noch mehr lustige Videos über Rückenschmerzen, juhu. Reels hat sich Instagram übrigens von der chinesischen Videoplattform Tiktok abgeguckt, die in diesem Zusammenhang Vorreiter ist.

Instagram-Reels bieten Suchtpotenzial

Auf mich zugeschnittene, leicht zugängliche Inhalte, die immer verfügbar sind und gleichzeitig mein Bedürfnis nach Spaß und Ablenkung befriedigen? Ein Traum. Eigentlich. Denn genau das kann auch gefährlich sein. Die Jagd nach dem nächsten Clip, der überrascht, mir einen Lachanfall beschert oder „Oh-wie-süß“-Gefühle auslöst, aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, das Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet.

Weil wir von diesem immer mehr haben wollen, kann es passieren, dass wir ein Reel nach dem anderen schauen und irgendwann in einen tranceähnlichen Zustand geraten. Es soll sogar Menschen geben, die aus diesem erst Stunden später wieder erwachen – habe ich zumindest gehört.

All das birgt natürlich die Gefahr, abhängig zu werden. Einer aktuellen Studie der Krankenkasse DAK zufolge sind inzwischen etwa 353 000 Kinder und Jugendliche süchtig nach sozialen Medien. Mediensucht generell ist ein Problem. Besonders davon betroffen sind 14- bis 17-Jährige, da sie weniger Kontrolle haben, wie der Kinder- und Jugendpsychiater Rainer Thomasius gegenüber unserer Zeitung sagte.

Er hat die Studie begleitet und ist Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Biologisch sei es so, dass das Frontalhirn, in dem Kontrollprozesse stattfinden, erst mit 22 oder 23 Jahren ausgereift sei, sagt er. Wenn Jugendliche sich zwischen der sofortigen Bedürfnisbefriedigung oder Vernunft entscheiden müssen, siege meist der Griff zum Handy. Auch handeln sie spontaner als Erwachsene, diese Impulsivität wiederum fördere die Sucht.

Man kann stundenlang in Instagram-Reels versinken

Ob ich bei mir von Sucht sprechen kann? Bevor ich weiter darüber nachdenke, scrolle ich lieber zum nächsten Reel, Ablenkung und so. Zig Hundevideos später meldet sich mein Handy. Es hat nur noch 20 Prozent Akku, ist also fast tot.

Ich greife zum Ladekabel neben meinem Bett, blicke auf meinen Oldschool-Wecker auf dem Nachttisch und stelle schockiert fest: Es ist zwei Uhr nachts. Mein Wecker klingelt um sieben. Wie ist das bitte passiert? Ach so, tranceähnlicher Zustand, Sucht, da war ja was.