Der türkische Premier Erdogan will private Schulen des Predigers Gülen verbieten. Damit riskiert Erdogan einen Machtkampf, der über seine politische Zukunft entscheiden könnte. Seiner Partei AKP könnte das eine Zerreißprobe bescheren.

Ankara - Auf den ersten Blick geht es um die Bildungspolitik: Der türkische Premier Tayyip Erdogan will die privaten Nachhilfeschulen, die sogenannten Dershanes, schließen. Doch damit riskiert Erdogan einen Machtkampf, der über seine politische Zukunft entscheiden könnte. Viele Dershanes werden von der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen kontrolliert, die in der regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) über großen Einfluss verfügt.

 

Die privaten Nachhilfeschulen bereiten Kinder auf die Abschlussexamen der Gymnasien und die Aufnahmeprüfungen der Universitäten vor. Nach Angaben aus der Branche gibt es 3640 Dershanes im ganzen Land, sie beschäftigen rund 50 000 Lehrkräfte und betreuen eine Million Schüler. Erdogan kritisiert, die Schulen kämen „reichen Familien in den Städten“ zugute, während sich ärmere Familien diese Nachhilfe nicht leisten könnten. Mit der angekündigten Schließung der Dershanes geht der Premier auf Konfrontationskurs zu einem Mann, der oft als graue Eminenz der Türkei beschrieben wird, obwohl er weit entfernt in Pennsylvania in den USA lebt: Fetullah Gülen, ein islamischer Gelehrter und Oberhaupt der Hizmet(Hilfe)-Bewegung. Die Gülen-Gemeinde unterhält weltweit Schulen, Kliniken, Studentenheime, Medien- und Handelsunternehmen. In der Türkei betreibt sie ein Viertel aller Nachhilfeschulen. Sie sind eine wichtige Einnahmequelle der Organisation. Erdogans Verbotspläne träfen die Hizmet „wie ein Dolch ins Herz“, hieß es kürzlich auf einer Internetseite der Gülen-Organisation.

Sympathisanten sehen in Gülens Bewegung, die auch in Deutschland stark präsent ist, das aufgeklärte, prowestliche Gesicht des Islam. Kritiker halten das für eine Fassade. Die als weltlich dargestellten Schulen seien vielmehr religiöse Kaderschmieden. In den „Lichthäusern“ von Hizmet herrschten autoritäre Strukturen und ein konspirativer Geist, sagen Aussteiger.

Der Prediger Gülen ging in die USA ins Exil

Obwohl Gülen 1999 ins Exil in die USA übersiedelte, um einer Verhaftung zu entgehen, ist der Einfluss des 72-Jährigen in der Türkei seitdem ständig gewachsen. Gülen-Gegner behaupten, die Organisation infiltriere seit Jahren systematisch die staatliche Verwaltung, den Sicherheitsapparat und die Justiz. In Berichten der US-Botschaft in Ankara, die Wikileaks veröffentlichte, wird die Gülen-Gemeinde als „mächtigste islamistische Gruppe“ des Landes beschrieben. Sie kontrolliere wichtige Handels- und Medienunternehmen und habe „die politische Szene“ unterwandert, die AKP eingeschlossen. Galt Gülen anfangs als Verbündeter des 2002 an die Macht gekommenen Erdogan, beginnt er sich zum Gegenspieler zu wandeln.

Das zeigte sich schon bei den Massenprotesten gegen Erdogan im Sommer. Gülen-nahe Medien wie die Zeitung „Zaman“ kritisierten die Polizeieinsätze gegen die Demonstranten scharf. Es dürfte auch kein Zufall gewesen sein, dass sich dabei zwei prominente AKP-Politiker, nämlich Staatspräsident Abdullah Gül und Vizepremier Bülent Arinc, öffentlich von Erdogans hartem Kurs distanzierten. Die Konfrontation des Premiers mit Gülen könnte die AKP vor eine schwere Zerreißprobe stellen. Der Gülen nahestehende Vizepremier Arinc wird bereits als Nachfolger Erdogans gehandelt.