Recep Tayyip Erdogan verschärft mit seiner Haltung die drohende schwere Wirtschaftskrise der Türkei, kommentiert unsere Korrespondentin Susanne Güsten. Denn viele der von den Märkten erhofften Reformen würden seinen Machtinteressen zuwiderlaufen.

Istanbul - Die Türkei steht vor einem schweren Herbst. Eine Unternehmensverschuldung von mehr als 200 Milliarden Dollar, eine hohe Inflation und ein Präsident, der sich ständig in die Befugnisse der Zentralbank einmischt – das sind nur einige der Probleme. Zwar haben die türkischen Währungshüter mit einer mutigen Zinsanhebung auf 24 Prozent gegen den erklärten Willen von Staatschef Erdogan den Kampf gegen die Inflation begonnen. Doch das wird nicht reichen. Schmerzhafte Korrekturen stehen dem Land bevor. Und Erdogans abfällige Kommentare über die Zentralbank sind ein Zeichen dafür, dass er schon jetzt die Verantwortung für kommende Schwierigkeiten auf andere Akteure abwälzen will.

 

Kontrollinstanzen wurden außer Kraft gesetzt

Dabei sind die absehbaren Probleme keine Folge des Vorgehens der Zentralbank. Die Schuld liegt zu einem großen Teil beim Präsidenten. Erdogan hat in den vergangenen Jahren immer mehr Macht an sich gerissen und Kontrollinstanzen außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig verschlief seine Regierung wichtige Reformen, als sich die Türkei in der Niedrigzinsphase problemlos billiges Geld für riesige Infrastruktur-Projekte wie den neuen Istanbuler Flughafen besorgen konnte. Jetzt bekommt das Land die Quittung dafür – und Erdogan will es nicht gewesen sein.

Nicht alle Schwierigkeiten sind hausgemacht. Daran, dass viele Anleger ihr Geld aus Schwellenländern wie der Türkei abziehen, um es wegen der wieder ansteigenden Zinsen in den USA anzulegen, kann Ankara nichts ändern. Doch für jene Investoren, die sich nach wie vor für die Türkei interessieren, könnte die Regierung einiges tun. Allerdings würden viele der von den Märkten erhofften Reformen – Stärkung des Rechtsstaats, Stärkung der Kontrolle über die Regierung – den Machtinteressen Erdogans zuwiderlaufen.

Erdogan bleibt am liebsten unwidersprochen

Das ist der Kern des Problems: Erdogan braucht Geld, ist bisher aber nicht bereit, dafür die Bedingungen vieler Investoren zu erfüllen. Ein Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds lehnt er ab, weil er sich dann nach den Anweisungen der IWF-Experten richten müsste. Deshalb hofft Erdogan auf Hilfe von Partnern in der arabischen Welt und anderswo. Katar springt mit 15 Milliarden Dollar ein. Ob Deutschland und andere europäische Staaten ebenfalls stützend eingreifen, ist unklar. Doch selbst wenn Hilfsgelder fließen, könnte die Türkei am Beginn einer schweren Rezession stehen, weil der Boom der vergangenen Jahre auf Pump finanziert wurde. Schon werden erste Fabriken geschlossen.

Mit seiner Kritik an der Zentralbank baut Erdogan für den Fall vor, dass die Sache für die Türkei böse ausgeht. Er sucht Schuldige. Da die türkischen Medien zu einem großen Teil auf Regierungslinie gebracht worden sind, wird seine Sicht der Dinge in den meisten Zeitungen und Fernsehsendern unwidersprochen bleiben.

Die Popularität des Präsidenten leidet

Und doch ist Erdogan nervös. Im März stehen Kommunalwahlen an: Eine schwere Wirtschaftskrise könnte die Erdogan-Partei AKP viele Stimmen kosten. Die Popularität des Präsidenten selbst leidet laut Umfragen ebenfalls. Das ist kein Wunder. Im Alltag der Türken wird alles teurer, von der Fahrkarte für die Bosporus-Fähre in Istanbul bis zum Einkauf im Supermarkt. Auf der Baustelle des Istanbuler Flughafens, wichtigstes Prestigeprojekt des Präsidenten, haben mehrere Tausend Arbeiter wegen lebensgefährlicher Bedingungen und schlechter Bezahlung gestreikt, Hunderte wurden verhaftet – und das sechs Wochen vor der geplanten Eröffnung.

Noch wäre Zeit zum Umsteuern. Mit Reformen zur Dezentralisierung der Macht und zur Stärkung unabhängiger Gerichte könnte der sich abzeichnende Konjunktureinbruch abgebremst werden. Doch dass sich Erdogan darauf einlässt, ist unwahrscheinlich. Mit seiner Haltung verschärft er die Krise noch weiter.