Der Einsatz deutscher Raketen an der türkisch-syrischen Grenze zeichnet sich ab. Berlin sieht sich in der Pflicht. Die Opposition fordert die Mitsprache des Bundestages.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Noch bevor die offizielle Anfrage bei der Nato eingegangen ist, tobt in Berlin eine heftige Debatte, ob und wie die Bundeswehr zusammen mit den Niederlanden und den Vereinigten Staaten Patriot-Abwehrraketen in die Türkei verlegen könnte. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) will eine Bitte der Türkei „solidarisch prüfen“. Er erwartet, dass die Anfrage aus Ankara demnächst in Brüssel eintrifft. Mit den Details über einen Nato-Einsatz von Patriot-Abwehrraketen mit deutscher Beteiligung geizt die Regierung in Berlin. Es gehe darum, „das Gebiet eines Bündnispartners gegen äußere Bedrohung zu schützen“, betonte das Auswärtige Amt nur. Das Verteidigungsministerium ergänzte, dass es um einen defensiven Einsatz gehe und dass das Luftabwehrkonzept der Nato die Möglichkeit von Patriot-Verlagerung prinzipiell seit einigen Jahren vorsehe. Verteidigungsminister de Maizière und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) könnten bei einer Truppenentsendung in die Türkei auf die Unterstützung ihrer Parteien zählen, betonten die Generalsekretäre von FDP und Union am Montag.

 

Bei der Opposition erntet die Bundesregierung hingegen Skepsis. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin fordert von der Regierung Aufklärung darüber, wie die Bedrohung für die Türkei genau aussehe. Der grüne Verteidigungspolitiker Omid Nouripour befürchtet, dass die Nato-Truppen nach einer Stationierung an der syrischen Grenze in den dortigen Bürgerkrieg hineingezogen werden könnten. „Jetzt die Bundeswehr an der türkisch-syrischen Grenze zu stationieren kann nur als einseitige Parteinahme mit großer Auswirkung auf den syrischen Bürgerkrieg gewertet werden“, warnt auch der Linkspolitiker Paul Schäfer. Er lehnt den Einsatz ab. Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold zweifelt am militärischen Sinn der Raketenstationierung. „Dass Syrien die Türkei mit Mittelstreckenraketen oder Kampfflugzeugen angreifen könnte, sehe ich nicht“, betont er. „Wenn es aber darum geht, fehlgeleitete Kampfjets abzufangen, hat die türkische Armee selbst die nötigen Mittel gegen solche Gefahren.“

SPD und Grüne fordern die Einbeziehung des Parlaments

Heftigen Ärger hat bei der Opposition ausgelöst, dass die Bundesregierung ein Parlamentsmandat für einen solchen Einsatz nicht als selbstverständliche Notwendigkeit behandelt. Das Außenministerium und der Regierungssprecher Steffen Seibert ließen bei der Regierungspressekonferenz in Berlin offen, ob die Zustimmung des Bundestags eingeholt werden soll. Das hänge davon ab, welche Anfrage genau die Türkei an die Nato richte. Damit wollen SPD und Grüne sich keinesfalls zufriedengeben. Der SPD-Mann Rainer Arnold verwies auf das Awacs-Urteil des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2008. Demnach seien Mandatierungsfragen erstens grundsätzlich „parlamentsfreundlich“ auszulegen. Zweitens hätten die Karlsruher Richter bereits eine Mandatspflicht festgestellt, wenn es greifbare Anhaltspunkte gebe, dass ein Auslandseinsatz „in die Anwendung von Waffengewalt münden“ könne, und wenn deutsche Soldaten ermächtigt seien, von ihren mitgeführten Waffen „Gebrauch zu machen“. Das sieht Arnold bei dem Türkei-Einsatz als gegeben an. Nicht nur SPD und Grüne forderten eine Zustimmung des Parlaments zu einem Einsatz in der Türkei, auch die FDP sprach sich jenseits von rechtlichen Zwängen für einen Parlamentsbeschluss aus. In Brüssel räumte de Maizière schließlich ein, „es spricht sehr viel dafür, dass wir ein Bundestagsmandat brauchen, und dann werden wir es auch anstreben“.

Wie viele Raketenabwehrstaffeln an die türkisch-syrische Grenze verlegt werden, ist noch völlig offen. Klar ist lediglich, dass nur die Bundeswehr, die niederländische und die US-Armee die modernste Version des Patriot-Systems besitzen. Da die Holländer nur eine Feuereinheit vom Typ Patriot PAC 3 besitzen, scheint klar, dass die Bundeswehr und die US-Armee die Hauptlast eines Einsatzes tragen würden. Allerdings hat die Türkei noch nicht definiert, welches militärische Ziel sie mit der Stationierung der Nato-Truppen verfolgt. Falls die gesamte, rund 900 Kilometer lange türkisch-syrische Grenze lückenlos mit dieser Nato-Raketenabwehr geschützt werden sollte, würde das ziemlich viele Systeme erfordern. Ihre Reichweite wird bei der deutschen Luftwaffe auf 68 Kilometer beziffert.

Die Raketen können bei jedem Wetter eingesetzt werden

Die Patriot-Systeme sind komplexe, mehrteilige Waffensysteme. Zu jeder Staffel gehören ein Feuerleitstand, eine Radaranlage und acht Startgeräte, mit denen Raketen abgefeuert werden. Für die Bedienung jeder „Feuereinheit“, wie das im Luftwaffenjargon genannt wird, sind mindestens 85 Soldaten notwendig. Die Patriot-Systeme sind mobil, weil sie auf Lastwagen montiert sind. Sie können tagsüber, nachts und bei jedem Wetter eingesetzt werden und sind in der Lage, mehrere Ziele gleichzeitig zu bekämpfen. Mit den Raketen können Flugzeuge, Marschflugkörper und Mittelstreckenraketen bekämpft werden. Für die Abwehr kleinerer Geschosse wie Mörsergranaten ist es nicht geeignet.

Die Besonderheit des Systems ist ein Zusammenschluss mehrerer Radargeräte, die auch auf ein Antennensystem zurückgreifen können. Außerdem wird automatisch zwischen Freund und Feind unterschieden und eine Bedrohlichkeitseinstufung vorgenommen. Bis zu fünf Flugziele können gleichzeitig bekämpft werden.

Beim Mali-Einsatz schreitet die Planung voran

Strategie
Eine formale Entscheidung für einen Einsatz in Mali soll erst im Dezember fallen, nachdem die UN ein Mandat erteilt haben. Die EU-Außen- und -Verteidigungsminister haben gestern in Brüssel aber die Pläne für den Einsatz vorangetrieben. Erörtert wurde ein Krisenmanagementkonzept, das zum Operationsplan werden soll. Den Kampf gegen die islamistischen Milizen im Norden Malis sollen 3300 Soldaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) führen.

Bedenken Bei der EU-Ausbildungsmission in Mali soll, so Verteidigungsminister de Maizière, die einheimische Armee „in den Stand versetzt werden, sich an den Militäroperationen zu beteiligen oder diese zu führen“. Wie viele Bundeswehrsoldaten entsandt werden, ist offen. Dem Vernehmen nach ist der deutschen Delegation die Abgrenzung zwischen dem Kampfeinsatz der Westafrikaner und der EU-Ausbildungsmission nicht strikt genug – gerade bei der logistischen Hilfe.