Am Samstag haben Türkinnen und Türkinnen in Stuttgart gegen die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan demonstriert.

Mohammed hält ein Plakat hoch, auf dem „Faşizme Karşi Omuz Omuza“ zu lesen ist. „Das heißt: Schulter an Schulter gegen Faschimus.“ Seine Frau zeigt auf das ihre: „Susma Sustukça Sira Sana Gelecek“, was meint, man darf nicht schweigen. „Denn wer schweigt, ist als nächstes dran!“ Nebenan bemerkt jemand: „Als nächstes im Gefängnis!“ Mohammed, seine Frau und Bekannte haben sich auf dem Börsenplatz in Stuttgart versammelt, um an diesem Samstagnachmittag gegen gegen die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu, Bürgermeister der Millionenmetropole Istanbul, durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu demonstrieren.

 

Aufgerufen dazu haben die Cumhuriyet Halk Partisi (CHP) Baden-Württemberg und türkische Vereine. Die CHP, also „Republikanische Volkspartei“, ist mit den Sozialdemokraten vergleichbar, hat den mittlerweile abgesetzten İmamoğlu zu ihrem Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahlen in drei Jahren gekürt.

Einige hundert Menschen demonstrieren in Stuttgart

Doch das ist nur ein Aspekt der Demo in Stuttgart. Sie unterstützt die seit Tagen andauernden Proteste in der Türkei. Zu Hundertausenden gehen sie dort auf die Straße, vor allem auch viele junge Menschen.

Eine 26-Jährige, die aus Sicherheitsgründen wie die meisten ihren Namen nicht nennen will, nickt. Die Verhaftung von İmamoğlu und vieler anderer Erdoğan-Kontrahenten unter fadenscheinigen Begründungen sei nur ein Symptom für das kaputte System, sagt sie. Erdoğan wolle nur seine Macht erhalten, das Volk sei ihm egal. „Die Menschen wünschen sich mehr Demokratie, wir haben Wirtschaftsprobleme, die Jungen finden keine Arbeit, Korruption regiert.“

Die Teilnehmer kritisierten die Zustände in der Türkei – auch auf Plakaten. Foto: Lichtgut / Ferdinando Iannone/Lichtgut/Ferdinando Iannone

Mohammed, bald am Ende seines Arbeitslebens, nimmt den Faden auf: „Es geht um viel mehr! Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder, damit sie in Freiheit und in einer demokratischen Türkei leben können.“ Das, was dort geschehe, sei Autokratie. Er spricht damit für alle, die sich da vom Börsenplatz über die Theodor-Heuss-Straße, Rotebühlplatz, Querspange, Eberhardstraße, Torstraße und Hauptstätter Straße zum Wilhelmsplatz bewegen. Einige hunderte Teilnehmende, Ältere, Jüngere, Familien mit Kinderwägen, Paare mit Haustieren, Landesfahnen mit Atatürkporträts umgeschlungen als Symbol einer „modernen Türkei“, kräftig in Trillerpfeifen pustend, antifaschistische Lieder singend, hüpfend im Rhythmus. Sie rufen: „Hak Hukuk Adalet“ – „Recht, Gesetz, Gerechtigkeit“ oder „Tayyip istifa“, also „Tayyip tritt zurück“.

„Wir hören nicht auf. Das ist erst der Anfang!“

Ein junger Mann, der sich „Malik“ nennt, und extra aus Karlsruhe angereist ist, erklärt, dass „Istifa“ Kündigung bedeute. Skandiert wird auch, dass Erdoğan ohne Abschluss sei. „Er hat keinen! Und anders als Atatürk hat er ein rückständiges System etabliert, bei dem die Frauen viele Kinder kriegen, an den Herd zurück sollen“, schimpft eine Seniorin. „So frei wie hier wollen wir sein, wir danken Deutschland! Mutig, dass in der Türkei die Jungen demonstrieren.“ Um dann zu schildern, wie das Regime die freie Meinung einschränken will, gar bei Schülerinnen und Schüler nicht Halt mache. Am Montag wurden laut Reporter ohne Grenzen (RoG) elf Journalisten festgenommen und teilweise Opfer von Tränengas, Pfefferspray, Gummigeschossen und Schlägen. „Unfassbar“, so die Frau. „Hier sind einige Aleviten, die werden auch in der Türkei diskriminiert, jetzt reicht es, wir alle haben die Schnauze voll!“

Şirin Üstün, stellvertretende Vorsitzende der CHP, beschwört am Wilhelmsplatz, Ziel der Kundgebung, Solidarität von und mit Europa. „Wir müssen auf dem Kontinent zusammenhalten“, übersetzt wieder Malik – und kommentiert, dass die EU trotz der Migrationsabkommen und NATO die Stirn bieten müsse. „Alles wird gut“, sagt sie. „Und, es ist nie zu spät, habt Mut zu kämpfen für die Demokratie, Freiheit und unabhängige Justiz in der Türkei.“ Mohammed und seinen Bekannten muss man das nicht zwei Mal sagen. Sie bekräftigen: „Wir hören nicht auf. Das ist erst der Anfang!“