Die Eroberung der kurdischen Enklave Afrin in Nordwestsyrien ist für den türkischen Präsidenten Erdogan wohl nur eine Etappe. Damit droht die verstärkte Ausweitung des Konflikts nach Deutschland. Der Innenminister in Stuttgart ist alarmiert.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Nach dem Brandanschlag auf einen Ulmer Moscheeverein in der Nacht zu Montag ermitteln die Behörden wegen versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung. Der weitgehend folgenlose Terrorakt gegen die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs ist ein Indiz von vielen, dass der Krieg zwischen Türken und Kurden in Nordsyrien immer mehr Gewalt auch auf deutschem Boden provoziert. Bundesweit haben die deutschen Polizeibehörden in diesem Jahr schon 37 Angriffe auf türkische Einrichtungen gezählt – 13 waren es im gesamten vorigen Jahr.

 

In diversen Bundesländern kommt es als Reaktion auf die Eroberung der kurdischen Enklave Afrin zu Attacken gegen Vereinshäuser, islamische Gotteshäuser oder Restaurants – auch in Baden-Württemberg. Schon am 9. März gab es in Lauffen (Kreis Heilbronn) einen Anschlag auf eine Moschee. Die ohnehin angespannte Lage hat sich demnach weiter verschärft. So stehen sich seit langem die kurdische PKK und türkische Linksextremisten auf der einen Seite, die regierungstreuen und religiös-nationalistisch orientierten Gruppen auf der anderen gegenüber. Jüngste Verlautbarungen der PKK deuten darauf hin, dass zunehmend deutsche Einrichtungen als Gegner angesehen werden. Unterstützt werden die Gewalttäter offenkundig von deutschen Linksextremisten. Auf dem Internet-Blog „fight4afrin“ ist ein „Communique“ im Stil linker Aktivisten veröffentlicht, in dem die bisherigen Attentate gerechtfertigt werden und „eine neue Phase des Widerstandes“ angekündigt wird, „sobald die erste türkische Fahne über Afrin weht“.

„Polizei schöpft alle rechtsstaatlichen Mittel aus“

Innenminister Thomas Strobl (CDU) zeigt sich entschlossen: „Der ganz große Teil der türkisch-stämmigen und der kurdisch-stämmigen Menschen, die in Baden-Württemberg leben, ist friedlich“, sagte er unserer Zeitung. Es gebe freilich auch gewaltbereite Gruppen. „Wir nehmen es da nicht tatenlos hin, wenn der Konflikt zwischen Türken und Kurden bei uns ausgetragen wird – dafür gibt es hier keinen Raum.“ Deshalb schöpfe die Polizei alle rechtsstaatlichen Mittel aus, um konsequent und frühzeitig Gewalttaten zu verhindern. „Dass derartige Konflikte in unserem Land gewaltsam ausgetragen werden, geht einfach mal gar nicht.“

Nach den Worten eines Ministeriumssprechers beobachten die Sicherheitsbehörden die Situation genau. Der Polizei Baden-Württemberg wurden im Zusammenhang mit dem Konflikt seit Januar 2018 bereits mehr als 200 öffentliche Veranstaltungen bekannt. Die Versammlungen, Aufzüge und Aktionen waren teilweise geprägt von einer hohen Emotionalisierung. So wurden bei einer kurdischen Demonstration mit bis zu 5000 Teilnehmern am 3. Februar in Stuttgart verbotene Fahnen mit PKK-Bezug gezeigt. Im Anschluss an die Versammlung kam es zur Auseinandersetzung zwischen zehn kurdischen Demonstrationsteilnehmern und drei türkischen Passanten, von denen einer leicht verletzt wurde.

„Das ist kein türkisch-kurdischer Konflikt“

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, lehnt es ab, von einem türkisch-kurdischen Konflikt zu reden. „Dies ist ein sehr falscher und inzwischen gefährlicher Begriff“, betont er. Man dürfe nicht aus Terrorakten einen Nationalitätenkonflikt ableiten. Vielmehr versuchten militante Gruppierungen wie die verbotene kurdische PKK oder die türkisch-nationalistische Osmanen Germania, die Situation auszunutzen, um mit Gewalt „aus ihrer Marginalität herauszukommen“, sagt der Stuttgarter. „Dagegen müssen alle Türken, Kurden und Deutschen vorgehen.“

Wenn Erdogan in Nordsyrien weitermache, sei eine weitere Militarisierung der deutschen Szene zu befürchten. Die Türkische Gemeinde sei daher im Gespräch mit allen Seiten. Beispielsweise sollte auch der Moscheeverband DITIB „wachsam sein und sich von den gewaltbereiten Gruppen distanzieren“, denn er werde von linken Autonomen als „verlängerter Arm“ des türkischen Staatspräsidenten gesehen, was eine gefährliche Entwicklung sei. Mehr Dialog könnte sogar Vorbildcharakter haben für die Entwicklung in der Türkei, so Sofuoglu. „Wir dürfen uns jedenfalls nicht von Erdogan instrumentalisieren lassen.“

Bundesregierung zum Handeln ermahnt

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Mehmet Tanriverdi, rechnet nach der Besetzung von Afrin eher nicht mit einer weiteren Eskalation, schließt sie aber nicht aus, wenn Erdogans Truppen sogar die Autonomieregion Kurdistan angreifen. Seine Organisation verurteile die Gewalt in Deutschland, sagt er. Allerdings macht er auch ein Fragezeichen bei den Urhebern: Dahinter könnte zum Teil der türkische Geheimdienst MIT stehen – die Schlägerbande Osmanen Germania sei diesem direkt unterstellt. Belege dafür habe er nicht. Doch die 6000 MIT-Mitarbeiter in Deutschland „schlafen nicht“, sagt Tanriverdi. „Die bedrohen Menschen.“ Er selbst bekomme anonyme Anrufe und habe erst am Montag Strafanzeige bei der Polizei gestellt.

Der Bundesvize beklagt zudem, dass all die Demonstrationen der letzten Tage hierzulande gegen den „Kriegsverbrecher Erdogan nicht viel gebracht haben, weil die deutsche Politik Augen und Ohren schließt und das Regime in Ankara unterstützt, indem sie tatenlos zuschaut“. Die 1,2 Millionen Kurden seien auch Bürger dieses Landes – die Regierung müsse auf sie eingehen. Die Kurdische Gemeinde erkenne zum Beispiel keine Konsequenzen für Imame, die in den Moscheen für den Krieg gebetet hätten. „Wir erwarten endlich eine kritische Haltung der Bundesregierung.“

Zum kurdischen Neujahrsfest an diesem Mittwoch sind in mehreren Städten des Südwestens Versammlungen Hunderter Kurden angekündigt. Bereits für Dienstagabend war eine Veranstaltung im Stuttgarter Schlosspark geplant.