Erdogans Rückhalt bei vielen Deutschtürken zeugt von einer Entfremdung – und von Versäumnissen bei der Integration, meint StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Ich bin auch die Kanzlerin der Deutschtürken, hat Angela Merkel vor einem halben Jahr reklamiert – ein forscher Satz. Wenn er wahr wäre, hätte sie jetzt keinen Ärger mit türkischen Politikern, die ihre Propaganda auf deutsches Terrain verlegen wollen. Nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden Türken wird Merkel als oberste Repräsentantin akzeptieren. Für die meisten ist Erdogan die entscheidende Autorität. Und das ist nicht nur für die Bundeskanzlerin ein Problem.

 

Drei Millionen unserer Nachbarn haben ihre Wurzeln in der Türkei. Die Hälfte von ihnen ist stimmberechtigt. Seit es Erdogan gibt, ist ihm eine Mehrheit unter diesen sicher. Deshalb erscheint es ihm so wichtig, seine Landsleute im deutschen Exil für den Umbau der türkischen Republik in ein Präsidialregime zu gewinnen, worüber an Ostern abgestimmt wird. Zu Hause wackelt der Rückhalt, die Stimmen aus Deutschland könnten entscheidend sein.

Der Konflikt um Erdogans Allmachtspläne schürt Aggressionen

Es steht dem Bandarbeiter beim Daimler, der aus Istanbul kommt, dem anatolischen Gemüsehändler an der Schwieberdinger Straße und dem Kebabverkäufer am Rotebühlplatz natürlich frei, wie sie darüber denken. Es ist aber schon verwunderlich, dass unter all diesen Mitbürgern, die hier die Privilegien einer freien Gesellschaft genießen, so wenig Widerworte gegen Erdogans diktatorische Absichten zu vernehmen sind. Und wenn es Proteste gibt, laufen die schnell aus dem Ruder. Die politische Kultur der türkischen Exilgemeinde ist noch sehr den Umgangsformen in der Heimat verhaftet. Der Konflikt über Erdogans Allmachtspläne wirkt da keineswegs zivilisierend. Er schürt Aggressionen.

Wer hier eine Arbeit und ein neues Zuhause gefunden hat, von dem darf durchaus ein Minimum an Respekt und Loyalität gegenüber dem Gastland Almanya erwartet werden. Die Begeisterung für Erdogan lässt jedoch Zweifel daran aufkommen. Offenbar reicht auch der zum Teil jahrzehntelange Aufenthalt in einer Demokratie nicht aus, deren Spielregeln wertzuschätzen; die roten Linien zu erkennen; eine Politik, die Menschenrechte ignoriert, von Rechtsstaatlichkeit unterscheiden zu lernen.

Viele Deutschtürken fühlen sich als Bürger zweiter Klasse

Der Mangel an Respekt für die zweite Heimat ist durch nichts zu entschuldigen, lässt sich aber erklären – womöglich ebenfalls durch einen Mangel an Respekt. Viele Deutschtürken, ob mit oder ohne deutschen Pass, fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Viele sind tatsächlich nie heimisch geworden in Deutschland, selbst wenn sie hier geboren sind. Sie wähnen sich als anatolische Hinterwäldler verachtet, als Muslime unter einer Art Generalverdacht. Das durch islamistischen Terror geschürte Misstrauen gegenüber dem Islam wird das Gefühl der Entfremdung noch verstärken.

Klagen über Integrationsdefizite führen nicht weiter. Eine Mitschuld liegt auch bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft – zumindest bei all jenen, die jedes Kopftuch mit einer Burka verwechseln, Islam und Islamismus gleichsetzen, Moscheen für eine Zumutung halten und nicht anerkennen wollen, dass Leute wie Feridun Zaimoglu, Fatih Akin oder Renan Demirkan inzwischen längst zur künstlerischen Elite Deutschlands zählen. Allzu schlicht ist auch der Reflex, wegen offenkundiger Integrationsdefizite die doppelte Staatsbürgerschaft infrage zu stellen. Davon mögen sich frustrierte Konservative in der CDU einen Profit bei der Wahl im Herbst erhoffen. Mit einer Verweigerung des Doppelpasses lässt sich aber keine Loyalität erzwingen. Im 21. Jahrhundert sind Identitäten nicht mehr nach den Kategorien von Blut und Boden zu sortieren.

Was Erdogan in und mit der Türkei treibt, ist eine Provokation für jeden, der auf Freiheit und demokratische Rechte Wert legt. Es liegt in unser aller Interesse, dass möglichst viele das erkennen und ihre eigenen politischen Schlüsse daraus ziehen. Egal, wo sie geboren sind.