Seit Premier Erdogan an der Macht ist, wird die Gesellschaft in der Türkei merklich konservativer. Das beeinflusst inzwischen auch das Leben der türkischen Gemeinde in Deutschland.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Gökay Sofuoglu sieht ein Problem auf Deutschland zurollen. „Die Türkei hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert“, sagt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, das habe auch Folgen für das Leben hier. Seit der Politiker Tayyip Recep Erdogan mit seiner islamisch geprägten Partei AKP die Geschicke des Landes bestimme, sei die Gesellschaft wesentlich konservativer geworden. Das Tragen von Kopftüchern für Frauen sei etwa in vielen Familien wieder ein wichtiges Thema.

 

„Viele Türken in Deutschland sind mental noch immer eng mit ihrer Heimat verbunden“, erklärt Sofuoglu. Die Diskussionen über die Rolle der Frau oder der Religion im Alltag würden folglich in Deutschland immer mehr Raum einnehmen.

Noch nicht den Hafen gefunden

Harun Tuncer bestätigt diese Beobachtung. Der Sprecher der Gesellschaft für Dialog in Stuttgart sagt, dass viele türkischstämmige Menschen „in Deutschland noch nicht den Hafen gefunden haben, den sie suchen. Sie leben praktisch in zwei Welten“. Den Grund dafür sucht Tuncer auf türkischer und auf deutscher Seite. Er fordert die Jugendlichen dazu auf, ihre neue Heimat stärker zu akzeptieren. Gleichzeitig müsse Deutschland endlich lernen, dass es ein Einwanderungsland sei. Dazu gehöre etwa, dass endlich der Doppelpass für jene türkischen Staatsbürger eingeführt werde, die schon seit Jahrzehnten ununterbrochen in Deutschland leben.

Vor allem in den eher säkularen Kreisen der türkischen Gemeinde wird mit Sorge beobachtet, dass die politischen und gesellschaftlichen Spannungen nach Deutschland importiert werden. „Auffallend ist das Selbstbewusstsein, mit der religiöse Kreise inzwischen ihre Belange immer offensiver vertreten“, sagt Sofuoglu, und zwar nicht nur innerhalb der türkischen Community, sondern auch gegenüber deutschen Behörden. Darunter fielen etwa die immer lauter werdenden Forderungen nach öffentlichen Gebetsräumen für Muslime. Sofuoglu ist überzeugt, dass in absehbarer Zeit diese konservative Welle auch die Schulen erreichen werde. Dann seien heftige Diskussionen über das Kopftuch im Unterricht und den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen programmiert.

Die Furcht vor der Spaltung

Durch den türkischen Premier Erdogan werde die Spaltung der türkischen Gemeinde auch in Deutschland noch befeuert, sagt Muhammed Cetin. Er ist Abgeordneter im türkischen Parlament, gehörte über Jahre der Erdogan-Partei AKP an, trat dann aber aus Ärger über dessen Politik aus der Partei aus. Der Premier brauche die Türken in Deutschland als Wähler, erklärt Cetin, deshalb auch die provokanten Auftritte wie vor einigen Tagen in Köln. Zum Politikstil Erdogans gehöre es, Gegner zu konstruieren und dann gegen diese zu hetzen. Das mache er auch in Deutschland, indem er seine Landsleute gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die Europäische Union aufwiegele. „Das trägt zur Spaltung innerhalb der türkischen Gemeinde bei“, sagt Cetin, entferne die Türken aber auch von der deutschen Gesellschaft.

Gökay Sofuoglu glaubt, dass sich die Auseinandersetzung verschärfen wird. Im Sommer wählen die Türken einen Präsidenten. Erdogan appellierte zuletzt vor allem an die religiösen und nationalistischen Gefühle der Landsleute. „Politische Diskussionen sind in der Türkei sehr polarisierend und werden oft sehr aggressiv ausgetragen“, sagt Sofuoglu. Dies werde auch die Stimmung unter den fast drei Millionen türkischstämmigen Migranten in Deutschland weiter aufheizen.