Die Türkei ist in der Krise, Präsident Erdogan hat den Ausnahmezustand verhängt. Viele Menschen mit türkischen Wurzeln erleben Spannungen - auch vor ihrer Haustür in Stuttgart. Vertreter der Kurden fordern einen Runden Tisch in Stuttgart.

Stuttgart - Turan Tekin bestellt sich im Restaurant Divan an der Hölderlinstraße erst einmal einen Weißwein, bevor er über den Putschversuch in der Türkei sprechen will. Dabei wirkt der Sprecher der Kurdischen Gemeinde in Stuttgart sehr entspannt. Er kommt gerade aus dem Mallorca-Urlaub zurück. In Mallorca, vielleicht bei einem Glas Weißwein, hat er am späten Abend des 15. Juli über das Smartphone vom Putschversuch in der Türkei gehört. „Ich habe meine Frau gefragt, ist das jetzt gut oder schlecht für uns?“, erzählt er. Mit „uns“ meint Tekin die Kurden in der Türkei, aber auch die Kurden in Stuttgart. Denn eines steht für ihn fest: Jedes Ereignis in der Türkei findet seinen Widerhall auch dort, wo Kurden und Türken nebeneinander, wenn schon nicht miteinander leben. Natürlich sei er gegen Gewalt. „Wir wollen nicht, dass unsere jungen Leute kriminell werden“, sagt Tekin.

 

Er verweist darauf, dass die Kurdische Gemeinde den Brandanschlag auf ein Gebäude der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) Ende 2015 verurteilt hat. Aber er sagt dann auch, dass die Herzen der jungen Gemeindemitglieder brennen würden, wenn sie die Nachrichten vom Krieg in den Kurdengebieten der Türkei verfolgen. Daran, dass bisweilen eben nicht nur Herzen brennen, seien auch die sozialen Netzwerke im Internet schuld. „Was da für ein Hass ausgetauscht wird“, sagt Tekin und schüttelt den Kopf.

Es wird eine weitere Eskalation erwartet

In der Verurteilung von Gewalt sind sich die Gemeindemitglieder einig, die Tekin zu einer Gesprächsrunde in das Restaurant Divan geladen hat. Es gebe auch kurdische Rassisten, sagt Süleyman Sever. Doch die Verteilung des Rassismus unter Türken und Kurden ist aus ihrer Sicht doch ziemlich eindeutig. Hier ein paar schwarze Schafe, dort eine gewalttätige Volksmentalität. Diese würde von der AKP auch in Stuttgart mächtig geschürt. Turan Tekin befürchtet eine weitere Eskalation zwischen Türken und Kurden in Stuttgart. Er schlägt vor, dass sich die Stadt einbringen und dauerhaft alle Beteiligten an einem Runden Tisch versammelt. Auf die Frage, ob er die Deutschen gewissermaßen als Therapeuten für die in sich zerstrittene Gemeinde der Türkeistämmigen sieht, antwortet er mit einem kurzen Schweigen. „Ja, das könnte man so sehen“, sagt er. „Zu Gesprächen einzuladen, wenn etwas passiert, ist zu spät, glaube ich. So ein Prozess muss dauerhaft am Leben gehalten werden“, sagt Turan Tekin.

Dass die Türkeistämmigen es gleichwohl schon mal selbst geschafft haben, Vertreter verschiedener Gruppen an einen Tisch zu bringen, erzählt Süleyman Sever. „Das waren sogar Graue Wölfe und Kurden zusammen auf einem Podium. Und hinterher beim Essen saß der Kemalist neben dem AKPler. Der eine hat Raki getrunken, der anderen Tee. Die haben sich gut verstanden“, sagt er. Wie ein Wunder erscheint die Anekdote. Denn eine Versöhnung mit den Türken schließen die Kurdenvertreter aus, solange Erdogan das Sagen hat. Turkan Tekin hat mittlerweile seinen Wein ausgetrunken und sagt dann Erstaunliches. Erdogan habe ja auch Gutes getan. Er nennt die Reform des Gesundheitswesens in der Türkei. Oder seine frühere Bereitschaft, mit dem PKK-Führer Abdullah Öcalan zu verhandeln. „Damals hat er gesagt, er macht das für sein Land.“

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Die Meinung der Türken aus der Mauserstraße finden sich hier.

Die Aussagen des Deutsch-Türkischen Forums finden Sie hier.

Kurden

Die Kurden stellen rund 18 Prozent der Bevölkerung in der Türkei. Erst Präsident Erdogan erlaubte den Gebrauch der kurdischen Sprache. 2013 wurde eine Waffenruhe zwischen der türkischen Regierung und der kurdisch-separatistischen PKK verkündet. Im Sommer 2015 flammten die bewaffneten Auseinandersetzungen aber wieder auf und eskalierten seitdem sogar.