Die Bestsellerautorin Perihan Magden diskutiert im Literaturhaus mit ihrer Kollegin Güner Yasemin Balci über Frauen in der türkischen Gesellschaft. Ihre Bilanz ist ernüchternd.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Es geht nicht um Kultur und nicht um Religion. Es geht, davon ist Güner Yasemin Balci überzeugt, im Grunde um nichts anderes als Sex. Solange in der türkisch-muslimischen Gesellschaft Frauen nur die Wahl haben zwischen Heiliger und Hure, solange gibt es keine Gleichberechtigung – und wird die türkische Community in Deutschland nicht richtig Fuß fassen. Statt darüber nachzudenken, wer wessen Ehre schützen muss, solle man lieber über Bildungswege nachdenken, meint Balci. „Wenn eine Frau nicht mehr dem Bild der Heiligen entsprechen muss“, sagt sie, „fehlt die Grundlage für Konflikte“.

 

Allzu zuversichtlich ist Balci allerdings nicht, dass türkische Frauen in Deutschland bald freier leben können oder dass die hohe Selbstmordrate unter ihnen sinken wird. Die in Berlin lebende Schriftstellerin und Sozialarbeiterin hatte nicht viele gute Nachrichten für die Zuhörer im Literaturhaus Stuttgart. Das Deutsch-Türkische Forum hat Balci eingeladen zu der Reihe BAKIS, um mit der Autorin Perihan Magden zu diskutieren, ob Frauen in der türkischen Gesellschaft „stark und frei oder schwach und unterdrückt“ sind. Nach einer leidenschaftlichen Debatte ließ sich bilanzieren: es gibt beides. Es gibt Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung – und katastrophale Rückschritte.Güner Yasemin Balci war lange in der Gewaltprävention in Berlin-Neukölln tätig, sie hat in Mädchentreffs gearbeitet und ihre Erfahrungen in zwei dokumentarischen Romanen verarbeitet. Sie ist jemand, der Missstände anprangert – und von allen Seiten gescholten wird. „Natürlich bedienen wir rechte Ressentiments“, sagt Balci, trotzdem müsse man über Zwangsheirat, Ehrenmorde und Gewalt berichten. „Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen“, sagt Balci – selbst wenn sie auch von eben diesen Menschen kritisiert wird. Denn sie stelle für viele türkische Frauen „eine absolute Provokation dar“, erzählt Balci, weil sie nicht deren Werte verkörpere. Da in Deutschland viele Türken unter sich blieben, würden die Frauen „wieder in die Steinzeit zurückversetzt“.

Eine, die in der Türkei seit Jahren für die Rechte der Frauen kämpft, ist Perihan Magden. Sie hat sich mit streitbaren Kolumnen einen Namen gemacht, inzwischen ist sie eine erfolgreiche Schriftstellerin und hat unter anderem mit ihrem Roman „Zwei Mädchen“ einen Bestseller gelandet. Magden tritt nur noch selten in der Öffentlichkeit auf. Umso ungewöhnlicher, dass sie die Einladung nach Stuttgart angenommen hat. „Ich kann nicht mehr, ich bin müde“, sagt Magden. „jeden Tag hatte ich Angst, eine Vorladung und einen Gerichtsprozess an den Hals zu bekommen“.

Trotzdem ist Magden überzeugt, dass „in der Türkei in den letzten Jahren eine positive Entwicklung stattgefunden hat“. Die „naive Dorffrau“ gebe es nicht mehr, sie werde nur noch wie ein Mythos von den Medien stilisiert. Denn die Globalisierung habe längst auch die ländlichen Regionen erreicht, „es gibt im Südosten der Türkei auch Mango, H & M und Mc Donalds“, sagt Magden, die überzeugt ist, dass die Globalisierung die Gleichberechtigung vorantreiben wird. „Ich glaube an die Globalisierung“, sagt die Schriftstellerin.

Ob es nun mehr oder weniger Ehrenmorde gibt, ob durch die öffentliche Debatte tatsächlich weniger Frauen umgebracht werden, darüber herrschte im Literaturhaus keine Einigkeit. Immerhin könnten Frauen nach einer Vergewaltigung häufiger in der Familie bleiben. „Dass sie froh sein können, wenn sie nicht umgebracht werden“, entgegnete Balci bitter, „das ist kein wirklicher Fortschritt“.

„Ich möchte kein rosa Bild zeichnen“, sagt Magden. Sie weiß auch, dass die meisten türkischen Mädchen nicht in die Grundschule geschickt werden. Auf der Universität seien aber die Hälfte der Studenten Frauen. „Je höher der Bildungsstand, desto mehr Gleichberechtigung“. Aber muss man als erfolgreiche, kritische Frau nicht mit Nachteilen rechnen, wollte der Journalist Murad Bayraktar wissen, der den Abend moderierte. Welche Opfer musste die erfolgreiche Kolumnistin und Autorin erbringen? Magden muss nicht lange nachdenken: Sie habe ihr Frausein opfern müssen. „Man ist keine Frau mehr“, sagt sie. Sie stehe ständig unter Beobachtung und habe sich „in eine Schale“ zurückgezogen. „Aber als Schriftsteller führt man sowieso ein Einsiedlerdasein“.

Es gibt also noch viel zu tun für die rebellierenden Frauen in der Türkei, aber auch die deutsche Gesellschaft müsse aktiv werden, um die Unterdrückung türkischer Frauen im Land zu verhindern, meint Balci. Von einem Ende der „Machokultur“ würden auch die Männer profitieren, meint sie – „es ist auch ein sehr anstrengendes Männerbild“. Leicht wird es nicht, zumal auch die Frauen an den tradierten Rollen festhielten, sagt Balci. „Frauen treiben Töchter in den Tod und stiften die Söhne an.“

Auch wenn mit der Veranstaltung im Literaturhaus der deutsch-türkische Dialog befördert werden sollte, scheitert es an der Basis oft schon am simplen Gespräch. Wenn in Schulen über Sexualität und Ehre gesprochen werde, würden die türkischen Jugendlichen häufig das Klassenzimmer verlassen, berichtet Balci. „Darüber kann man mit Schülern nicht reden. Die Frage der Ehre anzusprechen, kratzt an ihren Grundfesten. Es ist das einzige, was ihre Identität ausmacht“.