Kadir Kaya unterrichtet das traditionelle türkische Instrument Bağlama an der Dobelstraße im Stuttgarter Süden. Seinen Schüler begegnet er nicht nur als Lehrer, sondern auch als Freund.

S-Mitte - Kadir Kaya pustet in seine Hände. Die türkische Laute Bağlama liegt auf seinem Schoß, aber Kayas Finger sind an dem kühlem Märzmorgen in seiner Musikschule an der Dobelstraße etwas klamm. Dann streift er die Hemdärmel hoch und greift zu einem Plektrum. Das ist ein Blättchen aus Kunststoff. Auch Gitarrespieler verwenden es. Er zupft die Bağlama mit der einen Hand mit dem Plektrum, mit der anderen mit den Fingern.

 

Die Langhalslaute vermag es, mikrotonal zu erklingen. Sie erzeugt Intervalle, die kleiner sind als ein Halbtonabstand. Die zwischen den Tonstufen liegenden Töne muten psychedelisch an. Sie laden zum Tagträumen ein. Vor dem inneren Auge des Zuhörers ziehen die im Frühjahr grünen Berge Anatoliens oder auch Kurdistans mit ihren saftigen Wiesen vorbei. Dann liegen Meze, die türkischen Vorspeisen, in einer Taverne auf einem Teller. Der Raki im Glas wird im Tagtraum mit einem Schuss Wasser gerade milchig. Schade, dass Kaya schon aufhört, seine Laute zu zupfen. Das aus Aserbaidschan stammende Tanzlied „Naz Bari“, ist zu Ende.

Kaya kam 1990 nach Deutschland

Der 1964 in der türkischen Stadt Erzincan im Osten der Türkei geborene Musiklehrer hat das Instrument am staatlichen Konservatorium für türkische Musik in Istanbul studiert. Er kam 1990 nach Deutschland, um europäische Klassische Musik zu studieren. Kaya blieb in Stuttgart und eröffnete 1996 seine Musikschule „Ezgi-Musikecke“ an der Dobelstraße. Jugendliche machen sich an Wochenenden mit ihren Musikinstrumenten auf, um bei Kaya Unterricht zu nehmen. Er erteilt sowohl Einzel- als auch Gruppenunterricht.

Wenn ein neuer Schüler das Bağlamaspielen bei ihm lernen will, nehme er sich erst einmal die Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen, sagt er. „Ich muss den Schüler lieben und er mich“, meint er. Das bedeutet auch, dass das Instrument mal zur Seite gelegt wird, wenn dem Schüler etwas auf dem Herzen liegt. Es klingt, als könne die Bağlama ihre magischen Töne nur erzeugen, wenn die Chemie zwischen Lehrer und Schüler stimmt. Der 24-jährige Hüseyin Demirci ist jemand, bei dem diese Harmonie offenbar gegeben war. Der Stuttgarter begann seinen Bağlamaunterricht mit 16 in Kayas Musikschule. Seine Schwester hatte bereits vor ihm Unterricht an der Dobelstraße genommen und eines Tages hörte er während einer Autofahrt eine Aufzeichnung von einem Bağlama-Konzert, erzählt er. „Bis dahin habe ich eigentlich nur deutsche oder amerikanische Popmusik gehört. Was halt im Radio läuft. In dem Moment ist aber etwas mit mir passiert“, sagt Demirci.

Schüler entdeckte die Bağlama als 16-Jähriger

Das „Etwas“ kann er nicht so einfach in einen Satz gießen. Sein Musiklehrer hilft ihm. Musik sei ein essenzieller Teil der Identität, meint er. Viele seiner türkischstämmigen Schüler zeigten Interesse an der Musik, die ihre Eltern oder Großeltern früher mal gehört haben, erklärt er.

Der Lehrer liebt Metaphern

Wer die Bağlama lerne, verliere deshalb nicht das Interesse an anderen Musikstellen oder hänge gar Träumen von einer verlorenen Heimat nach, meint Kadir. „Es ist eher wie beim Essen“, sagt der Musiklehrer. Sein Schüler grinst. Sein Lehrer liebe Metaphorik, die sich auf Speisen beziehe, sagt er. „Heute will ich etwas Neues essen und morgen etwas, das mich an früher erinnert, meint er damit“, erklärt er.

Der 24-Jährige studiert inzwischen Toningenineurwesen. Er habe sich auch überlegt, Musik zu studieren. „Dann wäre aber mein Hobby mein Beruf geworden“, sagt er. Bağlama lässt sich ohnehin nur an wenigen Hochschulen in Deutschland studieren, meint Demirci. Er nennt als Beispiel die Pop-Akademie in Mannheim. Dort gibt es das Fach „Weltmusik“. Für eine Aufnahme in ein deutsches Orchester helfe ein Abschluss im Bağlamaspielen aber ohnehin nicht, sagt Demirci.

Bisher erhalte türkische Volksmusik in Stuttgart über die türkeistämmigen Communitys hinaus eher wenig Aufmerksamkeit, meint er. Sein Lehrer Kadir Kaya gibt gleichwohl auch Deutschen Einzelunterricht im Bağlamaspielen. Vielleicht dauert die kulturelle Aneignung bei Musik einfach noch etwas länger als beim Essen.