Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat einen Türken in Deutschland angerufen, der bei einer Demonstration in Stuttgart von der deutschen Polizei „misshandelt“ worden sein soll. Die Stuttgarter Polizei kündigt ihrerseits an, Anzeige wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu erstatten.

Stuttgart/Istanbul - Yusuf Ünsal liegt auf dem Bauch, um ihn herum stehen deutsche Polizisten, die ihn festgenommen haben. „Erdogan – bis zum Tod“, ruft er einem türkischen Kameramann zu, der die Szene filmt. Ünsals Begegnung mit der Polizei in Stuttgart ist zum Thema in den türkischen Medien geworden und hat nun auch den türkischen Staatspräsidenten persönlich auf den Plan gerufen. Recep Tayyip Erdogan rief Ünsal an, um ihm gute Besserung zu wünschen. Der Fall ist aus türkischer Sicht ein neuer Beweis dafür, dass der Westen anti-türkische Terroristen schützt.

 

Ünsal hatte während einer Geschäftsreise in Stuttgart gegen den Stand einer Kurdengruppe in der Stadt protestiert. Dort seien Poster von Abdullah Öcalan, des Chefs der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK, sowie PKK-Fahnen zu sehen gewesen, berichtete Ünsal später türkischen Medien. Als die Kurden dann auch noch Erdogan beleidigt hätten, habe er sich nicht mehr halten können und versucht, die Poster vom Stand zu reißen. Kurz darauf tauchte die deutsche Polizei auf. Zu seiner Überraschung seien aber nicht die Kurden, sondern er selbst festgenommen worden. Er sei bereit, als „Märtyrer“ in die Türkei heimzukehren, sagte Ünsal; als „Märtyrer“ werden in der Türkei die im Kampf für das Vaterland gefallenen Soldaten bezeichnet.

Stuttgarter Polizei weist türkische Vorwürfe zurück

Der Sprecher der Stuttgarter Polizei, Stefan Keilbach, wies die türkischen Vorwürfe nachdrücklich zurück: „Das polizeiliche Handeln im vorliegenden Fall war richtig“, sagte Keilbach unserer Zeitung. Aus Sicht der Stuttgarter Polizei stellt sich der Fall so dar: Am Rande der angemeldeten Versammlung „Freiheit für Öcalan. Solidarität mit Afrin“, sei es am 7. April gegen 19 Uhr auf dem Schlossplatzrondell zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten zwischen Passanten und den etwa 30 kurdischstämmigen Kundgebungsteilnehmern gekommen. Auf einen Hinweis hin hätten Polizeibeamte einen der Passanten, den 39-Jährigen, festgehalten, um dessen Identität festzustellen. Der Mann, ein deutscher Staatsangehöriger mit türkischem Namen, soll zuvor Kundgebungsteilnehmer beleidigt haben. Laut Keilbach leistete er Widerstand. Daraufhin hätten die Polizeibeamten seine „Hände geschlossen“ und ihn aus Gründen der Eigensicherung „in Ruhe auf den Boden gelegt“. Der Mann habe später über Schmerzen am Oberarm und im Bauchbereich geklagt, es aber abgelehnt, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Die Polizei werde gegen ihn Anzeige wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erstatten.

Für Erdogan passt Ünsals Erlebnis zu einer Botschaft, die er derzeit bei Reden im ganzen Land verkündet: Der Westen unterstützt Terrorgruppen, hält der Türkei aber gleichzeitig Vorträge über das Thema Menschenrechte. Erst am Wochenende hatte Erdogan geklagt, nach der Militärintervention im syrischen Afrin seien türkische Soldaten dort auf Fluchttunnel gestoßen, die von der syrisch-kurdischen Miliz YPG angelegt worden seien. Der Zement für diese Tunnel sei vom französischen Konzern Lafarge gekommen, sagte Erdogan: Da die YPG der syrische Ableger der PKK ist, stellt der Zement für Erdogan seien weiteren Beweis für die westliche Parteinahme zugunsten kurdischer Extremisten dar.

Erdogan bezeichnet Anschlag von Münster vorschnell als Folge westlicher Hilfe für Terroristen

Der nachsichtige Umgang der deutschen Behörden mit der auch in der Bundesrepublik verbotenen PKK ist schon lange ein Ärgernis für Ankara. Regelmäßig protestiert die türkische Regierung dagegen, dass PKK-Anhänger in Deutschland ungestört für ihre Ziele werben können. Immer wieder schießt der türkische Präsident im Eifer des rhetorischen Gefechts allerdings weit über das Ziel hinaus. Wenige Stunden nach dem Anschlag von Münster am Wochenende zog Erdogan die Gewalttat als Beleg dafür heran, dass der Westen den Terror nähre und deshalb von Terroristen heimgesucht werde. Dabei hat er es insbesondere auf Frankreich abgesehen, das eine Truppenentsendung nach Syrien zur Stabilisierung der YPG-Gebiete angedeutet hat.

„Ihr seht doch, was die Terroristen in Deutschland angerichtet haben“, sagte Erdogan im westtürkischen Denizli mit Blick auf die Gewalt in Münster. „Dasselbe wird in Frankreich passieren. Der Westen wird der Geißel des Terrors nicht entgehen.“ Kurz darauf stellte sich heraus, dass die Tat in Münster nichts mit Terrorismus zu tun hatte.