Alev Karatas will nicht mehr über Integration reden. „Und nicht mal das will ich sagen müssen, weil das Thema kein Thema mehr sein dürfte.“ Sie redet trotzdem.

 

Karatas sitzt in ihrem Büro und kritzelt in einem Notizbuch herum, das Kinn auf die Hand gestützt. Ihr sonnengelber Pullover will nicht so recht zu ihrer Miene passen. „Nach fünfzig Jahren immer noch über Türken in Deutschland und Integrationsprobleme zu diskutieren ist für eine Gesellschaft überaus peinlich.“ X-mal haben Journalisten sie gelöchert und daraus meist eine Leidensgeschichte verfasst, in der sie sich selbst nicht erkannte. Mittlerweile ist sie reservierter. „Klar hätte ich die deutsche und türkische Gesellschaft gern anders, aber ich leide nicht darunter.“

Alev Karatas wurde 1969 in Bruchsal geboren. Mit sieben setzten ihre Eltern sie ins Flugzeug nach Istanbul. Warum, darauf bekam sie bis heute keine Antwort. Sie kam in ein fremdes Land, zu einer fremden Tante, zu einer fremden Cousine, die immer die Prinzessin war. Nach der Grundschule, da war sie zwölf, holten sie die Eltern ins mittlerweile ebenfalls fremd gewordene Deutschland zurück. Schon wieder ein Wechsel, neue Schule, neue Leute: „Das war etwas zu viel für mich.“

Zuerst sollte sie die Grundschule wiederholen, dann durfte sie doch gleich die Hauptschule besuchen. Auf einem Wirtschaftsgymnasium schaffte sie das Abitur. Eltern, Lehrer, Freunde – alle glaubten stets zu wissen, was richtig für sie sei, bis sie keinem mehr glaubte und sich ihre eigenen Wertvorstellungen zusammenbastelte. „Ich bin eigensinnig geworden, ich baue Beziehungen nur lose auf, damit jeder jederzeit gehen kann.“

Mit „Türkenproblemen“ konfrontiert zu werden hängt der Sozialwissenschaftlerin zum Hals heraus. „Ich erfülle alle Klischees“, sagt sie trotzig. Arbeiterfamilie, strenger Vater. Ihren ersten Freund, einen Türken, heiratete sie mit achtzehn, weil das ihr Vater verlangte. „Ich habe mich in Deutschland nicht integriert gefühlt“, sagt sie. In ihrem badischen Dorf Gochsheim galt sie immer als Ausländerin. „Das war ein Kaff, ein Loch.“ Es machte sie wütend, dass „sich ein Depp auf der Straße für etwas Besseres hielt, obgleich er weniger über Deutschland wusste als ich“.

Deniz Ovas Lebenslauf ist untypisch für ein Gastarbeiterkind. Ihre Eltern waren modern, unreligiös, kosmopolitisch – „nicht normal“, sagt sie. Sie besuchte die Waldorfschule in der Esslinger Pliensauvorstadt, kam in der Welt herum, fand sich überall zurecht. Von der Integrationsdebatte oder der Sarrazin-Diskussion fühlt sich eine wie sie nicht angesprochen: „Das fand ich – auf gut Deutsch – immer ätzend. Das hat mich auch nie interessiert. Weil ich einfach nur das, was ich gemacht habe, gut machen wollte.“ Ausländerfeindliche Bemerkungen nahm sie nie persönlich: „Wer sich integriert hat, hat sich integriert, und wer nicht, wird sich jetzt auch nicht mehr integrieren.“

Manches findet sie merkwürdig

Doch selbst sie, die perfekt Integrierte, spürte erst in Istanbul, was es bedeutet, wirklich angenommen zu sein. „Auch wenn ich von Geburt an in Deutschland gelebt habe, fühlte ich mich manchmal, als würde ich dort nicht hingehören“, erzählt sie. „Allein die Tatsache, dass man überhaupt als nicht deutsch wahrgenommen wird, ist befremdlich.“

Merkwürdig findet Deniz Ova auch in Istanbul manches. Zum Beispiel, wie langwierig es sein kann, einen Stromanschluss anzumelden. „In Deutschland tätigt man einen Anruf, dann kommt jemand vorbei und fertig. Hier muss man ständig zum Schalter gehen, in der Schlange stehen, eine Nummer ziehen.“ Oder, dass Mitmenschen ihren Müll achtlos auf die Straße werfen. „Das ist der Schwabe in mir!“ Oder wie schnell Freundlichkeit in Aggressivität umschlagen kann. „Ich muss nicht laut sein, um mich durchzusetzen.“

Mancher würde in solchen Momenten beide Länder gegeneinander abwägen. Deniz Ova versucht, das Beste daraus zu ziehen. „Hier ist alles anders, und das ist okay. Wer ständig den Vergleich mit Deutschland zieht, erlebt einen Schock nach dem anderen.“

Ob sie sich deutsch oder türkisch fühlt, hängt von der Situation ab. Ihre „typisch deutsche Disziplin“ ist in der Istanbuler Arbeitswelt ein Vorteil: Schon Ende 2012 stieg sie zur Direktorin der Design Biennale auf, einem Event für alle gestalterischen Disziplinen von Architektur bis Modedesign. An die „typisch türkische Flexibilität und Spontanität“ hat sie sich mittlerweile angepasst. „Hier wird auch in letzter Minute viel umentschieden“, sagt sie. Nur manchmal vermisst sie Kleinigkeiten aus Deutschland: ins Pilates zu gehen, sich mit einem Buch in einen Park zurückzuziehen. Und Maultaschen, Bratwürste, würziges Bier.

Auch ihr Freund ist ein schwäbisch-türkischer Auswanderer. Abends guckt das Paar deutsches Fernsehen in der gemeinsamen Jugendstilwohnung. Ein-, zweimal im Jahr besucht Deniz Ova Freunde in Stuttgart. „Das ist wie nach Hause kommen“, erzählt sie. „Und wenn ich nach Istanbul zurückkomme, überfällt mich dasselbe Gefühl der Vertrautheit.“

Die Geschichte von Alev Karatas

Alev Karatas will nicht mehr über Integration reden. „Und nicht mal das will ich sagen müssen, weil das Thema kein Thema mehr sein dürfte.“ Sie redet trotzdem.

Karatas sitzt in ihrem Büro und kritzelt in einem Notizbuch herum, das Kinn auf die Hand gestützt. Ihr sonnengelber Pullover will nicht so recht zu ihrer Miene passen. „Nach fünfzig Jahren immer noch über Türken in Deutschland und Integrationsprobleme zu diskutieren ist für eine Gesellschaft überaus peinlich.“ X-mal haben Journalisten sie gelöchert und daraus meist eine Leidensgeschichte verfasst, in der sie sich selbst nicht erkannte. Mittlerweile ist sie reservierter. „Klar hätte ich die deutsche und türkische Gesellschaft gern anders, aber ich leide nicht darunter.“

Alev Karatas wurde 1969 in Bruchsal geboren. Mit sieben setzten ihre Eltern sie ins Flugzeug nach Istanbul. Warum, darauf bekam sie bis heute keine Antwort. Sie kam in ein fremdes Land, zu einer fremden Tante, zu einer fremden Cousine, die immer die Prinzessin war. Nach der Grundschule, da war sie zwölf, holten sie die Eltern ins mittlerweile ebenfalls fremd gewordene Deutschland zurück. Schon wieder ein Wechsel, neue Schule, neue Leute: „Das war etwas zu viel für mich.“

Zuerst sollte sie die Grundschule wiederholen, dann durfte sie doch gleich die Hauptschule besuchen. Auf einem Wirtschaftsgymnasium schaffte sie das Abitur. Eltern, Lehrer, Freunde – alle glaubten stets zu wissen, was richtig für sie sei, bis sie keinem mehr glaubte und sich ihre eigenen Wertvorstellungen zusammenbastelte. „Ich bin eigensinnig geworden, ich baue Beziehungen nur lose auf, damit jeder jederzeit gehen kann.“

Mit „Türkenproblemen“ konfrontiert zu werden hängt der Sozialwissenschaftlerin zum Hals heraus. „Ich erfülle alle Klischees“, sagt sie trotzig. Arbeiterfamilie, strenger Vater. Ihren ersten Freund, einen Türken, heiratete sie mit achtzehn, weil das ihr Vater verlangte. „Ich habe mich in Deutschland nicht integriert gefühlt“, sagt sie. In ihrem badischen Dorf Gochsheim galt sie immer als Ausländerin. „Das war ein Kaff, ein Loch.“ Es machte sie wütend, dass „sich ein Depp auf der Straße für etwas Besseres hielt, obgleich er weniger über Deutschland wusste als ich“.

Nach zwei Scheidungen, der Trennung von einem dritten Partner und einem Jobverlust versuchte sie vor zehn Jahren einen Neuanfang in der Heimat ihrer Eltern. „Ich hatte immer den Gedanken, an meine Biografie anzuknüpfen, die nun mal aus zwei Linien besteht“, sagt sie. „Ich wollte irgendwo dazugehören, aufgehoben sein. Da war der Gedanke: Wäre ich in Istanbul glücklicher?“

Was sie fand, waren jedoch nicht die warmherzigen Menschen aus ihren Kindheitserinnerungen, sondern karriereversessene Egoisten. Anfangs war sie unsicher, ob sie in Istanbul bleiben sollte. „Es ist etwas anderes, ob man im Urlaub hier ist oder hier lebt. Ich musste erst herausfinden, wie der Alltag funktioniert.“ Zum Beispiel, dass es normal ist, Überstunden zu machen. Für einen Sockenhersteller schuftete sie in einer 70-Stunde-Woche als Kundenbetreuerin. „Du musst schon blöd sein, wenn du nach mehr als zwanzig Jahren zurückkommst und hoffst, das vorzufinden, was du verlassen hast. Die Menschen haben sich verändert, die Orte haben sich verändert, alles hat sich verändert. Letztlich ist es dein Inneres, zu dem zu zurückkehren möchtest.“

Mittlerweile hat sie eine ihrer Qualifikation angemessene Stelle bei einer Kommunikationsagentur gefunden und fühlt sich im Istanbuler Kosmos wohl. „Ich begreife jeden Tag deutlicher, warum ich hier bin.“

Für Alev Karatas hat die Türkei gegenüber Deutschland einen großen Vorteil: Ihre Herkunft löst keine Debatten mehr aus. Welche Last sie in Deutschland ständig auf den Schultern getragen hatte, ist ihr erst in Istanbul aufgefallen. Integriert fühlt sie sich dennoch nicht: „Wenn du einmal anfängst zu migrieren, bist du anders. Ich kann hier nicht einfach im    selben Beet eingepflanzt werden.“ Den Wunsch, sich in einem Land heimisch zu fühlen, habe sie abgelegt, sagt sie: „Mein soziales Netz und meine Arbeit sind nun die Heimat.“