Die Landeswasserversorgung stimmt dem neuen Entschädigungsangebot der Deutschen Bahn nicht zu. Damit fehlte dem Unternehmen die Genehmigung zur Unterfahrung für den Stuttgart-21-Tunnel. Nun muss das Regierungspräsidium entscheiden.

Stuttgart - Am Montag war seitens der Bahn noch von „aussichtsreichen Gesprächen“ und einer „kurzfristig zu erzielenden Einigung“ die Rede. Tags darauf stellt sich die Lage anders dar – zumindest aus Sicht des Zweckverbands Landeswasserversorgung (LW). Er hält auch das zuletzt wieder auf 48 800 Euro erhöhte Angebot der Bahn als Entschädigung für die Unterfahrung seines Grundstücks und Gebäudes in der Schützenstraße 4 für nicht ausreichend. „Das Angebot ist inakzeptabel“, referierte am Dienstag der LW-Sprecher Bernhard Röhrle die Ansicht von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, „wir werden es so definitiv nicht annehmen.“

 

Bahn muss nun Besitzeinweisungsverfahren abwarten

Damit hat die Bahn zunächst keine Genehmigung, den Tunnel für die Rettungszufahrt zum südlichen Teil des neuen Tiefbahnhofs weiter zu graben. Sie muss nun ein Besitzeinweisungsverfahren beim Regierungspräsidium abwarten, das sie bereits Anfang November beantragt hat und das spätestens Mitte Dezember beendet sein wird. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen die Tunnelvortriebsarbeiten für die Rettungszufahrt ruhen. Seit Anfang November wurde parallel zum Wagenburgtunnel bergmännisch gegraben, am vorvergangenen Sonntag mussten die Arbeiten wegen der fehlenden Genehmigung eingestellt werden. Von einem Baustopp könne aber keine Rede sein, sagte der S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich am Montag. Auf der Baustelle würden weiterhin Sicherungs- und Betonarbeiten erledigt. Der vorübergehende Stopp der Vortriebsarbeiten habe keine terminlichen oder bautechnischen Auswirkungen. „Wir sind hier nicht auf einem kritischen Pfad“, sagte Dietrich.

Die Bahn setzt darauf, dass der Gesprächsfaden zur Landeswasserversorgung noch nicht gekappt ist. „Sobald wir einen neuen Stand haben, werden wir darüber informieren. Dies ist momentan nicht der Fall“, sagte Dietrich, der „den Fortgang des Verfahrens abwarten und keine Zwischenstände öffentlich diskutieren“ will. „Sollte in den nächsten Tagen keine Einigung mit dem Verband erzielt werden, wird das Regierungspräsidium im parallel laufenden Besitzeinweisungsverfahren seine Entscheidung treffen“, erklärte er. Während die Bahn also auf weitere Gespräche setzt, sagte Röhrle gestern, dass „nun das Regierungspräsidium gefordert“ sei.

Auseinandersetzung hat sich hochgeschaukelt

Die Auseinandersetzung zwischen der Bahn und dem Zweckverband über den Grundstückswert – und damit über die Höhe der Entschädigung – hat sich in den vergangenen Wochen hochgeschaukelt. „Wir wollen die Bauarbeiten nicht bremsen“, betonte Röhrle, „aber wir müssen die Fakten klären.“ Vor zwei Jahren hatte der Verband, dessen Areal in der Schützenstraße 4 direkt unter dem Kellerboden unterfahren wird, ein Angebot der Bahn über eine Entschädigung in Höhe von 48 800 Euro erhalten. In diesem Jahr war zunächst nur von 17 000 Euro, später von 30 300 Euro die Rede. Zwar signalisierten die meisten Verwaltungsräte der LW Zustimmung zu der geringeren Summe, die Stuttgarter Grünen-Stadträtin Gabriele Munk und wohl auch die Geschäftsleitung hegten aber Zweifel. Diese Vorbehalte beruhen vor allem auf der Frage, ob die Entschädigungsberechnungen der Bahn richtig sind. So wendet die Bahn Bodenrichtwerte an, die sich über das gesamte Gebiet ziehen und von einer bis zu dreigeschossigen Bebauung ausgehen. Zudem gibt es vier Entschädigungsklassen für die Tiefe der Unterfahrung und drei für die genutzte Fläche. Die Bahn spricht von einem „gutachterlichen Bewertungsverfahren“, Kritiker wie der Haus- und Grundbesitzerverein und in einem Netzwerk zusammengeschlossene Anwohner nennen es willkürlich und wollen es mit einer Klage auf jeden Fall rechtlich prüfen lassen.

Ob es im aktuellen Streit so weit kommt, ist offen. Sollten sich Bahn und Landeswasserversorgung in den nächsten Tagen nicht einigen, ist für den 3. Dezember im Regierungspräsidium ein mündlicher Termin anberaumt. Danach hat die Behörde maximal zwei Wochen Zeit für eine Entscheidung. Sie kann dann die vorläufige Besitzeinweisung anordnen, was der Bahn erlaubt, das Gelände zu unterfahren und die Tunnelarbeiten fortzusetzen. Über die Höhe der Entschädigung würde später vom Regierungspräsidium entschieden – gegen beide Beschlüsse kann geklagt werden.

Verband zweifelt Zahlengrundlage an

Die LW geht davon aus, dass die von der Bahn zugrunde gelegten Bodenrichtwerte für ihr Grundstück nicht zutreffen, da es eine siebenstöckige Bebauung hat. Aber auch die geringe Unterfahrungstiefe müsse berücksichtigt werden. Deshalb waren dem Verband die zuletzt angebotenen 48 800 Euro zu wenig, zumal die Summe unter dem Vorbehalt eines möglichen Abschlags stand. „Wir glauben inzwischen, dass die Entschädigung höher ausfallen muss“, sagte Röhrle. Mit den Konsequenzen aus der Lage müsse die Bahn selbst fertig werden.