Der überraschende Rücktritt von DSV-Präsidentin Gabi Dörries hat hohe Wellen geschlagen. Die einen sehen die deutschen Schwimmer vollends im Chaos versinken – die anderen glauben fest daran, dass es von nun an endlich aufwärts geht.

Stuttgart - Aus dem Staunen kommt Henning Lambertz bei seinen Rundgängen durch Hangzhou kaum heraus. Eine „Gladiatoren-Arena“ erkennt der Chefbundestrainer des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) in der zur Schwimmarena umfunktionierten Rundsporthalle „Little Lotus“ und berichtet ebenso begeistert von seinen sonstigen Eindrücken: „LED-Leinwände, sehr viel Werbung in der Stadt, tolle Hotels und leckeres Essen – es gibt nichts, woran man meckern könnte. Das haben die Chinesen richtig gut hinbekommen.“

 

Die glamouröse Schwimmwelt bei der Kurzbahn-WM in China

Zumindest eine knappe Woche lang dürfen Lambertz und sein nur 15-köpfiges Häuflein deutscher Athleten von diesem Dienstag an den Schwimmsport von seiner glamourösen Seite erleben. Sie sollten die Kurzbahn-Weltmeisterschaft in der Zehn-Millionen-Einwohner-Metropole genießen – denn die Tristesse des Alltags wird sie spätestens nach der Rückkehr in die Heimat wieder einholen. Ganz egal, ob sie Medaillen mitbringen oder nicht.

Bereits seit Jahren schlittert der DSV von einer Krise in die nächste – mit dem überraschenden Rücktritt der Präsidentin Gabi Dörries hat die Sportart auf ihrer Funktionärsebene am Wochenende einen neuen Tiefpunkt erreicht. Nur zwei Jahre hielt es die Mathematikerin aus Elmshorn an der DSV-Spitze aus, dann warf sie nach einem elfstündigen Marathon-Verbandstag in Bonn frustriert hin und sagte: „Durch die heutigen Beschlüsse sehe ich keine Basis für eine weitere Arbeit in der Position der Präsidentin.“

Die Schwimmverbände aus Baden-Württember stellen den entscheidenden Antrag

Vergeblich hatte Gabi Dörries darum geworben, die Beiträge für jedes Mitglied in einem Schwimmverein um jährlich 60 Cent auf 1,40 Euro pro Jahr zu erhöhen („Das ist nach 30 Jahren unumgänglich. Was gibt es heute noch zum Preis von 1985?“) Die Delegierten folgten, wie schon vorher zu vermuten war, mehrheitlich dem Antrag der Schwimmverbände aus Baden und Württemberg, die Diskussion und die Abstimmung über ein neues Finanzkonzept auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. „Das war kein Misstrauensvotum und keine Blockadehaltung“, sagt Emanuel Vailakis, der Geschäftsführer des Schwimmverbands Württemberg: „Wir wollen nur eine verlässlichere Zahlenbasis. Schließlich ist es nicht der DSV, der für die Vereine verantwortlich ist, sondern wir Landesverbände.“

„Ihr macht unseren Sport kaputt!“, schimpft Dorothea Brandt

Groß ist nun der Aufschrei (ehemaliger) deutscher Spitzenschwimmer. „Ihr macht unseren Sport kaputt!“, so überschrieb die die frühere Athletensprecherin Dorothea Brandt (34) ihren Facebook-Eintrag und sah im Votum der Delegierten „den Grundstein für das Ende des Leistungssports im DSV“. Philipp Heintz (26), Olympiasechster in Rio 2016, sagte der „Berliner Zeitung“: „Wenn es so weitergeht, brauchen wir uns nicht wundern, wenn Deutschland bald gar keine Schwimmer mehr bei den Olympischen Spielen hat. Wir sind kurz davor, uns selbst zu zerstören.“

Gemach, gemach, findet hingegen Christian Hirschmann (32), der bei der Neckarsulmer Sport-Union professionelle Strukturen aufgebaut hat und nun als neuer Teammanager Deutschlands Spitzenschwimmer bei der Kurzbahn-WM in China begleitet: „Alle die jetzt das Wort ergreifen, sollten sich hinterfragen, ob sie selbst genug tun“, sagt Hirschmann. Zwar bedauert auch er den Rücktritt von Gabi Dörries („Sie war sehr geschätzt und hatte eine riesige Leidenschaft für den Schwimmssport“). Den Untergang des DSV kann er aber nicht erkennen – im Gegenteil.

Die Strukturreform soll den DSV professioneller machen

Denn: die Beitragserhöhung mag vertagt worden sein – die von Dörries auf den Weg gebrachte Strukturreform aber wurde mit großer Mehrheit verabschiedet. Das sei „die wichtigste Botschaft“, die von dem außerordentlichen Verbandstag ausgehe. Kernpunkt der neuen DSV-Satzung ist „eine Verlagerung der relevanten Entscheidungskompetenzen ins Hauptamt“, die dem Leistungssport „größtmögliche Freiheitsgrade“ biete, so teilt es der Verband mit. Bedeutet: nicht mehr ehrenamtliche Fachausschüsse treffen die Entscheidungen, sondern fest angestellte Spezialisten.

Als Leistungssportdirektor ist Thomas Kurschilgen (58), in ähnlicher Funktion lange Jahre beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) tätig, bereits seit September der neue starke Mann im DSV. Er bekommt nun die Möglichkeit, weitere Vorkehrungen zu treffen, um Deutschlands Schwimmer international wieder konkurrenzfähiger zu machen. In der neuen Satzung sieht Kurschilgen „einen der wichtigsten Meilensteine im Reformprozess des DSV“.

DSV-Ehrenpräsidentin Christa Thiel, die Vorgängerin der zurückgetretenen Gabi Dörries, sieht im neuen Sportdirektor einen „Chef, der komplett durchblickt“. Das sorgt bei der Juristin, die 16 Jahre lang an der Verbandsspitze stand, in diesen turbulenten Tagen zumindest für ein wenig Zuversicht. Ansonsten, räumt Thiel ein, „tut es schon weh, was in Bonn passiert ist“.