Der Premier Kyriakos Mitsotakis führt sein Land durch turbulente Zeiten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger genießt er international Zustimmung und ist bei den Griechen beliebt. Ob es so bleibt, wird von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen.

Athen - Corona-Pandemie, Gasstreit mit der Türkei, Chaos im Flüchtlingslager Moria: Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis kämpft an vielen Fronten. 14 Monate nach seiner Wahl zum Regierungschef hat er in Griechenland hervorragende Umfrageergebnisse. Auch im Ausland genießt der Grieche hohes Ansehen. Die schwerste Prüfung steht ihm aber noch bevor. „Es war gewiss nicht, was ich bei meinem Amtsantritt erwartete“, sagte Mitsotakis, als er in einem Interview nach den Erfahrungen seines ersten Jahres als Ministerpräsident gefragt wurde. Vor allem eines habe er lernen müssen: mit mehreren Krisen gleichzeitig umzugehen.

 

Krise: Dieses Wort sollte eigentlich der Vergangenheit angehören. Mitsotakis wollte eine neue Ära beginnen. Als er im Juli vergangenen Jahres antrat, versprach er seinen Landsleuten den wirtschaftlichen Neustart nach fast zehn Jahren Rezession. Aber dann kam es knüppeldick: Erst belagerten Ende Februar Zehntausende Migranten die türkisch-griechische Grenze, dann kam Covid. Mit ihrem anfangs erfolgreichen Epidemie-Management erntete die Regierung Mitsotakis zwar international viel Anerkennung, aber inzwischen steigen die Zahlen auch in Hellas wieder.

Der versprochene Aufschwung muss warten

Der versprochene Aufschwung muss warten. Griechenlands Wirtschaft könnte in diesem Jahr um neun Prozent einbrechen, so die Prognose der EU-Kommission. Das wäre der tiefste Absturz seit dem Krisenjahr 2011. Derweil droht ein bewaffneter Konflikt mit der benachbarten Türkei, die im Mittelmeer den Griechen ihre Bodenschätze streitig macht. Und nun wird mit dem Brand im Lager Moria auch die Flüchtlingskrise wieder virulent. Kein europäischer Regierungschef muss derzeit mit so vielen Herausforderungen umgehen wie Mitsotakis.

Die Mehrheit der Griechen gibt dem Premier für sein Krisenmanagement gute Noten. In einer Umfrage von Mitte September bekommt seine konservative Nea Dimokratia 40,1 Prozent. Den Vorsprung zum Linksbündnis Syriza hat Mitsotakis gegenüber der letzten Wahl von acht auf über 20 Prozent ausgebaut. 62 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit der Regierung zufrieden. Die Oppositionspartei Syriza beurteilen dagegen 77 Prozent negativ. Auch im direkten Vergleich mit dem Oppositionschef Alexis Tsipras steht Mitsotakis gut da: 64 Prozent äußern über den amtierenden Premier eine positive Meinung, der ehemalige Regierungschef Tsipras kommt auf massive 66 Prozent Ablehnung. Auch im Ausland hat Mitsotakis an Statur gewonnen. Anders als sein Vorgänger Tsipras, der nach anfänglichem Widerstand vor den internationalen Geldgebern kapitulierte und alle Sparauflagen bis zur Selbstaufgabe umsetzte, tritt Mitsotakis in der EU nicht unterwürfig auf. Er kann ein unbequemer Partner sein – zum Beispiel wenn er jetzt im Streit mit der Türkei nachdrücklich die Solidarität der EU einfordert.

Besonnenheit und Selbstbewusstsein beschreiben den Charakter

Besonnenheit und Selbstbewusstsein sind die beiden Schlüsselwörter, die den Charakter des 52-Jährigen am besten beschreiben. Aber seine bisherige Regierungszeit offenbart auch Schwächen und Versäumnisse. So hat Mitsotakis die soziale Sprengkraft des Migrationsthemas lange unterschätzt. Bei seinem Amtsantritt löste er sogar das Ministerium für Migrationspolitik auf und verteilte dessen Kompetenzen auf mehrere andere Ressorts. Das funktionierte nicht, und nur wenige Monate später etablierte Mitsotakis das Ministerium wieder. Dennoch wurde die Regierung von der Revolte und den Brandstiftungen im Flüchtlingslager Moria kalt erwischt.

In Wirtschaftskreisen genießt der Harvard-Absolvent und frühere Investmentbanker Mitsotakis hohes Ansehen. Mitsotakis gilt als entschlossener Reformer. Wenn jemand internationale Investoren gewinnen kann, dann ist es Mitsotakis. Und Investitionen braucht Griechenland jetzt dringender denn je, wenn es die Corona-Rezession hinter sich lassen will. Auch die Finanzmärkte honorieren die Politik der Athener Regierung. Das zeigen die steigenden Kurse der griechischen Staatsanleihen. Griechenland, das noch im Frühjahr 2015 am Rand der Staatspleite stand, kann sich inzwischen so billig Geld leihen wie nie zuvor, seit das Land 2001 den Euro einführte.

Ausruhen kann sich Mitsotakis auf der breiten Zustimmung aber nicht. Die Flaute im Tourismus kostet Hunderttausende Jobs. Die seit sechs Jahren rückläufige Arbeitslosenquote steigt seit dem Frühjahr wieder steil an. Spätestens in Juli 2023 muss sich Mitsotakis dem Urteil der Wähler stellen. Gemessen wird er vor allem daran, ob es ihm bis dahin gelingt, diesen Trend umzukehren. Noch zeigen die Griechen Geduld. Aber wenn Mitsotakis den versprochenen Aufschwung bis zur Wahl nicht nachliefern kann, könnte es für ihn schwierig werden.