Was ist plötzlich los bei der 1950 gegründeten Baugenossenschaft, die in der 8000-Seelen-Gemeinde über Jahrzehnte meist geräuschlos für günstigen Wohnraum sorgte? Was ist der Hintergrund für abrupte Rücktritte, geplatzte Gespräche und böse Gerüchte, die in dem Schreiben dementiert werden? Der geschäftsführende Vorstand, heißt es darin, sei „weder erkrankt noch ausgeschieden“, wie dies vielfach in Reichenbach verbreitet werde. Er bleibe vielmehr im Amt, bis die Zukunft der BGR gesichert sei.
Im Geschäftsjahr 2022 rote Zahlen geschrieben
Vordergründiger Anlass der Turbulenzen ist die angespannte wirtschaftliche Lage der kleinen Genossenschaft, die über knapp 140 Wohnungen und etwa 450 Mitglieder verfügt. Im Geschäftsjahr 2022 – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – hat sie erstmals seit Jahren einen Fehlbetrag ausweisen müssen. Mit gut 25 000 Euro ist sie in die roten Zahlen gerutscht, nicht dramatisch bei einer Bilanzsumme von sechs Millionen Euro. Doch angesichts eines großen Investitionsstaus ist allen Beteiligten klar, dass die BGR auf Dauer nicht selbstständig bleiben kann. Wie viele kleine Genossenschaften im Südwesten müsse sie sich über kurz oder lang mit anderen zusammenschließen.
Der potenzielle Fusionspartner schien in den vergangenen Monaten klar: die Neckar-Fils-Genossenschaft Bauen und Wohnen in Nürtingen, oft noch unter dem alten Namen Siedlungsbau bekannt. Es gab weit fortgeschrittene Gespräche und bereits eine personelle Verflechtung: Seit 2022 sitzt der Reichenbacher Bürgermeister Bernhard Richter ehrenamtlich im Vorstand der Nürtinger. Das Engagement neben dem Vorstandsvorsitz bei der BGR begründete er mit dem großen Wohnungsbestand der Siedlungsbau in seiner Gemeinde. Der hauptamtliche geschäftsführende Vorstand der Reichenbacher Genossenschaft, Wolfgang Warth, konnte sich dagegen auch andere Partner vorstellen. Genannt wurde besonders die Kreisbaugenossenschaft Kirchheim-Plochingen, zu dessen Vorstandssprecher er einen engen Draht habe. Richter, knapp 60, und Warth, Mitte 60, sind gleichermaßen machtbewusst, die Spannungen zwischen ihnen wuchsen offenbar schon länger. Eskaliert sind sie nun anlässlich der Prüfung der Baugenossenschaft durch den Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen (VBW). Seit im Herbst 2023 der Bericht für das Geschäftsjahr 2022 vorgelegt wurde, spitzt sich der Konflikt zu.
Schon länger wuchsen Spannungen im Vorstand
Unterm Strich bescheinigte der Prüfverband den Organen der BGR eine „ordnungsgemäße Geschäftsführung“; so steht es in der Zusammenfassung für die Mitglieder. Im Kontrast dazu stehen jedoch kritische Feststellungen, zu denen es, da „vertraulich“, offiziell keine Auskünfte gibt. Dem Vernehmen nach geht es unter anderem um die Verwendung von Darlehensmitteln, die für Investitionen vorgesehen waren, für die laufende Geschäftstätigkeit, um den Abschluss eines Bausparvertrages mit stolzen Gebühren und die Auszahlung von Urlaubsrückstellungen samt Zuschlag – just in jenem Jahr, in dem es finanziell eng wurde.
Rolle des Prüfverbandes wird kritisch hinterfragt
Diese Befunde waren es offensichtlich, die Bürgermeister Richter zum Rücktritt als Vorstandschef bewegten; er wolle nicht in Haftung dafür geraten, hieß es. „Nicht nachvollziehen“ kann der Rathauschef, wie es angesichts der „nicht unerheblichen Beanstandungen“ zum insgesamt positiven Votum des VBW kam. Angesichts der „undurchsichtigen Rolle“ des Verbandes forderte er eine erneute, unabhängige Prüfung. Auch in Nürtingen wunderte man sich über die Diskrepanz zwischen Einzelpunkten und Gesamturteil im Prüfbericht. Von ihren Fusionsberatern wurde die Neckar-Fils-Genossenschaft in ihren Zweifeln bestärkt; sie stoppte daraufhin erst einmal die Gespräche.
Immer wieder wurde an die Affäre um die betrügerische Stuttgarter „Wohnungsgenossenschaft“ Eventus erinnert. Da habe der Prüfverband, der erst spät aufwachte, bekanntlich eine unrühmliche Rolle gespielt. Einen solchen Vergleich „verbitten wir uns“, sagt eine VBW-Sprecherin. Man äußere sich grundsätzlich nicht „zu unsubstantiierten Spekulationen und Mutmaßungen“; zudem sei man zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Mieten steigen nach langer Pause um zehn Prozent
Für die verbliebenen Gremienmitglieder steht das Prüfergebnis „im Einklang“ mit den einzelnen Feststellungen. Der Aufsichtsrat habe es nach eingehender Beratung einstimmig abgelehnt, einen weiteren Prüfer zu beauftragen, heißt es in einer Auskunft an unsere Zeitung. Die Gründe für den Rücktritt des Bürgermeisters könne man „nicht nachvollziehen“. Wirtschaftlich seien die Verhältnisse „geordnet“: Die Baugenossenschaft sei „kein Sanierungsfall“, ihre Zahlungsfähigkeit „war und ist jederzeit gegeben“. Erstmals seit Jahren steigen zum 1. Juni die Mieten, um zehn Prozent. Irritationen von Mietern oder Mitgliedern angesichts der Turbulenzen seien „nicht bekannt“.
Die Ankündigung, nun auch mit anderen Genossenschaften aus der Region Fusionsgespräche zu führen, wollen Vorstand und Aufsichtsrat zunächst nicht konkretisieren. Man erkunde nun die „bestmögliche Vorgehensweise“, Gesprächspartner und -inhalte blieben bis zur Mitgliederversammlung vertraulich. Beim Treffen am 26. Juni um 18 Uhr in der Brühlhalle hoffe man auf regen Besuch: Die Teilnahme sei „uns sehr wichtig“.