Keine persönlichen Angriffe, dafür viel Inhaltliches: Die Debatte der Vizekandidaten J.D. Vance und Tim Walz unterschied sich deutlich vom Duell Harris vs. Trump. Walz und Vance hatten beide eine Mission: Wählbar fürs andere Lager wirken.
Wer auf einen Kracher wie „They’re eating the cats?“ gewartet hatte, für den war das TV-Duell zwischen den Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz und J.D. Vance am Dienstagabend eine Enttäuschung. So moderat war der Ton, dass man, hätte man bei jedem „Da stimme ich Ihnen zu“ ein Kreuzchen gemacht, seine Bingokarte schnell vollbekommen hätte. Überraschend sachlich ging es zwischen dem Demokraten Walz und dem Republikaner Vance zu. Beiden ging es augenscheinlich vor allem um eines: Zivilisiert zu wirken, höflich, wählbar auch für die andere Seite.
Ihre angriffslustige „attack dog“-Attitüde, die beide „Running Mates“ bei ihren Wahlkampfauftritten oft zeigen – Walz bezeichnet seine politischen Gegner gerne als „weird“ (seltsam), während Vance mit unbewiesenen, unerhörten Falschaussagen provoziert – ließen die beiden Politiker am Dienstagabend vor dem Studio. Tatsächlich ging es in der Debatte beim Fernsehsender CBS wirklich um Inhaltliches: Irreguläre Migration, die Wohnungskrise, Kinderbetreuung, das Recht auf Abtreibung, sogar die Klimakrise. Am Schluss blieben Vance und Walz sogar noch kurz auf der Bühne und plauderten ein bisschen – flankiert von ihren Ehefrauen, Usha Vance und Gwen Walz.
Was für ein Kontrast zum Duell von Kamala Harris und Donald Trump im September. Die Umfragen prognostizieren für die Präsidentschaftswahl am 5. November ein denkbar knappes Rennen. Beide Lager werben besonders um unentschlossene Wählerinnen und Wähler in den hart umkämpften “Swing States“. Der Demokrat Walz und der Republikaner Vance kommen beide aus dem Mittleren Westen, wo die Wahl entschieden werden dürfte.
Die 90-minütige Debatte fand ohne Publikum statt. Walz, Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, und Vance, Senator von Ohio, durften keine Spickzettel verwenden und keinen Kontakt zu ihren Teams haben. Die Mikrofone konnten von Moderatorinnen Norah O’Donnell und Margaret Brennan stummgeschaltet werden, was nur einmal nötig war.
Walz attackiert Vances „Nicht-Antwort“
Leidenschaftlicher wurde die Debatte erst, als Vance die Wahlniederlage Trumps im Jahr 2020 gegen Joe Biden nicht eindeutig einräumen wollte. Stattdessen erklärte der Republikaner, „auf die Zukunft fokussiert“ zu sein. Walz konterte scharf und bezeichnete dies als „Nicht-Antwort“. Er stellte infrage, ob Vance den Mut aufbringen könnte, sich wie der damalige Vizepräsident Mike Pence gegen Trumps Willen zu stellen und somit eine friedliche Machtübergabe sicherzustellen.
Vance über Trump: „Habe mich geirrt“
Vance sollte im Duell auch erklären, was zu seinem Sinneswandel über Trump geführt hatte: Vance war zu Beginn von Trumps Präsidentschaft ein ausgesprochener Kritiker seines jetzt vielleicht zukünftigen Bosses. Er verglich ihn wahlweise mit Adolf Hitler oder einer „Droge für die Massen“. Seine Meinung änderte er radikal, als er sechs Jahre später selbst ins politische Scheinwerferlicht trat - und Trumps Unterstützung brauchte.
In dem Duell sagte Vance nun, er habe mit seiner harschen Kritik damals falsch gelegen. „Ich habe mich in Bezug auf Donald Trump geirrt“, sagte er. Er habe Geschichten geglaubt, die Trumps politische Bilanz falsch dargestellt hätten, führte Vance aus. Trump habe „geliefert“.
Die Themen:
Abtreibungsrecht: In der Debatte über das Recht auf Abtreibung warf Walz den Republikanern vor, sich mit ihrem restriktiven Kurs in das Privatleben von Frauen einzumischen. Über Trump und Vance sagte Walz: „Diese Typen versuchen immer wieder, den Frauen etwas vorzuschreiben.“
Waffenrecht: Auch der Umgang mit Waffenbesitz sorgte für Diskussionsstoff. Walz berichtete von einer persönlichen Erfahrung seines Sohnes, der bei einem Volleyballspiel Schüsse erlebt hatte, und forderte striktere Waffengesetze. Vance entgegnete, dass mehr Sicherheitsmaßnahmen in Schulen notwendig seien, und verwies auf psychische Probleme als Hauptursache der Gewalt.
Irreguläre Migration: Vance nutzte die Debatte unter anderem dazu, um Harris angesichts der irregulären Zuwanderung aus Mittel- und Südamerika eine verfehlte Migrationspolitik vorzuwerfen. „Wir haben eine historische Einwanderungskrise, weil Kamala Harris damit anfing, die gesamte Grenzpolitik von Donald Trump rückgängig machen“, sagte der 40 Jahre alte Senator.
Klimawandel: Auch bei diesem Thema traten Differenzen zutage. Vance gestand „der Argumentation halber“ CO2-Emissionen als Ursache der Erderhitzung zu, wollte sich jedoch nicht auf „seltsame Wissenschaft“ einlassen. Er forderte mehr Energieproduktion in den USA, einschließlich Atomkraft und Erdgas. Walz betonte dagegen Bidens Fortschritte bei erneuerbaren Energien und kritisierte Trump für dessen Leugnung der Klimakrise.
Wirtschaftspolitik: Dieses Thema war eher schnell abgehandelt. Walz verwies auf Harris’ Pläne, unter anderem junge Familien und Geringverdiener zu unterstützen. Vance sagte, unter Trump sein die Löhne in den USA hoch und die Inflation niedrig gewesen.
Nahostkonflikt: Angesichts der Lage in Nahost, mit Gefechten nicht nur im Gazastreifen sondern auch im Libanon, warnte Walz vor einer erneuten Präsidentschaft Trumps. „Es kommt auf eine solide Führung an“, sagte der 50 Jahre alte Gouverneur des Bundesstaates Minnesota. „Donald Trump ist wankelmütig“, mahnte er. Vance entgegnete, der Republikaner habe während seiner Amtszeit „für Stabilität gesorgt“.
Zwar gelten Vize-Debatten nicht als wahlentscheidend, doch das Duell dürfte bei vielen Wählern Eindruck hinterlassen. Im September hatten sich Harris und Trump in einer hitzigen TV-Debatte gemessen. Trump wirkte dabei genervt und defensiv. Harris hingegen blieb ruhig und forderte ein zweites Duell, worauf Trump sich nicht festlegte.
Trump kommentiert live auf „Truth Social“
Zu Beginn der Debatte wirkte Walz nervös, fand dann jedoch festen Boden. Er machte mehrfach Notizen, um auf die Argumente seines Kontrahenten vorbereitet zu sein. Vance gelang derweil, was Trump bei der Debatte gegen Harris schwergefallen war: Der Vize vermied scharfe Attacken. Dafür sorgte Trump allerdings selbst: Er kommentierte das Vize-Duell in einer Art Liveticker auf der von ihm mitgegründeten Online-Plattform „Truth Social“. Walz attestierte er einen „niedrigen Intelligenzquotienten“. Und auch die CBS-Moderatorinnen O’Donnell und Brennan bekamen ihr Fett weg. Der Republikaner bezichtigte die Journalistinnen, „extrem voreingenommen“ zu sein.